CDU im Wahlkampf: Wo ist die Werteunion?

Phantom am rechten Rand

In der Kölner CDU wächst der Einfluss der Werteunion. Das behauptet der Medienanwalt Ralf Höcker der bislang Sprecher der rechten Initiative war. Aber wie groß ist der Einfluss wirklich?

Um einen theatralischen Auftritt ist Ralf Höcker nicht verlegen. »Passt gut auf Euch auf, wir leben in stürmischen Zeiten!«, schreibt der Kölner Medienanwalt Mitte Februar auf Facebook. Dort verkündet Höcker seinen Austritt aus der CDU und den Rücktritt als Pressesprecher der Werteunion. Der Verein versammelt CDU-Mitglieder, die den »Linkskurs« der Partei unter Angela Merkel kritisieren. Die Werteunion fordert von Migranten, dass sie sich assimilieren, will Gesamtschulen abschaffen und die »Ehe zwischen Mann und Frau« fördern. Kurz vor seinem Rückzug hatte Höcker in der Kölner CDU noch für Aufregung gesorgt: Im Februar ließ der Ex-Werteunion-Pressesprecher sich zum Vorsitzenden des CDU-Ortsvereins Südstadt wählen. »Solche Wahlen haben oft weniger mit inhaltlichen Positionen als mit persönlichem Einsatz vor Ort zu tun«, sagt Bernd Petelkau, Vorsitzender des 5000 Mitglieder starken Kreisverbands der Kölner CDU.

Allerdings hatte Höcker nach seiner Wahl gegenüber der Kölnischen Rundschau behauptet, drei von vier Ortsverbänden in der Innenstadt würden von der Werteunion geführt, die sich im Widerspruch zur Politik der Kölner CDU befindet. Seit 2014 kooperieren CDU und Grüne im Stadtrat, gemeinsam haben sie die parteilose Henriette Reker zur Oberbürgermeisterin gemacht. Reker hat sich erst kürzlich für die Aufnahme von Kindern aus griechischen Flüchtlingslagern ausgesprochen, die Kölner CDU unterstützt dies. »Ich halte diese Positionen der Kölner CDU für glaubwürdig«, sagt Lino Hammer, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Rat.

Rechtsruck in der Kölner CDU?

Aber gibt es innerhalb der CDU vielleicht auch eine Gruppe, die die Partei stärker nach rechts ausrichten will als der pragmatische Vorsitzende Bernd Petelkau? 150 Mitglieder soll die Werteunion in Köln haben, hatte Ralf Höcker gegenüber der Kölnischen Rundschau behauptet. Der NRW-Landesverband der Werteunion kann auf Anfrage der Stadtrevue keine Mitgliederzahl für Köln nennen. Auch ein Kreis- oder Ortsverband existiert nicht. »In Köln gibt es bislang nur einen informellen Stammtisch von Mitgliedern«, sagt Andreas Bohl, Marketing-Manager und Werteunion-Mitglied. Höcker sei an diesem Stammtisch nicht beteiligt gewesen, auch habe er keine Rolle beim Aufbau von Strukturen der Werteunion in Köln gespielt, sagt Bohl. Aus dem Rathaus ist zu hören, dass der CDU-Verkehrspolitiker Dirk Michel öfters zu Gast bei diesem Stammtisch sein soll — er ist Vorsitzender des CDU-Ortsverband Innenstadt-Mitte. Im Herbst möchte Michel für den Stadtverband Innenstadt/Deutz erneut in den Rat einziehen. Der Verband gilt in der Kölner CDU als explizit konservativ.

»Wir haben Höckers Behauptung verifiziert«, sagt CDU-Chef Bernd Petelkau. Die Vorsitzenden der vier CDU-Ortsverbände in der Innenstadt hätten ihm gegenüber eine Mitgliedschaft in der Werteunion verneint. In keinem der insgesamt 45 Kölner CDU-Ortsverbände hätte der Vorstand zudem eine Zusammenarbeit mit der AfD gefordert. »Das ist für uns der entscheidende Parameter«, sagt Petelkau. Auf dem Bundesparteitag 2018 wurde — auch auf Initiative der Kölner CDU — ein »Unvereinbarkeitsbeschluss« verabschiedet, der eine Zusammenarbeit mit »extremistischen Parteien« ausschließt. Für Petelkau fällt die AfD eindeutig darunter.

