Der Mann mit der Range: Claus Bachor

Immer im Spagat

»Wenn du spontan spielst, willst du das vorher nie planen«, meint Kölns DJ-Veteran Claus Bachor. Im Gespräch verrät er uns mehr über seine Haltung

Claus Bachor gehört zur Gruppe einer vom Aussterben bedrohten Spezies. Bereits seit 1976 steht er an den Turntables. Als DJ und Musik-Journalist hat er die gesamte Evolution von Club-Musik — beginnend mit US-Soul, Funk und Disco der Mitt-70er — erlebt und begleitet. Ein Gespräch mit Kölns Techno-Pionier über das Auflegen, das »Cutting Edge«-Moment und seine aktuelle Club-Reihe im Düsseldorfer »Golzheim«. Dort kommt wie gehabt nur Techno-Vinyl zum Einsatz.


Claus, du legst seit über vierzig ­Jahren Musik auf. Gehst du privat überhaupt noch feiern? 

Selber gehe ich heute kaum noch aus. Und wenn, dann erlebe ich da meist doch nur digitale Fake-Performance. Das lässt mich völlig kalt. DJs, die bei stetig gedrücktem Sync-Button, Tracks automatisiert ineinander laufen lassen und sich dabei selbstverliebt mit erhobenen Händen von der eigenen Entourage feiern lassen oder sich selbst abfeiern. Tracks lediglich als beliebig austauschbares Beiwerk, als Mittel zum Zweck. Da treibt mich der natürliche Fluchtinstinkt!

Gibt es auch positive Beispiele? Was machen etwa deine Gast-DJs?

Die US-Kollegen mixen Vinyl-Tracks und Digi-Tracks (als Zugeständnis an bestehende Overweight-Restrictions) oft zwei bis drei Minuten parallel übereinander. Das ergibt eine Soundcollage, die du mit drei Turntables plus USB-Flash-Player on top transformierst, sodass du den Track, der dem Mix initial zugrunde lag, im weiteren Verlauf gar nicht mehr erkennst. Das grundsätzliche Floor-Statement eben aus den hinter uns liegenden Psycho-Thrill-BNKR-Jahren!

Deine Psycho-Thrill-Nächte im BNKR waren der absolute Geheimtipp für alle, die abseits der Hype-Maschine eine gute Party in Köln feiern wollten. Was war euer Rezept?

Es ging stets um musi­kalische Variablen oder das sogenannte »Cutting Edge«-Moment. Also neue Entwicklungen immer vor dem allgemein einsetzenden Club-Trend zu erfassen, und trotzdem so für den Floor aufzubereiten, dass jeder direkt ohne Berührungsängste dazu tanzen kann. So haben wir 2011 wieder angefangen, klassischen Electro/Hi-Tech-Funk mit damals aufkommendem UKG/Dubstep oder EBM/Industrial in einem allerdinsg grundlegend neuen Techno-Kontext zu spielen. An diese Mischung hatte sich vorher kein Club in Köln getraut. Wir schielten nicht auf Besucherzahlen und konnten deshalb inhaltlich komplett authentisch arbeiten. Für viele heutige am Platz existierende Party-Reihen wohl der damals vorweggenommene Blueprint.

Wieso bist du mit deiner Reihe dann nach Düsseldorf?

Der Wechsel bot sich an, da sich in Köln keine adäquate Location finden ließ, in der wir auf gleichem Niveau hätten weiterspielen können. Im »Golzheim« dagegen ergab sich via »Rohbau x Psychothrill«, dank dem GHM-Macher Daniel Fritschi, weiterhin die monatliche Chance, Headliner in perfekter Warehouse-Umgebung zu präsentieren, darunter eben viele aus Detroit oder dem UK. Als logische Fortsetzung dessen, was im BNKR stets an Sound obligatorisch war und bis heute ist.

Was spielst du denn heute? Irgendwelche bestimmten Styles?

Wenn du spontan spielst, willst du das definitiv nie vorher planen. Das übernehmen zu einem Teil die Atmo und das Publikum des Clubs, deine Emotionen, deine körperliche Konstitution … Das DJing im Vinylbereich ist eine Interaktion aus der physischen Verfassung und Energie — und dem spezifischen Augenblick, in dem du eine neue Platte aus deinem Koffer ziehst. Du entdeckst dabei vielleicht sogar Tracks, die du dich vorher nicht getraut hast zu spielen, weil sie ihrer Zeit manchmal schlicht zu weit voraus waren. Und auf einmal, wenn du sie heute auf den Teller legst, entwickeln diese Tracks eine derartige Dynamik und Durchschlagskraft, die eine völlig neue, dynamische Floor-Effizienz ergibt! Wer spontan arbeitet, ist oft im Vorteil.

Siehst du aktuelle Entwicklungen in der elektronischen Musik?

Du hast heute nicht mehr viel Range. Das Thema ist generell stark ausgelutscht, so wie HipHop oder R&B und Pop. Du musst als Spezialist in deinem Fach den Spagat schaffen, interessante Sounds, die im Detail noch eine Weiterentwicklung offenbaren, zu exzerpieren und das Ganze dann mit Produzenten und Labels zu konjugieren. Wichtig ist, dass ein DJ verschiedene Genres wie House, Techno und Electro konstant flüssig über seinen Mix und sein musikalisches Gesamtverständnis präsentiert und damit die Leute die ganze Nacht zum Tanzen bringt. Das ist der Auftrag. Der Rest ist irrelevant.

Und bei dir persönlich?

Interessen verlagern sich. Ich habe meine Balance zwischen Privatem und Berufung gefunden, die mir dennoch genug Freiräume lässt. Auch für meine monatliche »SpyInTheHouse«-Radioshow bei 674.fm. Ich muss aber nicht mehr jede Woche an den Decks stehen. Wenn man seit 1976 an ihnen arbeitet, dann bedeutet das auch über 40 Jahre hard work! Manche betrachten einen da schon als eine Art Techno-Methusalem.

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