Gina Haller am Schauspielhaus Bochum: »Ich musste einfach etwas sagen.«, Foto: Joerg Brueggemann / Ostkreuz

»Wir sind hier nicht zu Gast«

Gina Haller hat nach dem Anschlag von Hanau eine spontane Rede auf der Bühne gehalten

Am Tag nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, bei dem zehn Menschen starben, stand Gina Haller auf der Bühne im Schauspielhaus Bochum: ein Stück über Fremdenhass, Gewalt und eine rassistische Rhetorik, die weitere Opfer gefordert hat. »Ich musste einfach etwas sagen«, erzählt die junge Schauspielerin heute. Den Applaus des Publikums hat sie an diesem Abend unterbrochen — und zu einem spontanen Gespräch eingeladen. Von einer Frau, die an die Macht der Sprache glaubt, auch wenn das manchmal schmerzt.

Frau Haller, was ist an diesem Abend im Schauspielhaus Bochum passiert?

Am Donnerstag nach dem Anschlag in Hanau fand eine Kundgebung am Bochumer Hauptbahnhof statt. Meine Kollegin Jing Xiang und ich wären gerne dorthin gegangen, aber unsere Vorstellung von »2069« fand fast zeitgleich statt, ein Stück über Alltagsrassismus und eine von Wissenschaftlern proklamierte Zukunftsutopie, in der es mehr People of Colour als Weiße Menschen in Deutschland gibt. Als der Vorhang sich nach dem Stück sozusagen senkte und das Publikum zu applaudieren begann, ist die Wut und Trauer aus mir herausgebrochen. Ich habe spontan das Wort ergriffen und an die Menschen gedacht, die wenige Stunden zuvor bei dieser schrecklichen Tat gestorben sind.

Welche Reaktionen haben Sie bekommen?

Wir haben uns nach dem Stück in einer Runde von ungefähr vierzig Menschen im Zuschauerraum versammelt. Ich hatte das Publikum darum gebeten, dass wir miteinander sprechen über das, was passiert ist — und darüber, was in diesem Land falsch läuft. Als Schwarze Frau erfahre ich fast täglich rassistische Übergriffe, manchmal auch nur, indem ich wieder und wieder gefragt werde, woher ich komme. Ich bin geboren und aufgewachsen in einem kleinen Dorf in der Schweiz und finde dieses Nachhaken in seiner Häufigkeit verletzend. Das habe ich auch der Dame zu erklären versucht, die im Publikumsgespräch nach dem Stück meinte, sie bekäme diese Frage im Urlaub ja auch gestellt. Wir sind hier aber nicht zu Gast. Dieses Europa, das doch eigentlich so divers und vielfältig ist, ist unser Zuhause.

Die Diskussion war also nicht so affirmativ, wie man sie von einem Theaterpublikum nach so einem Stück erwarten könnte.

Nein, im Gegenteil. Die Stimmung war sehr emotional und die Offenheit, mit der da teilweise gesprochen wurde, war heftig. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Überforderung, die angesichts dieses Anschlags viele in unserer Runde umtrieb. Es zeigt sich ja, dass rassistische Übergriffe in den letzten Jahren wieder zunehmen — und eine Ende noch lange nicht in Sicht ist. Eine Teilnehmerin erzählte in diesem Zusammenhang von ihrer Verunsicherung, dass sie mittlerweile gar nicht mehr wisse, wie sie sich als Weiße, privilegierte Frau gegenüber People of Colour verhalten solle. Ich kann das verstehen, aber es tut mir auch weh. Rassismus verletzt Menschen, so ist es nun einmal, egal ob man es bewusst oder unbewusst tut.

Sie haben trotzdem zum Gespräch eingeladen und diese Kontroverse ausgehalten. Glauben Sie an die Macht der Sprache?

Ich glaube, sie ist das einzige, was uns in Krisenzeiten bleibt. Wir dürfen niemals schweigen, nicht über die Übergriffe, die wir erleben — und auch nicht über unsere Unsicherheit, wenn wir merken, dass wir selbst rassistische Ressentiments in uns tragen. Im Gespräch mit dem Publikum sagte ein Teilnehmer, seine Kinder seien auch »halb«. Ich kenne dieses schreckliche Gefühl, das ein einziges Wort erreicht: Nicht vollständig zu sein, mangelhaft, und ich halte das Theater für einen Ort, der das Sprechen darüber auf der Bühne ermöglicht. Der auch mal ein Herausschreien aushält, wenn wir nicht weiter wissen. Ich glaube, das Publikum will das hören, die Wut über Missstände und Ungerechtigkeit.

Und das fehlt Ihnen? Oder warum haben Sie als Schauspielerin spontan das Wort ergriffen, als sonst niemand etwas sagte?

Am Schauspielhaus Bochum sind wir unter Intendant Johan Simons glücklicherweise weit gekommen: Unser Ensemble ist relativ divers, wir zeigen Stücke, nicht nur von Weißen Männern, geschrieben für ein Weißes Publikum. Aber es stimmt schon: Mir persönlich gehen die Spielpläne und Theaterhäuser manchmal nicht weit genug. Ich würde mir mehr Radikalität und Unverschämtheit wünschen und dass wir als Schwarze Schauspieler nicht mehr nur eine Ausnahmeerscheinung auf den Bühnen sind. Gerade komme ich von einem Forschungsinterview aus Berlin zurück, eine Ernst-Busch-Schülerin arbeitet zu der Situation von Schwarzen Schauspielern an Theatern. Und jetzt raten Sie mal, wie viele sie auf den Bühne in Österreich, Deutschland und der Schweiz bislang ausmachen konnte?

Vermutlich sehr wenige…

Es sind genau 42 in drei Ländern. Ich finde diese Zahl erschreckend.

 

Warum?

Weil sie davon zeugt, dass wir als Schwarze Menschen noch immer eine absolute Randerscheinung auf deutschsprachigen Bühnen sind, eine Un-Selbstverständlichkeit, deren Rollenbesetzung immer auch auf eine bestimmte Art und Weise gelesen wird. Ich denke darüber in letzter Zeit viel nach — und ich möchte einfach als das verstanden werden, was ich bin, wenn ich auf der Bühne stehe: als Schauspielerin, die nach den Regeln der Kunst beurteilt wird.