Natürlich immer noch nicht tot
Als Jens Spahn am 8. März empfiehlt, Veranstaltungen mit über 1000 Personen abzusagen, wähnten sich einige noch fast sicher. Doch in den darauffolgenden Tagen manifestiert sich mit allen bekannten Entscheidungen in der Kölner Kulturlandschaft ein bis heute unveränderter Gefühlszustand: Sorge, Verzweiflung, Ungewissheit. Dabei sind Institutionen wie die Philharmonie und das Schauspiel ebenso betroffen wie die kleinen Eckkneipen und Clubs. Erstere große Namen können durch ihre Prominenz immerhin mehr Menschen und Aufmerksamkeit erreichen, sind zudem öffentlich gefördert. Viele Betroffene mussten andere Wege finden, haben ihre Kunst im Internet verfügbar gemacht, etwa als Live-Stream. Szenerestaurants versenden ihre Menüs per Lieferdienst, Boutiquen werben mit Gutscheinen für die Post-Corona-Zeit.
Doch wie ergeht es subkulturellen Strömungen, die bewusst randständiger sind, wie zum Beispiel der Punk Szene? Die haben in Läden wie dem Sonic Ballroom in Ehrenfeld oder dem Limes in Mülheim ihre geliebten Instanzen. Wie wird dort mit der Krise umgegangen und dem Stillstand getrotzt? Christoph Heck ist Mitbetreiber des Sonic Ballrooms. Normalerweise platzt der Terminkalender aus allen Nähten, mehrmals die Woche werden neben dem regulären Barbetrieb Kulturveranstaltungen, Konzerte und Partys abgehalten. Seit Mitte März ist der Laden leer. Für das Team ist die Situation immer noch schwer greifbar, auch wenn es freilich Verständnis für die Maßnahmen hat. »Das muss jetzt so sein«, resümiert Heck pragmatisch. »Wenn ein Abend schlecht läuft, dann liegt es manchmal an der Band, manchmal am Ordnungsamt, manchmal an uns. In der jetzigen Situation gibt es erstmal keinen Schuldigen. Man kann sich nur an die Vorschriften halten und abwarten, sonst gibt es keine Alternative.«
Auf die finanzielle Bedrohung reagierte der Sonic Ballroom blitzschnell: Zwei Tage nach der Schließung am Freitag, den 13., wurde auf der Homepage eine Spendenaktion initiiert. Hier können Unterstützer*innen in verschiedenen Preisstaffelungen sogenannte »Spenden-Vorverkaufs-Karten« erwerben. Das sind Tickets für Veranstaltungen, die nicht statt finden, aber dem Laden den nötigen Ertrag garantieren, um weiterhin bestehen zu können. Die Idee kam ihnen, als sich viele Besucher*innen der ausgefallenen Konzerte persönlich meldeten und auf die Erstattung verzichten wollten. In dieser Form ist es nicht nur ein einfacher Spendenaufruf, sondern auch eine Erinnerung an die Kulturerlebnisse im Sonic Ballroom und ein hoffnungsvolles Ziel für die ungewisse Zukunft. Abgesehen davon werden die unerlässlichen Förderungsprogramme der Regierung in Anspruch genommen. Mittlerweile ist der Sonic Ballroom auch Teil der vielen lokalen Hilfsbündnisse wie Veedelsretter und Be my Quarantine. Hier verkaufen sie Getränkegutscheine und T-Shirts.
Kommen für den Sonic Ballroom auch gestreamte Punkkonzerte in Frage? Noch findet das Team den Gedanken an ein Konzert ohne Publikum gewöhnungsbedürftig. Auch sei ihnen wichtig, dass alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden. Für die Zukunft wird ein Stream aber in Erwägung gezogen, auch um auf dem Radar zu bleiben und den Kontakt zu ihrer Community zu pflegen. Bezüglich der Solidarität aus der Szene wurden ohnehin alle Erwartungen übertroffen. Viele Menschen sind dem Spendenaufruf gefolgt, um ihrer Lieblingskneipe durch die schwere Zeit zu helfen. »Das läuft wirklich super«, berichtet Christoph Heck. »Dank der Spenden in Verbindung mit der staatlichen Soforthilfe können wir die laufenden Kosten decken und die Löhne weiter zahlen, so dass wir uns bis in den Mai hinein keine Sorgen machen müssen.«
Auch auf persönlicher Ebene erhält der Sonic Ballroom viel Zuspruch. Auf der Facebook-Seite versorgen Heck und seine Kollegen die Gemeinde mit Updates: Fotos, Musikvideos von Bands, die im Mai gespielt hätten, Dank für die Spenden oder Verweise auf solidarische Aktionen. »Unter den Beiträgen kommen immer viele aufmunternde und mutmachende Kommentare. Wir erhalten viele nette E-Mails, Bands fragen, ob sie uns irgendwie unterstützen können. Die Kölner Punkband Sewer Rats hat uns ihren neu veröffentlichten Song gewidmet und die Spendenseite verlinkt. Da gibt es eine breite Solidarität«, erzählt er. Und tatsächlich: Der Post mit dem Spendenaufruf wurde über hundert Mal geteilt. »Wir vermissen euch!!!«, schreibt jemand, »Haltet durch und bleibt gesund.«, »Hoffentlich auf bald!«, bestärken andere.
Weitere Kneipen in der Szene erfahren das gleiche Maß an Unterstützung ihrer Gäste. Dem Limes auf der Mülheimer Freiheit wurde gar eine Spendenseite von Stammbesucher*innen aus der Nachtbarschaft eingerichtet. Auch hier berichtet die Belegschaft von ausreichend Spendeneinnahmen, um sich für mindestens zwei Monate über Wasser halten zu können.
Das Limes versucht ebenfalls, präsent zu bleiben. Am Wochenende verkaufen sie am Fenster Kuchen und Waffeln zum Mitnehmen und streamten ihr beliebtes Kneipenquiz auf der Plattform Twitch. Läden wie der Sonic Ballroom oder das Limes sind für die Vielfalt der Kölner Kulturlandschaft unverzichtbar. In den freundlichen Worten und der großen Spendenbereitschaft zeigt sich die Anerkennung und Solidarität der Kölner*innen, wie man sie szeneübergreifend beobachten kann. Das gibt Hoffnung, dass lieb gewonnenen Lokalitäten über diese schwere Zeit hinaus allen erhalten bleiben.