Die neue Zeit - Köln in der Corona-Krise: Dichter und kränker

Allein die Klimakrise zwingt die Städte zum ­Handeln. Nun überlagert die Corona-Krise diese Herausforderung. Muss die Stadtplanung nun auch einen Schutz vor Epidemien leisten?

Das, was Großstadt ausmacht, rein quantitativ, ist eine hohe Bevölkerungs­dichte. Menschen, die wir nicht kennen, vielleicht auch nicht kennen wollen, wohnen nebenan, sitzen neben uns in Straßenbahnen, Kinos, Restaurants, bedienen uns in Geschäften, erbringen für uns Dienstleistungen: Wir kommen uns sehr nahe, ob wir das wollen oder nicht. Social Distancing ist das Gegenteil städtischen Lebensstils. Stadt bedeutet Vielfalt. Man sagt, die Städte hätten immer schon Toleranz befördert. Bereits die antiken Metropolen, zumal die Hafenstädte, waren ein Umschlagsplatz nicht nur von Waren, sondern auch von Ideen.

Mit Blick auf Corona sieht man aber auch, dass hoch verdichtete Städte ein Umschlagplatz von Krankheiten sind. Dichte wird zum epidemiologischen Problem. Zwar sagt die Bevölkerungsdichte nichts über die Ballung in den Zentren der Städte aus — denn die Fläche der Stadt beinhaltet auch unbebaute Gebiete —, aber es ist ein erster Richtwert. In Köln leben im Durchschnitt auf einem Quadratkilometer 2681 Menschen. In Wuhan sind es annährend doppelt, in New York fast viermal so viele.

Allerdings: Die Verdichtung der Städte macht sie gerade auch widerstandsfähiger. Denn die Gesundheitsversorgung ist in Städten oft besser als auf dem Land, es gibt mehr Angebote an Hilfeleistungen, Apotheken, Arztpraxen und die Krankenhäuser sind oft größer und besser ausgestattet. Die Wege dorthin sind kürzer — jedenfalls, wenn man nicht im Stau steckt oder die Stadtbahnen überfüllt sind oder ausfallen.

Aber wo ist der Punkt, an dem die Vorteile von Dichte ins Gegenteil umschlagen? Es gibt sie ja längst, die typischen städtischen Probleme: Lärm, Luft- und Wasserverschmutzung, Aggression, Kriminalität, psychische Belastung, auch Einsamkeit in der sprichwörtlichen Anonymität der Großstadt. Und derzeit eben auch ein erhöhtes epidemiologisches Risiko.

Dabei sagt die Bevölkerungsdichte nicht alles aus. Man müsste unterscheiden zwischen einer statischen und einer dynamischen Dichte. Während kleine Städte in der Nähe von Metropolen tagsüber meist schrumpfen, wachsen die Großstädte noch einmal an. Scheinbar endlose Pendlerströme lassen die Städte jeden Werktag anschwellen. Rund 345.000 Menschen sind es in Köln. Morgens strömen Menschen in die Stadt zu ihren Arbeitsplätzen, abends und am Wochenende zieht es sie zu Unterhaltung, Kultur, Gastronomie.

Das was sich hier tagtäglich vollzieht, ist begleitet von einem über­geordneten Trend. Seit 2008 leben erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. In den wachsenden Städten ergibt sich oft ein sich selbst verstärkender Effekt: Wachstum erzeugt Wachstum. Städte erscheinen dann wie Magnete, die Menschen aus dem Umland anziehen, das Gefälle zwischen Stadt und Land wird größer. Politik und Verwaltung werten Bevölkerungswachstum meist als Beleg für Attraktivität und somit erfolg­reiches Handeln — nicht als Zunahme eines epidemiologischen Risikos. Es ließe sich ohnehin kaum gegensteuern und das wäre auch kaum gewollt, weil es bevölkerungspolitische Direktiven und übergeordnete Masterpläne bräuchte.

Zudem sind auch kleine Städte und selbst schwach besiedelte Gebiete nicht vor Seuchen gefeit. Bei entsprechenden touristischen Attraktionen nimmt dort die Bevölkerungsdichte ebenso zu. Dazu zählen etwa abgeschlossene touristische Räume wie zum Beispiel Skigebiete, etwa Ischgl in Österreich, aber nicht zuletzt auch Events, und sei es eine Karnevalsfeier im Kreis Heinsberg. Muss angesichts der Seuche nun auch die Eventisierung hinterfragt werden? Als noch die Angst vor Terroranschlägen die größere war, wurden Volksfeste, Weihnachtsmärkte und unübersichtliche Großveranstaltungen abgesagt. Nun übernehmen virologische und epidemiologische Institute die Gefahreneinschätzung.

