Text: Philippa Schindler | Foto: Pixabay

Das Gedächtnis der Kindheit

Wie erklärt man Kindern die Auswirkungen der Corona-Pandemie, ohne Panik zu schüren?

Als Kinder spielten wir Fangen. Und die erste Frage, die sich uns damals stellte, war: Wer ist Saddam Hussein? Der Fänger, also das Böse, war ein Name aus den Acht-Uhr-Nachrichten, ihm galt es in irgendein Versteck zu entkommen. Wir spielten es, bis die Meldungen aus dem Zweiten Golf-Krieg verblassten und ein anderes Wort in unser Bewusstsein drang, Jahre später auf dem Schulhof: Aids. »Jetzt hast du Aids«, riefen wir kreischend beim Fangspiel, wenn wir jemanden, verschwitzt und außer Atem, am Pulloverärmel gepackt hatten.

Jede Kindheit hat ihr eigenes kollektives Gedächtnis — so naiv, so ungefiltert es auch sein mag. Es ist ein verschwommenes Konglomerat aus aufgeschnappten Radiomeldungen, eigenen, irritieren­ den Alltagserfahrungen und dem Bestürzen der Erwachsenen. Etwas Un-Fassbares, das man nicht zuordnen kann und das größer ist, als man selbst. Und diese Kindheit? Seit Jahrzehnten haben Kinder keine staatliche angeordnete Quarantäne, keine Schließung der Schulen über mehrere Wochen und keinen abstrakten Virus, der um sich greift und Menschenleben bedroht, erlebt. Die Situation ist einzigartig. Und Erklärungen auf Fragen, die keine Scheu kennen, bleiben einem als Erwachsenem allzu oft im Halse stecken.

»Die Masken-Menschen in ­Bussen, Bahnen oder im Fernsehen können Kinder irritieren«, sagt auch Beate Leinberger, Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten. Ihr Tipp: Informationen rund um den Corona-Virus sollten in Ruhe besprochen werden, nämlich genau dann, wenn auch Zeit für Fragen der Kinder bleibt. Zeit, das ist — positiv betrachtet — das, was Familien an Schul- und Kita-freien Tagen gerade am meisten haben: Nicht einmal beim Puppenspiel im Theater oder beim Schmökern durch alle Etagen der Stadtbibliothek können wir die Stunden verplempern. Ist ja schließlich alles geschlossen, sämtliche Veranstaltungen sind abgesagt. Warum also nicht ein gemeinsames Tagebuch schreiben, um die Erinnerung an diese Zeit festzuhalten?