Alles muss man selber machen: Balbina, Foto: Christoph Kassette

Auf ihr Kommando

Mit »Punkt.« bringt Balbina ein Album in kompletter Eigenregie heraus. Bei der c/o pop erobert sie die Kölner Kulturkirche

Wer in den letzten Wochen aufmerksam Radio gehört oder Spotify auf Auto-Pilot gestellt hat, könnte über »Sonne.« gestolpert sein: »Sie ist der hellste Stern am Himmel / Hier kommt die Sonne«. Kommt das bekannt vor? Ist es auch. Immerhin war das Original der Neue-Deutsche-Härte-Band Rammstein Anfang 2001 doch sehr prominent durch die Kanäle gegangen und auf Platz 2 der Charts gelandet. Fast 20 Jahre später hat sich Balbina das Cover zur ersten Single-Auskopplung ihres Albums »Punkt.« auserkoren. Es ist das mittlerweile dritte Album in der Vita der 36-Jährigen aus Berlin.

Was nicht ganz stimmt, denn unter dem Pseudonym Bina veröffentlichte sie bereits 2011 ihr Debüt. Dieses war geprägt von ihrer Nähe zur Berliner Rap-Szene und vom Royal-Bunker-Mitglied Biztram produziert worden. Darüber hinaus war sie Tour-Support für Die Atzen. Das selbstbetitelte »Bina« war also ein Szene-Erfolg, trotzdem erfand sich Balbina 2014 auf dem Major-Label FOUR neu. War der Sound des Debüts noch von rockigem, punkigem, atzigem Rap geprägt, war sie nun eine Songwriterin und Sängerin. Dennoch verbinden beide Pop-Inkarnationen einige Markenzeichen, die bis heute Gültigkeit besitzen: Das ausgeprägte Spiel mit der deutschen Sprache — was ihr von Hatern auch als Gymnasial-Lyrik ausgelegt wird — und die Kontra-Alt-Stimmlage.

Der Umzug zum Fantastische-Vier-Label FOUR führte dennoch recht schnell zum Erfolg. Das »zweite Debüt« mit dem Titel »Über das Grübeln« hatte nicht nur Maeckes als Star-Gast, sondern
mit »Langsam Langsamer« und »Nichtstun« gleich zwei Tracks, die nicht nur Medien-Echo mit sich brachten, sondern nicht zuletzt Herbert Grönemeyer überzeugten. Der nahm sie gleich mit auf große Deutschland-Tournee.

Mit dem Nachfolger »Fragen über Fragen« (2o17) bewegte sich Balbina Monika Jagielska, so ihr voller bürgerlicher Name. immer weiter jenseits der bekannten Pfade. Normalerweise folgt auf den ersten Radio-Hit (hier: »Der gute Tag«) gleich ein zweiter. Stattdessen spielte sie mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg ein Konzert im Admiralspalast.

Der bekennende David Bowie-Fan hat sich ganz genau angeschaut wie die internationalen Strategien des Pops aussehen. Ihre Outfits scheinen stets ihre Körperformen zu verstecken respektive zu verformen. Im Interview mit den ­»Blogrebellen« trägt sie etwa eine Lederjacke, die in ihrem Ausmaß an den legendären Anzug des Talking-Heads-Sängers David Byrne erinnert. Um die Zügel in der Hand für solche Ideen zu haben, hat
sie sich mittlerweile von FOUR getrennt und ihr eigenes Label ins Leben gerufen: Polkadot Records. Eine Reverenz an ihre polnische Migrationsgeschichte — und ein Hinweis auf den Albumtitel »Punkt.«. »Ich wollte nicht ständig erklären müssen, weshalb ich Dinge entscheide und tue und gleich zum Ergebnis kommen. Ich habe bei FOUR stets alles durchgesetzt, was ich wollte. Das ging nur einher mit einem langen Kommu­nikations- und Diskussionsaufwand«, erzählt sie uns. ­Balbina sieht jedes Lied und jede Platte als Gesamtprodukt, weswegen sie mit jeder Veröffentlichung ein Video und ein ganzes Artwork mitgebracht hat.

Ebenso nahm sie zur neuen Platte die Marketingstrategie in die Hand. Das begann mit einem Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie. Am 3. Oktober — Tag der deutschen Einheit. Der 1983 in Warschau geborenen Balbina lag dieses Datum am Herzen. Es sei gleichsam das Datum der europäischen Einheit und des Sturzes des Eisernen Vorhangs. Doch als Balbina 1991 nach Deutschland kam, war die Welt keineswegs in Ordnung.
»Es bleibt hängen, wenn man als Kind an einen Ort kommt, mit gänzlich neuer Sprache. In meinem Falle nahm ich die Rolle der Außenseiterin an, dennoch war es mir immer ein Anliegen, durch den Dialog Anschluss zu finden. Die Sprache so leben zu können, dass ich meine neue Heimat fühlen kann. Ich denke, manchmal ist dies gelungen, manchmal weniger«, sagt sie heute. Für sie sei die Zeit an der Oberschule dennoch die Härteste gewesen, dort vermittelte man ihr die angebliche Andersartigkeit (gemeint ist ihre polnische Herkunft) aggressiv. Das habe sich nach der Schulzeit aber geändert. Heute scheint sie recht entspannt zu sein. Kein Wunder: Ihre Karriere macht mit »Punkt.« nochmal einen großen Schritt nach vorne. Alles hört auf ihr Kommando.

In Köln tritt sie bei der c/o pop in der Kulturkirche in Nippes auf — wo auch sonst, möchte man ausrufen! Balbina sieht sich nicht mehr in Clubs; zu wenig Platz, um sich zu verwirklichen. Jetzt fehlt nur noch der Chartserfolg. Und damit zurück zu »Sonne.«: Dieser Track hat mittlerweile über 100.000 Klicks bei ­Spotify. Anscheinend kommt die Mischung aus Rammstein, traphaftem Sound und tiefer Frauenstimme an. Ob das zum Durchbruch reicht? Sie sieht es pessimistisch: »Die Poplandschaft hier in Deutschland ist einfach so unfassbar einfallslos. Aus Überzeugung! Die lässt Pop mit anderthalb Gehirnzellen mehr schon gar nicht mehr zulässt.«

Selbst wenn man mit den Texten der Berlinerin nicht immer etwas anfangen kann: Freuen tut man sich schon, dass mal jemand Pop in Deutschland zu machen versucht, der sich abseits von den Mark Forsters, Sarah Connors und Johannes Oerdings bewegt.