»Eine Armee in der Faust«: wehr51 in der Kirche Sankt Gertrud, Foto: Alessandro De Matteis

Stumme ­Plastik­puppen

In der Kirche Sankt Gertrud inszeniert »wehr51« Schillers Räuber — im Dschihad

»Ich bin voller Hass und ich liebe das!«, zischt es über die Kopfhörer direkt in die Ohren des Publikums. Durch den Sakralbau der Kirche Sankt Gertrud im Agnesviertel schleichen drei Jugendliche, bewaffnet bis unter die Zähne und ebenso düster wie die Umgebung, durch die sie gleiten. Unbehagen macht sich breit. Hilfesuchend blickt man nach rechts, dann nach links: In der eigenen Reihe sitzen sonst nur aufblasbare Plastikpuppen. Ist man hier wirklich der einzige, der dieses Unglück kommen sieht?

So beginnt die Geschichte der Radikalisierung im deutschen Jugendzimmer. Frei nach Schillers »Die Räuber« erzählt das Kölner Ensemble Wehr51 unter der Leitung von Andrea Bleikamp und Rosi Ulrich von Momenten des Übertritts, von Verrohung und Strafe und der Frage, wie extreme Gewalt in der künstlerischen Tradition seit Jahrhunderten bearbeitet wurde. »Ich fühle eine Armee in meiner Faust — Tod oder Freiheit!«, sagte schließlich auch schon Räuberhauptmann Karl Moor.

Wer jetzt an Theaterbesuche mit dem Deutsch-Leistungskurs denkt, wird überrascht. Kein klassisches deutsches Drama, sondern eine Vielfalt der Künste prasseln ungefiltert auf die Zuschauer ein. Auf die kahlen Betonwänden der Kirche werden gewaltige Bilderfluten und Videoinstallationen (Jens Standke) projiziert, dazu fordern die sich ständig wandelnden Geräuschwelten von Sergej Maingardt den Hörsinn heraus. In fünf Akten begleitet man als Zuschauer eine fiktive Gerichtsverhandlung — von der Anklage bis zum Plädoyer. Dabei ist die Konfrontation mit dem Geschehen schonungslos: Unmittelbar und überall wird man mit Spielflächen, Lichtprojektionen und Videomappings konfrontiert. Auch das Schauspieltrio (Asta Nechajute, Lucia Schulz und Fabian Kuhn) nutzt die Macht, den diese fast grenzenlose Bühne ihnen verleiht.

Sie fordern heraus, machen Angst, ersticken kurze Hoffnungsschimmer, in denen die Menschlichkeit in ihre Körper zurückströmt, und wecken dennoch Mitgefühl. Ist der Dschihad eine Jugendkultur? Eine Rebellion gegen unser Wertesystem? Ist Gewalt in der Natur des Menschen verankert? Und wenn ja, wie kann man sie zum Guten lenken? Das Ensemble experimentiert und stellt Fragen, doch Antworten liefert sie keine. Statt dessen versucht man die Leerstelle mit Kunst zu stopfen: Eine sich überlagernde Kakophonie aus Bild, Musik, Schauspiel und Tanz zeigt die Vielschichtigkeit des Themas. Gerade das macht »IS Deutsche Räuber im Dschihad« aber zum politischen Theater — und zu einem Kunsterlebnis.