Die neue Zeit - Köln in der Corona-Krise: Das Kölner Modell

Die Corona-Krise wird zu einer Verstaatlichung der Pop- und Musikkultur führen, Köln wird darin die Vorreiterrolle spielen. Eine Utopie mit Happy End

Köln ist Musikstadt, nach Berlin die wichtigste in Deutschland — ein banaler Satz, sicher. Aber er meint schon länger nicht mehr, dass hier besonders viele Konzerte stattfinden und sich um die einschlägigen Locations spannende Szenen gebildet haben. In Köln hat sich im vergangenen Jahrzehnt eine hochprofessionelle Infrastruktur herausgebildet: Clubs werden institutionell gefördert, die Ausbildung von Musikern an Gymnasien und der Musikhochschule ist exzellent, es gibt das ON-Netzwerk für Neue Musik, mit dem Stadtgarten das »Europäische Zentrum für Jazz und aktuelle Musik«, dann natürlich die Philharmonie mit ihren zahlreichen Förder- und Nachwuchsprogrammen und auf der anderen Seite die Klubkomm, die Lobby der Clubs und Veranstalter, und schließlich das Festival c/o pop, das sich immer lokaler aufgestellt hat. Es finden mehr Festivals statt, die städtische Förderung hat zugenommen, ein Bestandsschutz der Clubs gegen Immobilienspekulation ist zumindest artikulierter politischer Wille.

Das alles wird die Corona-Krise überleben. Ja, sogar gestärkt aus ihr hervorgehen. Das hat seine Vorteile — und wird irgendwann eine heftige Gegenreaktion provozieren. Skizzieren wir für die Musikstadt Köln eine Utopie, in der sich positive wie negative Aspekte verschlingen.

Mitte April ist klar, dass Konzert- und Partybetrieb im Mai nicht hochfahren wird, im Juni auch nicht. Dann werden die Festivals und Open Airs abgesagt. Nach der Sommerpause dürfen die Clubs öffnen, und das nur an bestimmten Tagen, und nur die, die Hygiene- und Distanzmaßnahmen einhalten können. Das sind nur wenige. Im November folgt der nächste Lockdown, die zweite Welle der Pandemie schwappt über uns herein.

Das alles schlägt auf die Musik durch: Punk und Pogo? Techno und Rave? Soul und gemeinsame Ekstase? Vergesst es! Die wenigen Konzerte werden kontemplativer, kopflastiger, die Verwerfungen in der Musiker- und DJ-Szene sind dramatisch. Viele werden das Handtuch werfen. Aber die, die übrigbleiben, werden ihre Lobbyarbeit zuspitzen. Im Dezember werden die führenden Kölner Musikkuratoren ein Papier vorlegen, das bundesweit für Aufregung sorgt und von allen großen Musikinstitutionen übernommen wird: Sie schlagen eine radikale Strukturänderung in der deutschen Förder- und Stipendienlandschaft vor. Musiker, Produzenten, DJs und Veranstalter erhalten eine Grundsicherung, die Arbeitsbedingungen — Locations, Studios, Auftrittsmöglichkeiten, Vernetzung, Veröffentlichungsplattformen — werden ihnen garantiert. Dafür entfallen Stipendien, Preise und anlassbezogene Förderung. So wird es kommen.

Die Bedingungen, um diese Sicherung zu erhalten, sind hart, natürlich. Ausbildung; Berufsjahre; Kenntnis der Musikgeschichte — all das muss man vorweisen und sich hart erarbeiten. Weil viel weniger Konzerte stattfinden und DJ-Sets nur als Stream, sind aber auch die Ansprüche an Musik viel höher.

Die faktische Verstaatlichung der Musikszene wird auf wenig Widerstand stoßen. Pop als Gegenkultur, Selbstermächtigung, Underground, Jugendkultur fristet nicht nur schon länger ein Zombie-Dasein, sondern wird als Lebensmodell einfach unattraktiv, wenn die Grundsicherung winkt. Ganz freie Musik wird es auch weiterhin geben dürfen, aber nur auf dem Papier, denn wo soll sie gespielt werden? Und machen wir uns nichts vor: Das Niveau der Musik wird durch die neue Förder- und Ausbildungsstruktur höher, wir werden zudem lernen, besser zu hören, konzentrierter.

Diese Utopie endet trotzdem schrecklich, weil sie schon bald auf eine konformistische Musik hinausläuft. Sie wird sich nicht erfüllen. Schon die verstaatliche Musik der DDR, die so, wie oben skizziert, sanktioniert wurde, verhinderte nicht das Aufkommen einer Free-Jazz- und Punk-Szene. Irgendwann wird die Corona-Angst diese Gesellschaft nicht mehr traumatisieren. Wir werden eine Gegenbewegung erleben, illegale Raves und Punkkonzerte, Jazz- und Neue-Musik-Auftritte in Wohnzimmern und Ferienhäusern. Wo wird das Kölner Modell zuerst stürzen? Natürlich in Köln selbst.