Mafia weltweit: Pierfrancesco Favino

»Il traditore«

Marco Bellocchio entzaubert die Mafia in ­seinem Kronzeugen-Epos

Francis Ford Coppola, Martin Scorsese, Francesco Rosi, Abel Ferrara — das sind nur ein paar der Regisseure, die in ihren Filmen mit Themen rund um persönliche Integrität und Loyalität in der Welt des organisierten Verbrechens gerungen haben. Am düsteren Glamour des charismatischen Bösen prallt allerdings jede noch so aufgeklärte Rhetorik ab. Die Faszination eines Lebens nach den Regeln der Gewalt und in blinder Loyalität zur »Familie« bleibt allzu oft bestehen — egal wie oft die filmende Zunft auf beiden Seiten des Atlantiks versucht, die Mafia in all ihren Farben und Formen zu entmystifizieren.

Dem italienischen Altmeister Marco Bellocchio (»Vincere«) gelingt nun das Kunststück, den Mafia-Mythos nicht nur zu durchleuchten, sondern seine führenden Köpfe als die kleinbürgerlichen Schlägerbarone mit Proletengebaren zu entlarven, die sie immer waren. Dabei verzichtet er auf eine fade Aufstieg-und-Fall-Erzählung ebenso wie auf allzu prahlerische Kraftmeierei in der Inszenierung. Zudem hat er mit Pierfrancesco Favino einen Hauptdarsteller, der dem titelgebenden »Verräter« ­Tommaso Buscetta moralische Komplexität verleiht.

Schon zu Beginn, bei einer prunkvollen Fete im »Der Pate«-Stil ist klar, dass es Ganovenehre im Reich mörderischer Gier nie geben kann und alle Mafia-Folklore ein Selbstbetrug ist, der ­lediglich hilft, eigene Verdorbenheit bis zum eigenen verfrühten Ableben zu verklären. Schon hier weiß Buscetta um die Verdorbenheit des eigenen Lebensstils, braucht jedoch einen Schicksalsschlag, um sich auf seine Rolle als Kronzeuge einzulassen.

Buscetta hat es wirklich gegeben. Er war das erste maßgebliche Mitglied der Cosa Nostra, das mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeitete. Das Ergebnis waren die so genannten »Maxi-Prozesse« der 80er und frühen 90er Jahre, die hunderte Mitglieder des organisierten Verbrechens hinter Gitter brachten — und zum Bombenattentat auf den federführenden Ermittlungsrichter Giovanni Falcone im Jahre 1992 führten.

Mit 153 Minuten ist das Kronzeugen-Epos etwas lang geraten. Bellocchios Erzählung verliert im Schlussakt mit seiner Folge von Prozessen und wechselnden ­Zeugenschutzprogrammen für Buscetta etwas den Fokus. Dennoch bleibt »Il traditore« einer der komplexesten Filme über Verbrechen und Moral, die das Kino in den jüngeren Jahren hervorgebracht hat.

(Il traditore) I 2019, R: Marco Bellocchio, D: Pierfrancesco Favino, Maria Fernanda Cândido, Luigi Lo Cascio, 153 Min.
Der Starttermin wurde nach Redaktionsschluss verschoben. Informationen auf stadtrevue.de