200.000 deutsche Touristen werden zurückgeholt — für die Kinder in den griechischen Camps zeigen die Politiker weniger Herz | Foto: Jörn Neumann

Ein Zückerchen für Köln

Köln will Geflüchtete aus den griechischen Elends­lagern aufnehmen, doch die Situation ist vertrackt

Die kölsche Kulturprominenz rief, »leev Henriette« antwortete. Anfang April forderten Kultur­schaffende Oberbürgermeisterin Henriette Reker in einer gemein­samen Videobotschaft auf, Köln zum sicheren Hafen für Menschen aus den Flüchtlingslagern auf ­griechischen Inseln zu machen. Reker reagierte prompt. »Das Pro­blem liegt nicht bei uns«, Köln stehe bereit. Sie gab die Verant­wortung weiter an Land, Bund und EU.

Reker ist geübt, solche Forderungen zu parieren. Schon länger befindet sich Kölns Flüchtlings­politik in einer Ohnmacht. Anfang Februar bekräftigte der Stadtrat mit breiter Mehrheit seinen Willen, Geflüchtete aus den Elendscamps aufzunehmen. Doch der Beschluss, 100 hilfsbedürftige und 16 unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Griechenland nach Köln zu holen, verpufft bislang. Kommunen können nicht eigenmächtig Geflüchtete aufnehmen. Der politische Wille Kölns ist symbolisch.

Fällt die Entscheidung in Berlin?

Wie machtlos ist die viertgrößte Stadt des Landes, deren Abgeordnete in Düsseldorf und Berlin regieren? Versteckt sich die Stadt hinter der Verantwortung der Bundesregierung?

Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat richtet seine Kritik nach Berlin. Die Bundesregierung habe in der Corona-Krise 200.000 deutsche Touristen aus aller Welt zurückgeholt, für die Spargelernte seien 40.000 Saisonkräfte aus Osteuropa gekommen. »Wenn solche Sachen funktio­nieren, unterstellen wir, dass der politische Willen fehlt, Geflüchtete nach Deutschland zu holen«, sagt Prölß. Dass sich Deutschland bereit erklärt habe, 350 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen, sei »ein Zückerchen für die, die eine großzügige Aufnahme fordern«. Wendet man die Verteilungs­schlüssel von Bund und Land an, werden fünf oder sechs Kinder nach Köln kommen.

Doch Prölß will vor allem das Land NRW nicht aus der Verantwortung entlassen. Das Aufenthalts­gesetz benennt in Paragraph 21 die Möglichkeit, dass Länder in eigener Zuständigkeit Menschen aus dem Ausland aufnehmen — allerdings im Einvernehmen mit dem Bundes­innen­ministerium (BMI). »NRW könnte die Regelung nutzen und festlegen, wie viele Menschen aus welchen Personen­gruppen man aufnehmen will«, sagt Prölß. »Wenn das BMI nicht einverstanden ist, muss man diesen Konflikt eben austragen.« Es sei rechtlich unklar, ob das BMI das Ersuch eines Landes überhaupt ablehnen könnte. »Es würde sich lohnen, hier zu streiten«, sagt Prölß.

Das Land NRW ist gefordert

Das findet auch Berivan Aymaz. Die Kölner Abgeordnete ist Sprecherin für Flüchtlingspolitik in der Grünen-Landtagsfraktion. »Wir haben in NRW über 20 Kommunen, die Platz für fast 700 Menschen anbieten«, sagt Aymaz. »Die Landesregierung muss den Willen der Kommunen als Basis nehmen, um ein Kontingent für die Aufnahme von Geflüchteten aus griechischen Camps aufzusetzen.« Aymaz’ Forderung richtet sich an Joachim Stamp (FDP), Nordrhein-Westfalens Minister für Kinder, Familie, Flücht­linge und Integration. »Die Landesregierung darf Kommunen wie Köln nicht im Regen stehen lassen.« Gerade die Kommunen, die der Zivilgesellschaft mit ihren Beschlüssen ein Versprechen ge­geben haben, müssten dies auch einlösen können. Dass Stamp Mitte April gegenüber der DPA äußerte, NRW sei »auf die Aufnahme auch mehrerer Hundert vorbereitet« und stehe als Auf­nahmeland bereit ist Aymaz zu wenig. »Schwammige Ankündigungen, die sich nett anhören, reichen in dieser Situation nicht. Wir brauchen ein konkretes Aufnahmekontingent und konkrete Verein­barungen mit dem Bundes­innen­ministerium.«

Von einem Sonderweg Nordrhein-Westfalens hält Bernd Petelkau nichts. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Kölner Rat und Landtagsabgeordnete fordert allgemeinverbindliche Vorschriften auf nationaler, aber auch auf europä­ischer Ebene. »Der Beschluss des Stadtrats stand immer unter den Kautelen, dass wir als Kommune nicht eigenständig handeln können«, sagt Petelkau. Dass sich Länder auf Paragraph 23 berufen, um einen Alleingang zu machen, hält er für rechtlich nicht umsetzbar. »Wir sind gut beraten, eine einheitliche Lösung im Konzert aller Bundesländer zu finden und nicht für einen nationalen Flickenteppich zu sorgen.« Wenn es zu einem Agreement komme, müsse Köln bereitstehen.

Niemand will den Konflikt

Wann und wie viele Geflüchtete in Köln Schutz finden können, bleibt ungewiss. Landesinnen­minister Stamp wird schon aus Rücksicht auf seinen Koalitionspartner CDU einen offenen Konflikt mit dem CSU-geführten Bundesinnenministerium vermeiden. Die Kölner CDU wird nicht die eigene Landesregierung unter Druck setzen, um die Ratsbeschlüsse einzufordern. Und die SPD beantwortet in Köln Migrationsfragen zwar progressiv, will in Berlin jedoch den Koalitionsfrieden nicht gefährden. »Die SPD-Fraktion versucht bereits seit Wochen, die CDU/CSU-Fraktion davon zu überzeugen, dass Deutschland vorangeht und wir Geflüchtete so schnell wie möglich aufnehmen — auch ohne die Zusagen anderer europäischer Staaten«, äußert Rolf Mützenich schriftlich gegenüber der Stadtrevue. Der Direktwahlkandidat für den Kölner Nordwesten ist Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion — den politischen Willen Kölns kann auch er nicht durchsetzen.

 

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