Hasskurven, bürgerliche Fassaden und neurechte Nachbarn

Polizistensohn Jan Böhmermann bringt seine Affinität zur Exekutive nicht nur musikalisch zum Ausdruck (»Ich hab Polizei«). Der Kölner ist im Kampf gegen Hass im Netz auch Freund und Helfer der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft, die in Gießen die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, kurz: ZIT, unterhält. Dort kooperieren zehn Staatsanwälte mit Böhmermanns Bewegung »Reconquista Internet«. In weniger als einem halben Jahr gab es schon 17.000 Meldungen. »Es ist, als hätte die Zivilgesellschaft geradezu darauf gewartet«, so ZIT-Vize Benjamin Krause zur Süddeutschen Zeitung. 140 Ermittlungsverfahren sind eingeleitet, doch Krause sagt: »Nur in sehr wenigen Fällen können wir die Urheber identifizieren.« Insbesondere Facebook gebe nur in Ausnahmefällen die Bestandsdaten hetzender Nutzer heraus, bei Youtube und Google funktioniere es besser, bei Twitter so gut wie gar nicht. Beim Kampf gegen Kinderpornografie, einem anderen Schwerpunkt der ZIT, kooperierten sämtliche Anbieter deutlich besser. So bleibt den Ermittlern oft nur Google als Fahndungswerkzeug; manch notorischer Hass-Post-Urheber hinterlasse Spuren an Orten, an denen er sich sicher wähnt. Doch die meisten sind nicht nur darin geübt, zu hassen, sondern auch, ihre digitalen Spuren zu verwischen.

Weil Spuren zu seinem Wohnsitz und seiner Anwaltskanzlei am Hohenzollernring führen, bleibt dem Kölner AfD-Landtagsabgeordneten Roger Beckamp nur Beschwichtigung: Das Portal Fritzfeed berate er lediglich juristisch, mit den Inhalten habe er nichts zu tun. Diese kreisen um die Diffamierung von Linken, Feminismus und des Islams. Oder wie es in der Selbstbeschreibung heißt: Unterhaltung und Nachrichten für Patrioten. Adressiert ist Fritzfeed an Jugendliche, die mit einem niedrigschwelligen Angebot in die Welt des Ressentiments gelockt werden. Für die Position, dass der Klimawandel nicht stattfinde, die Islamisierung dank linker Spinner hingegen schon, zeichnet laut Impressum Christian Schäler verantwortlich, der schon für Beckamps Youtube-Videos die Kamera bedient hat. Weitere Namen sind nicht zu finden. Netzpolitik.org konnte aber Fritzfeed-Autoren recherchieren, darunter auch Köpfe der Identitären Bewegung. Mit dieser möchte die AfD beim Aufbau einer bürgerlichen Fassade nicht in Verbindung gebracht werden. So bleiben nur halbgare Distanzierungen.

Vielleicht, wie von seinen Fans gewünscht, ein Thema für Jan Böhmermanns Podcast »Fest & Flauschig«: der neue Podcast »Lagebesprechung«. Der ist seit Mitte März ebenfalls u. a. bei Spotify zu hören ist und sich als »der Podcast zur Corona-Krise« vorstellt. Produzent ist der Verein »Ein Prozent«, zu dessen Gründungsmitgliedern der völkische Publizist Götz Kubitschek, der Chefredakteur des vom Verfassungsschutz beobachteten Compact-Magazins Jürgen Elsässer sowie Burschenschaftler Philip Stein gehören, inzwischen Chef von »Ein Prozent«. Ziel ist keineswegs eine Diskursverschiebung nach rechts, wie es mitunter verharmlosend heißt, sondern das Ende des Diskurses und die Errichtung eines rechts-totalitären Staats. »Wünschen wir uns die Krise«, schrieb Kubitschek bereits 2007, denn jede Krise stifte Chaos und bereitet so in seinen Visionen den Boden für einen Umsturz. Die Themen des Podcasts sind die anderer Medien dieser Tage auch: Ausgangssperren, Datenschutz, Politik in der Corona-Krise. Gesprächspartner aber sind bevorzugt Populisten wie der FPÖ-Rechtsaußen Herbert Kickl oder »der wohl bekannteste Landespolitiker der Bundesrepublik« — gemeint ist Björn Höcke, ebenfalls seit kurzem unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Spotify selbst wollte sich zu Böhmermanns neuen neurechten Nachbarn noch nicht äußern.