Spezialdemokratisch

Die SPD verliert in der Opposition den Verstand

Alle reden nur noch über Corona. Alle? Nee, die SPD schafft es, mit verstörenden Meldungen in eigener Sache durchzudringen. Neuester Clou: Die angesehene langjährige Geschäftsführerin der SPD-Ratsfraktion, Barbara Lübbecke, wird vier Monate vor der Kommunalwahl vom Fraktionschef Christian Joisten geschasst, einem leutseligen Mann mit kräftigem Handschlag, aber ohne markantes politisches Profil. Um Politik geht es in der SPD schon länger nur noch am Rande. Es tobt ein Macht­kampf zwischen den Unter­stützern Joistens und seinen Gegnern. Sie werfen ihm politische Instinktlosigkeit und Anmaßung vor. Im April versuchen die drei Fraktions-Vizes ihn daher selbst zu Fall zu bringen. Doch der Putsch, angeführt vom ausgebremsten SPD-Shooting-Star Andreas Pöttgen, scheitert. Eine knappe Mehrheit versammelt sich hinter dem irrlichternden Boss.

Um Politik geht es in der SPD schon länger nur noch am Rande

Diese beiden Ereignisse sind der bloß vorläufige Tiefpunkt einer SPD-Krise, die 2015 mit der krachenden Niederlage im OB-Wahlkampf gegen Henriette Reker begann. Dann strauchelte der damalige Fraktionschef Martin Börschel über Personalklüngel bei den Stadtwerken — und Joisten setzt sich knapp im fraktionsinternen Kampf um den Vorsitz durch. Doch statt seine Gegner einzubinden, verhärten sich die Fronten weiter.

Dann schmeißt noch Parteichef Jochen Ott hin. Die neue Parteichefin Christiane Jäger kann die Erwartungen nicht erfüllen. Die SPD dringt mit keinem Thema durch. Für die OB-Wahl kann man sich auf keinen Kandidaten einigen, schließlich schiebt Jäger mit Andreas Kossiski einen Unbekannten nach vorn. Die Basis darf nicht mitreden, prompt erntet Kossiski bloß 71 Prozent Zustimmung.

Was diese SPD noch zusammenhält ist eine Mixtur aus Trotz, Frustration und über viele Jahre an der Macht eingeübte Arroganz. Für Oppositions­politik ist sich die SPD zu fein, stattdessen versammelt man sich hinter Pauschal­kritik an Reker und dem schwarz-grünen Bündnis. Die SPD vollführt das Kunststück, trotz ihrer Zeit an der Macht, so zu tun, als hätten die Probleme erst mit Reker begonnen.

Verstörend ist, dass sich Joisten mit dieser Taktik durchsetzt — zumindest intern. Scheitert die SPD im Herbst bei den Wahlen, wofür vieles spricht, wird er den Druck auf Parteichefin Jäger lenken, mit der er über Kreuz liegt. Joisten wird bis dahin eine Erzählung gefunden haben, warum er für die Niederlage nicht verantwortlich ist. Das wäre eine irre Pointe. Wer sich eine starke Opposition wünscht, wird gern auf diesen bitteren Lacher verzichten.

 

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