Ringeltauben und Tiefkühlkost

Die Klimaschutzsiedlung in Westhoven ist ökologisch vorbildlich. Wer hier wohnt, schätzt aber ebenso den Komfort und die gute Anbindung

 

Eine Ringeltaube gurrt, leise Gespräche von den Terrassen wehen durch die Sichtschutz-Hecken herüber. Es liegt eine hochsommerlich gedämpfte Stimmung über der Siedlung an der Amselstraße in Westhoven. Grund ist die Großwetterlage, aber vor allem der Shutdown in der Corona-Krise. Kinder haben mit Kreide auf den Weg gemalt, vor den kleinen Sandkästen mit den Sitzbänken ist Flatterband gespannt. Die meisten Bewohner scheinen daheim zu sein. Oben im dritten Stock, auf der Dachterrasse wiegt ein Mann einen Säugling auf dem Arm, im Parterre sitzen Frauen und Kinder auf dem Rasen vor ihren Wohnzimmern. Erst jetzt ist ein Auto zu hören. Aus dem Bofrost-Lieferwagen steigt der Fahrer, trägt einen großen Karton in die Klimaschutzsiedlung.

Insgesamt umfasst sie sechs Gebäude, jeweils mit drei Voll- und einem Staffelgeschoss und 14 Wohnungen. Gebaut hat die sie Porzer Wohnungsbaugenossenschaft Gewog im Rahmen eines NRW-Landesprogramms, mit dem hundert solcher Klimaschutzsiedlungen gefördert werden. Laut Energie-Agentur NRW fällt ein Drittel des Energieverbrauchs in Deutschland durch Beheizen von Räumen und Erwärmung von Frischwasser an. In den Klimaschutzsiedlungen hingegen wird bei Bau und Betrieb möglichst wenig Kohlendioxid verbraucht. 2011 und 2013 stellte die Gewog entsprechende Anträge. Nach zwei, drei Jahren konnten die ersten Genossenschaftsmitglieder an der Amselstraße einziehen.

»Schon seit Anfang der 2000er Jahre hat die Gewog vor allem bei Neubauten regenerative Energien für Beheizung und Warmwasserbereitung eingesetzt«, sagt Regina Bremer von der Gewog. »Da war es folgerichtig, dass wir mitmachen.« Ende 2017 hat sogar eine Delegation der Weltklimakonferenz in Bonn die Siedlung besucht.

Wer lebt in einem ökologischen Vorzeigeprojekt, das den Vorteil günstiger Mieten und eines genossenschaftlich organisierten Vermieters bietet? »Das sind nicht nur Menschen mit einem überdurchschnittlichen Engagement für Ökologie und Klimaschutz«, so Bremer. »Die Menschen hat ebenso die Architektur und die Sicherheit eines genossenschaftlichen Vermieters überzeugt.«

Eine davon ist Helga Heinen. Sie steht mit Hula-Hoop-Reifen auf ihrer kleinen Terrasse, ihr Mann trinkt einen Kaffee. Gespräch durch die Buchenhecken, wegen Corona. Die Eheleute, beide 71 Jahre, hatten vierzig Jahre in ihrer alten Wohnung gelebt. »Die war auch modern«, sagt Heinen. »Aber das hier ist viel besser!« Das Ehepaar ist 2016 in den zweiten Bauabschnitt gezogen. »Wir hatten uns schon lange vorher für die Wohnungen interessiert«, sagt Heinen. Jetzt wohnen die beiden Rentner im Parterre mit drei Zimmern und offener Küche, 84 Quadratmeter plus Terrasse für knapp 950 Euro warm. »Wir sind ja noch fit, fahren viel Rad, seit kurzem E-Bike, und ich gehe schwimmen.« Oft machen sie Touren, etwa am Rheinufer entlang. »Wir sind in fünf Minuten da«, sagt Heinen. Aber sie sind auch froh über ihre kleine Terrasse. In Zeiten von Corona zeigt sich, wie gut man es in der eigenen Wohnung aushalten kann. Oft sind es kleine Dinge im Alltag, die den Komfort steigern. »Ich mache ja ab und an gern Reibekuchen«, erzählt Helga Heinen. »Aber in der alten Wohnung, da zog der Geruch nie ab. In der neuen Wohnung merken wir schon nach ein paar Stunden nichts mehr.« Überhaupt habe alles einen hohen Standard, und man spare durch die Energieeffizienz auch Nebenkosten. »Neulich war mal zwei Tage die Heizung nicht in Ordnung. Aber es war trotzdem noch 20 Grad, die Wohnungen sind sehr gut isoliert. Auch unser Kater hat das gleich gemerkt und fühlt sich wohl.« Zudem kümmere sich die Gewog um die Außenanlagen, sagt Heinens Mann und zeigt auf die Rasenflächen vor dem Haus. »Wir müssen noch nicht mal die Hecke schneiden.«

