Die neue Zeit - Köln in der Corona-Krise: Wer soll das bezahlen?

Mit dem Corona-Virus kommt auch die Wirtschaftskrise nach Köln. Jetzt beginnt die Debatte darüber, wie man sie am besten bewältigt.

»Eine Rezession ist nicht zu vermeiden.« Das war die Botschaft der Wirtschaftsweisen im März kurz nach Ausbruch der Corona-Krise. Der Sachverständigenrat prognostiziert ein Schrumpfen der Wirtschaft — im besten Fall um 2,1 Prozent, im schlimmsten um 5,4 Prozent. Das ist auf dem Niveau der Finanzkrise 2009.

»In Köln wird das ähnlich aussehen«, meint Ulrich Soénius, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Köln. »Meistens folgt unsere ­Wirtschaftsentwicklung dem Bundestrend«. Die Wirtschaftskrise sei heute schon da — und zwar »branchenübergreifend«, wie Soénius betont. Events und Tourismus, der Einzelhandel, die Messe und die Kreativwirtschaft seien besonders stark betroffen, lediglich bei Softwarefirmen oder Games sei die Lage entspannter: »Die Krise hat einen enormen Digitalisierungsschub mit sich gebracht, und einige Spielefirmen haben ihre Produkte auch für die Industrie weiterentwickeln können«.

Für Arbeitnehmer*innen sind die Folgen katastrophal. »Die Corona-Krise ist für sie schlimmer als die Finanzkrise«, sagt Jörg Mährle, Geschäftsführer beim DGB Köln/Bonn. »Der Anteil an Kurzarbeit ist um den Faktor 10 höher.« Nun würden sich die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte deutlich zeigen, sagt Mährle. »Im Einzelhandel hatten wir um die Jahrtausendwende eine Tarifbindung von knapp 100 Prozent, jetzt liegt sie bei 45 Prozent.« Die Konsequenz: Der Durchschnittslohn dort beträgt 1300 Euro netto. »Damit landet man bei etwa 800 Euro Kurzarbeitergeld. Wie man davon in Köln Miete und Lebenshaltungskosten bestreiten soll, ist mir rätselhaft«, sagt Mährle.

»In der Krise müssen wir diese Fehlentwicklungen angehen«, fordert Mährle. »Das nächste Virus kommt auf jeden Fall.« Aber schon jetzt merkt er, dass dies auf Widerstand stoßen könnte, es zeigen sich die ersten Konfrontationen mit Arbeitgeberveränden. »Wir haben in der Corona-Krise sehr kompromissbereit reagiert«, sagt Mährle. So hätten einzelne Betriebsräte etwa flexibleren Arbeitszeitregelungen mit bis zu 12-Stunden-Arbeitstagen zugestimmt, um ein Zwei-Schichten-System einzuführen. Nun gäbe es bereits Forderungen, dies auch nach dem Ende der Krise fortzusetzen. Auch die Betriebsratsarbeit sei betroffen, sagt Mährle. Eigentlich müssen sich Betriebsräte in persona treffen, um Beschlüsse zu fassen. Im Moment sei das nicht möglich, man trifft sich digital. Manche Arbeitgeber würden auch diesen Zustand gern verstetigen. »Das ist billiger für sie«, sagt Mährle. Aber auch für die Corona-Zeit gelte: »Die Betriebe kommen besser durch die Krise, wo sich die Beschäftigten für ihre Interessen organisieren.«

Einig sind sich Mährle und Soénius jedoch in einer politischen Forderung: Die Kommunen brauchen zusätzliche finanzielle Unterstützung durch Bund und Land NRW. Auch Jörg Frank (Grüne) sieht das so: »Wir brauchen dringend einen Rettungsschirm für die Städte.« Frank ist finanz­politischer Sprecher der Grünen im Rat der Stadt Köln, seine Partei hat diese Forderung auch auf Landesebene gestellt. Denn in der Corona-Krise muss Köln mehr Geld ausgeben — für das Gesund­heits­amt, für Care-Pakete für Obdachlose, zur Unterstützung der freien Kulturszene und der Clubs.

Stadtkämmerin Dörte Diemert rechnet deshalb 2020 mit rund einer halben Milliarde Euro weniger Einnahmen für die Stadt, das sind etwa zehn Prozent des gesamten Haushalts. Bis April waren der Stadt Köln schon 108 Millionen Euro an Gewerbesteuer entgangen, weil Unternehmen einen Nachlass oder eine Stundung beantragt hatten. Hinzu kommen Einnahmeverluste bei den stadtischen Unternehmen. Theater und Oper verkaufen im Moment keine Karten, die Verluste der KVB schätzt Jörg Frank auf 50 Millionen Euro. »Eigentlich sollte der Stadtwerke-Konzern 2021 80 Millionen Gewinn an den städtischen Haushalt abführen«, erläutert Jörg Frank. »Das können wir vergessen.« Wie will die Stadt den Haushalt finanzieren? »Wir werden uns stärker verschulden müssen«, sagt Frank. Die Stadt habe einen Kreditrahmen von 1,8 Milliarden Euro an Liquiditätskrediten. Dieser sei noch nicht ausgeschöpft. Von Haushaltskürzungen spricht der Grünenpolitiker nicht — noch steht der Kommunalwahlkampf an. Kürzen könnte die Stadt nur bei den »freiwilligen Leistungen«, also Zuschüssen für Sport oder Kultur. Aber genau dort wird oft grün gewählt.

Und noch aus einem anderen Grund könnte eine Rückkehr zum Primat der Vermeidung von Schulden falsch sein. Nach der Krise werden öffentliche Investitionen nötig werden, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. »In was investiert und was subventioniert wird, ist der nächste politische Konflikt«, sagt Jörg Frank. In grünen und linken Kreisen wird schon länger ein »Green New Deal« diskutiert: ein öffent­liches Investitionsprogramm mit dem der Umbau der Wirtschaft in Richtung Nullemissionsproduktion finanziert werden soll. Ulrich Soénius sieht das skeptisch: »Ich glaube, Firmen sollten aus sich heraus Investitionen in Richtung Nachhaltigkeit anstoßen. Dafür werden Sie nach der Krise aber erstmal wieder Geld verdienen müssen.« Jörg Mährle vom DGB steht einem ökologischen Umbau offen gegenüber. »Die IG Metall hat schon in der Finanzkrise bei Ford in Köln eine Diskussion zur E-Mobilität anstoßen wollen, ist aber an der Firmenzentrale in Detroit gescheitert.« Das Resultat: Ford und andere Autofirmen haben sich mit SUVs aus der Finanzkrise befördert. Um einen Green New Deal oder andere Investitionen zu finanzieren, müsse sich politisch aber viel ändern. »Wir schlagen einen Sozialen Lastenausgleich vor, an dem sich diejenigen stärker beteiligen, die gut durch die Krise gekommen sind.« Außerdem sei ein gerechtes Steuersystem samt Börsentransaktions- und Erbschaftssteuer notwendig. »Der Staat muss in Krisen einfach besser reagieren können.«