»Das ist die ultimative Entmenschlichung«
Frau Sander, seit 2012 gibt es einen Bluttest, der vor Geburt nach Trisomien sucht. Er soll jetzt Kassenleistung werden. Wer hat das entschieden?
Das Verfahren lag beim Gemeinsamen Bundesausschuss der Krankenkassen (G-BA), das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Der G-BA hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, das Verfahren von medizinisch-technischer Seite zu beurteilen. Also zu entscheiden, wie zuverlässig der Test funktioniert.
Es ging also um eine technische und nicht um eine ethische Begründung?
Die ethische Dimension wird wie eine heiße Kartoffel von einem zum anderen geworfen. Im Sommer letzten Jahres gab es zur Orientierung eine erste Ethikdebatte im Parlament. Da gehört die Entscheidung auch hin. Es ist falsch, wenn Prüf-Institutionen oder der G-BA über solche weitreichenden Fragen entscheiden. Es gab noch keine breite parlamentarische und gesellschaftliche Debatte dazu. Ich möchte niemandem vorschreiben, was er zu tun oder zu lassen hat. Ich möchte eine Debatte einfordern.
Bis Ende Mai ist es möglich, beim IQWiG Stellungnahme zu einer Info-Broschüre einzureichen. Die Kassenzulassung ist an diese Veröffentlichung gekoppelt. Könnte dies ein Wendepunkt sein?
Es ist ein bisschen tragisch, weil wir vor der Corona-Pandemie das Gefühl hatten, dass die Fragestellung unter den Politikern wieder aufkommt. Jetzt haben wir Sorge, dass das Thema überlagert wird von den Ereignissen. Jede Einzelperson kann zur Info-Broschüre Stellung nehmen. Das ist eine Möglichkeit, seine Stimme einzubringen und die Veröffentlichung zu verzögern. Wir gewinnen Zeit für die politische Debatte.
Was sind die Vorteile aus Sicht der Befürworter?
Der Test ist risikoärmer als die Fruchtwasseruntersuchung, bei der es zu einer Fehlgeburt kommen kann. Viele argumentieren auch mit sozialer Gerechtigkeit: Ausgerechnet von der FDP wurde das Argument aufgebracht, die arme schwangere Frau finanziell zu unterstützen. Die Tests kosten nur noch 120 Euro, das ist unverhältnismäßig. Die Krankenkassen zahlen auch keine Brillen. Warum das auf einmal zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit hochstilisiert wird, ist nicht glaubwürdig. Das ist eine Scheindebatte. Wir verstecken uns, weil wir nicht ehrlich sagen wollen, was mitschwingt: Dass wir als Gesellschaft die Entscheidung getroffen haben, der Wert eines Ungeborenen mit Behinderung ist niedriger als der Wert eines gesunden Kindes.
Der Test ist schon auf dem Markt. Ändert die Kassenzulassung da überhaupt etwas?
Wir senden damit ein fatales Signal: Die Solidargemeinschaft der Krankenkasse zahlt dafür, bestimmte Behinderungen aufzuspüren und dann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auszusortieren. Indem wir vorgeburtliche Tests durch eine Kassenleistung »adeln«, erwecken wir den Eindruck, das sei eine medizinisch sinnvolle Maßnahme. Der Druck auf die einzelne Schwangere wächst, alles Mögliche zu tun, um sicherzustellen, ein gesundes Kind zu bekommen. Und es ist ein Dammbruch für alle weiteren Testmöglichkeiten.
Also geht es um mehr als die Finanzierung.
Es geht um Selektion. Ich ziehe immer gerne eine Analogie zu Ländern wie Indien und China. Da wird vorgeburtlich nach dem Geschlecht gesucht. Wenn es ein Mädchen ist, dann kommt es häufig zur Abtreibung, weil das für Familien eine soziale und finanzielle Belastung darstellt. In unserem Land würde jeder sagen, dass diese Praktik ganz fürchterlich grausam ist. Es würde einen gesamtgesellschaftlichen Aufschrei geben.
Was sagt denn der Ethikrat dazu?
Da gab es auch unterschiedliche Meinungen. Die meisten allerdings befürworten die Kassenzulassung. Im Ethikrat sitzt aber kein Mensch mit Behinderung. Wahnsinn! Das ist so, als wenn wir über die Lebensbedingungen von Frauen sprechen und nur Männer dazu befragen. Unvorstellbar! Überall wird mittlerweile eingefordert, dass Betroffene Teil der Gremien sind. Nur hier wird eine Ausnahme gemacht. Das ist die ultimative Entmenschlichung: Da vergessen wir dann, dass es auch Menschen sind.
»Mein Leben ist auch gut«
Nathalie Dedreux hat eine Petition gestartet
Ich bin Natalie Dedreux und habe das Down-Syndrom. Ich bin 20 Jahre alt und wohne in einer WG und finde das sehr gut. Ich will Journalistin werden.
Ich finde es selber auch nicht gut, dass der Bluttest auf Down-Syndrom von den Krankenkassen bezahlt wird, weil es sonst weniger Menschen mit Down-Syndrom auf der Welt gibt und dann habe ich weniger Freunde mit Down-Syndrom. Und ich will auch nicht in einer Welt leben, wo man meint, dass Menschen am Rand liegen gelassen werden sollen. Wir werden ja auch gebraucht. Das steht auch in Artikel 3 vom Grundgesetz. Menschen mit Behinderung haben die gleichen Rechte. Es macht mich traurig, wenn keine Menschen mit Down-Syndrom mehr hier sind. Deswegen werde ich weiter kämpfen.
Und deswegen bin ich auch raus auf die Straße gegangen und habe gegen den Bluttest demonstriert. Ich habe im Internet auf der Seite change.org eine Petition gestartet, um zu zeigen, wie cool ein Leben mit Down-Syndrom ist. Da können mehrere unterschreiben. Dann will ich die Petition den Politikern an die Hand geben. Vor uns muss man keine Angst haben, weil wir ja nichts tun. Mein Leben ist auch gut.