Das liegt auch an Dierk Düchting und Frank Euler vom Büro de-architekten. Die beiden Architekten stammen aus Porz, ihr Büro liegt nicht mal 800 Meter Luftlinie von der Siedlung entfernt. »Man spürt dann schon eine ganz besondere Verantwortung, zumal ich das Areal noch von früher kenne«, sagt Düchting. »Und das Elternhaus meines Büropartners liegt dort gleich ums Eck.« Klar, die Siedlung sei auch ein Prestigeprojekt. Man könne nicht überall so bauen. An der Gewog schätzt Düchting unter anderem, dass sie eine Genossenschaft sei und nicht ein weiterer Investor, dem eigentlich egal sei, was später in der Siedlung passiere. »Von außen sieht das vielleicht relativ konventionell aus. Aber uns ging es ja nicht um Show-Architektur, sondern um ein anspruchsvolles energetisches Konzept und darum, gutes Wohnen zu ermöglichen.«

Natürlich baue man heute viel dichter, aber so könnten nun mehr Menschen hier wohnen als früher. »Dennoch wurde nicht so dicht gebaut, wie es zulässig wäre. Die Freiflächen sollten nicht Restflächen sein«, so Düchting. Außerdem habe man gut mit dem Landschaftsplaner zusammengearbeitet. »Oft sind Details entscheidend, die man erst wahrnimmt, wenn sie schlecht konzipiert sind.« Das seien etwa die Gestaltung der Wege oder die Art der Leuchten. Die Energieeffizienz habe starke ­Vorgaben gemacht, sagt Düchting, die Wohnräume wurden nach Südost und Südwest ausgerichtet. Es gibt moderne Solaranlagen, geheizt wird mit Holzpellets — und die Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung ­werden sogar mir Reibekuchengeruch fertig.

Rund um die Jahrtausendwende begann die Gewog, ihren alten Bestand zu modernisieren. Diese sogenannten Kriegsersatzbauten aus den 50er Jahren hatten bloß Kohleöfen und keine vollständigen Bäder — allerdings viel Grün vor den Fenstern, oft lagen große Wiesen mit alten Bäumen zwischen den Reihen der Mehrfamilienhäuser. Es sei dann die Aufgabe trotz Verdichtung hohe Wohnqualität zu schaffen, sagt Düchting. »Wenn dann noch Gemeinschaft entsteht, freut sich auch der Architekt«, sagt Düchting.

Offenbar gelingt das. »Das war direkt eine gute Hausgemeinschaft. Wir sind hier die Zweitältesten, es wohnen aber auch junge Familien im Haus. Die fragen jetzt immer, ob sie uns was einkaufen können«, sagt Gerda Conrady, 72 Jahre, am Telefon. Sie wohnt mit ihrem fünf Jahre älteren Mann im ersten Bauabschnitt. Zuvor hatten sie ein eigenes Haus in Porz-Urbach. »Das ist zu mühselig geworden«, sagt Gerda Conrady. »Als wir von der Siedlung hörten, hat das gleich unser Interesse geweckt.« Die Conradys wohnen nun oben im Staffelgeschoss, mit Dachterrasse, Sonne rund um die Uhr. »Wir wollten uns ja nicht unbedingt kleinersetzen durch den Umzug, da ist die Wohnung schon toll.« Auch für die Conradys ist die Ausstattung entscheidend, der Klimaschutz ist das gute Gefühl als Extra. »Wir haben auch einen Stellplatz fürs Auto, aber wir fahren so wenig wie es geht, die Stadtbahn-Linie 7 ist ja gleich vor der Tür«, sagt Conrady. »Und wir haben alles in der Nähe: Supermärkte, Frisör, Sparkasse, Ärzte, Blumenladen.«

Auf dem Weg dahin geht es vorbei an den älteren Mehrfamilienhäusern, hier sieht man noch größere Wiesen mit Bäumen dazwischen. Die Ringeltauben gurren wieder. Das und die Sägearbeiten an der alten Zimmerei, wo heute Wohnmobile untergestellt sind, waren früher die akustische Signatur der Siedlung. Der Bofrost-Mann hat seinen Wagen jetzt an einer anderen Straße geparkt. Früher kam der Kartoffelmann mit seinem Laster und bimmelte mit der Glocke. Große Eisschränke für Tiefkühlgerichte hatte hier damals kaum ein Bewohner.