Werteunion und AfD

Offiziell schließt auch die Werteunion eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. »Mir sind keine Kontakte von Kölner Mitgliedern der Werteunion zur AfD bekannt«, sagt das Kölner Werteunion-Mitglied Andreas Bohl. Aber andere Mitglieder legen den Unvereinbarkeitsbeschluss offener aus. Der Ökonom und Buchautor Max Otte, dessen Vermögensberatung in Köln sitzt, ist Mitglied der Werteunion und der Vorsitzende des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Chef des Verfassungsschutzes und heute in der Kölner Kanzlei von Ralf Höcker tätig, spricht sich für Gespräche von CDU und AfD aus. Höckers Kanzlei berät zudem die Landtagsfraktion der AfD.

Eine der Kontaktpersonen zwischen der AfD und Höckers Kanzlei ist der Kölner AfD-Landtagsabgeordnete Roger Beckamp. Er hat Kontakt zur rechtsextremen Identitären Bewegung und war im Förderverein des rechtsintellektuellen Magazins Tumult aus Dresden aktiv. Beckamps Fraktion beschäftigt das rechtsextreme Kölner Ratsmitglied Markus Wiener, vormals Pro Köln, als wissenschaftlichen Mitarbeiter. Beckamp begrüßte Wiener persönlich auf Twitter als Teil seines Teams. In der Vergangenheit hat Beckamp mehrmals Treffen von AfD-Landtagsabgeordneten in der Kanzlei Höcker organisiert. Dabei sei es um medienrechtliche Fragen gegangen. Laut einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers soll Beckamp zudem über ein Büro in der Kanzlei von Höcker verfügen. Sowohl Beckamp als auch Höcker verneinen dies. Auch Hans-Georg Maaßen äußerte sich zu dem Bericht auf Twitter: Er kenne Roger Beckamp nicht. Und Beckamp schreibt auf Twitter über Maaßen: »Bedauerlicherweise bin ich ihm in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet.« Gegenüber der Stadtrevue behauptet Beckamp, lediglich einmal Büroräume »dort gemietet zu haben, wo die Kanzlei Höcker ansässig ist«. Was genau er damit meint, lässt er offen. Höckers Kanzlei sitzt am Friesenplatz, Beckamps Immobilienkanzlei sitzt laut seiner Website ein paar Häuser weiter am Hohenzollernring.

Nebelkerze als Methode

Immer wieder erhält man bei der Recherche solche bewusst mehrdeutigen Formulierungen als Antwort. Sie sollen Fakten suggerieren, aber vernebeln den Sachverhalt lediglich. Auch Ralf Höcker bedient sich dieses Stilmittels. Er habe eine »krasse Ansage« erhalten, schreibt er Mitte Februar, als er seinen Rücktritt erklärt. Viele Medien berichteten daraufhin, dass Drohungen der Grund seien. Die Staatsanwaltschaft Köln nahm auf eigene Initiative Ermittlungen wegen Nötigung auf, mittlerweile sind sie eingestellt. Höcker habe erklärt, er habe damit Ereignisse im "privaten Bereich" gemeint, sagt der ermittelnde Staatsanwalt Ulf Willuhn. In der Öffentlichkeit konnte jedoch über zwei Monate der Eindruck bestehen bleiben, Höcker sei unbotmäßig aus seinen Ämtern gedrängt worden — ein Opfer des Linkskurses der Kölner CDU.

»Es gab ein Gespräch mit Herrn Höcker, und er ist dann ausgetreten«, sagt der CDU-Vorsitzender Bernd Petelkau. Zentrales Thema des Gesprächs sei Höckers Teilnahme an der »Konferenz der Freien Medien« in Berlin im Mai 2019 gewesen, einer Versammlung von rechten Bloggern und YouTubern, die auf Einladung einiger AfD-Bundestagsabgeordneter stattfand. Laut eigener Darstellung hat Höcker dort eine »Vorlesung über journalistische Ethik« gehalten und die Anwesenden aufgefordert, »keine Fakenews mehr zu verbreiten.« In einem Video der Veranstaltung ist jedoch zu sehen, wie Höcker einem Vortrag des ehemaligen Alt-Right-Posterboys Milo Yiannopolous zuhört. An einer Stelle behauptet Yiannopolous, Journalisten würden Anschläge der Antifa ignorieren, weil sie der gleichen Gruppe angehören. Höcker klatscht Beifall. Im nächsten Satz bezeichnet Yiannopolous die Antifa als »militärischen Flügel der Medien«. Hat Yiannopolous in seiner Rede »Fakenews« verbreitet, während Höcker Beifall spendet? Dazu will sich der Medienanwalt dann lieber doch nicht äußern.

Korrektur: Eine alte Version dieses Textes bezeichnete Lino Hammer als "Fraktionsvorsitzenden" der Grünen im Rat. Er ist aber "Fraktionsgeschäftsführer". Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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