Es gibt solche dynamischen Verdichtungsprozesse wie durch den Event- und Urlaubstourismus auch innerhalb der Städte. Denn es gibt auch hier Besucherströme in das Zentrum, in die Unterzentren, aber auch in die Randzonen, etwa weil es dort Einkaufszentren, Fußballstadien oder auch Naherholungsgebiet gibt.

Aber Dichte, sei sie nun statisch oder dynamisch gedacht, ist immer noch eine zu grobe Kategorie in Bezug auf Epidemien. Es kommt darauf an, welche Menschen überwiegend zusammenkommen, sich drängen, in Kontakt treten. Wo besonders viele alte oder kranke Menschen leben, ist das Risiko für sie offenbar höher. Aber auch bestimmte Lebensstile oder kulturelle Praktiken können das Risiko befördern oder vor ihr schützen: Ist es üblich sich zur Begrüßung zu umarmen, sich die Hand zu geben? Oder ist es normal einen Mundschutz zu tragen? Und nicht zuletzt entscheidet auch Armut und Reichtum darüber, wie hoch das Risiko ist, von der Seuche betroffen zu sein. Der derzeitige Luxus, im Homeoffice arbeiten zu können, korreliert mit der Gehaltsklasse.

Was also könnte all das für eine pandemiesensible Stadtplanung bedeuten? Urbanität durch Dichte — das ist lange die Maßgabe der Stadtplanung in den Metropolen gewesen: weg von der Zersiedelung, hin zu kompakten Zentren, in denen sich nicht nur unterschiedliche Bewohner mischen, sondern auch deren Bedürfnisse und Tätigkeiten: Wohnen, Arbeit, Handel, Freizeit. Auch die Wohnformen ändern sich. Die bürger­liche Kleinfamilie ist längst nicht mehr der Standard, und das empfinden viele als Befreiung. Aber sind die neuen Wohnformen denn nicht epidemio­logisch anfälliger, ebenso wie die Großfamilie in ihren neuen Erscheinungs­formen? In deren Zusammenleben gibt es weniger privaten, dafür mehr gemeinschaftlichen Raum. Muss man sich etwa in den progressiven Baugruppen jetzt aus dem Weg gehen? Wird Gemeinschaft, die Vielzahl und der Wechsel von Kontakten zum Risiko? Dann ist das Virus gewissermaßen ein politischer Reaktionär. Wollen wir uns ihm beugen oder gibt es andere Möglichkeiten?

Eine verträglichere Konsequenz wäre es, stadtplanerisch die Wege durch den städtischen Raum zu verkürzen. Wir sollten urbane Dichte nicht mit Zentralisierung verwechseln. Denn die sorgt ja gerade dafür, dass sich Menschen auf den Weg in diese Zentren machen. Bislang konzentrieren sich bestimmte Attraktionen, aber auch Arbeitsplätze in bestimmten Stadtgebieten, meist in der Innenstadt. Überwiegen Synergieeffekte mögli­che Risiken? Eine bessere Verteilung auf die Kölner Veedel könnte ein Ausweg sein. Es gibt ein Einzelhandels- und Zentrenkonzept, um die Nahversorgung etwa mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs sicherzustellen. Ähnliches wäre für kulturelle Angebote und Events denkbar.

Und brauchen wir zudem nicht auch mehr Platz in den Städten? Aber wo soll der entstehen? Längst ist ja der Kampf um Flächen entbrannt. Man sieht das jetzt auf den Straßen, wo man sich auf Bürgersteigen und Rad­wegen viel zu nahe kommt. Wenn es um die Nutzung von Arealen geht, sprechen Politik und Verwaltung von »Flächenkonkurrenzen«. Brauchen wir Flächen für Wohnungen oder mehr Kultur, für Industrie und Gewerbe oder für Erholungsgebiet und Parks? Müssen wir ab jetzt epidemiologischen Gesichtspunkten auch in der Stadtplanung mehr Bedeutung zukommen lassen? Müssen ähnlich wie beim Klimawandel, die Städte nun zweierlei leisten oder auch nur eine Priorität setzen: Die Krise eindämmen, aber auch darauf vorbereitet sein, sich mit ihr zu arrangieren, weil sie womöglich nicht zu verhindern sein wird? Oder reichen eine bessere gesundheit­liche Versorgung, eine gute Koordination der zuständigen Stellen und Notfallpläne? Noch erscheint uns das ausreichend, zumal wenn die Seuche überwunden sein wird. Denn ein Impfstoff gegen Covid-19 wird gefunden werden, aber das Virus wird womöglich nicht das letzte sein, das um den Erdball tobt. Schlimmstenfalls könnten uns dann andere Ansteckungswege vor noch größere Herausforderungen stellen. Letztlich ist die Frage, wie sehr wir zulassen können und wollen, dass ein Virus unseren Lebensstil ändert.