Keine Fragen offen: Luke Slater

»Sound, Loop, Textur, Rhythmus, Frequenz«

Der britische DJ und Produzent Luke Slater kreiert den Mix »Berghain Fünfzehn« aus dem Archiv des Techno-Labels Ostgut Ton

Der 2. Januar 2020 neigt sich langsam dem Ende zu. Aber die Uhrzeit spielt jetzt sowieso keine Rolle mehr. Die Zeit steht still im Berliner Technoclub Berghain. Alle und alles ist weichgekocht, Körper verschmelzen im Zwischenreich aus Erschöpfung und Euphorie, manche TänzerInnen sind bereits viel zu lange bei diesem 72-Stunden-Silvestermarathon, andere noch relativ frisch dazugestoßen für den Entspurt oder kommen nach einer Pause wieder zurück. Wer sich jetzt auf der Tanzfläche befindet, stellt sich und anderen keine Fragen, er ist bereit aufzugehen in einem der größten Versprechen, das uns die Popkultur zu offerieren hat, individuelles Glück und kollektive Erfahrung in einem.

Luke Slater, der zu den Resident-DJs der Techno-Institution am Berliner Ostbahnhof gehört, spielt in diesem Moment den Soundtrack dazu. Trockener, schwingender Techno, leidenschaftlich und kühl zugleich. Seine Miene gibt keinerlei Aufschluss über sein Innenleben. Aber das will nichts heißen, ist vielmehr typisch für den 51jährigen Engländer, der zu den Urprotagonisten der elek­tronischen Tanzmusik gehört.
Angefixt vom ersten gehörten Mix zweier Platten im Jahre 1983 —
»I’m The Packman (Eat Everything I Can)« und »Jam On Revenge (The Wikki Wikki Song)« — sollte der früherer Plattenhändler schnell zum omnipräsenten Namen in der sich rasant entwickelnden englischen Rave- und Clubszene werden. Ende der 80er etablierte sich er sich zunehmend als Produzent. Das bekannteste Projekt von Slater ist Planetary Assault Systems, mit dem er auch auf dem dem Berghain angegliederten Label Ostgut Ton veröffenlicht.

Vier Monate sind vergangen seit jenen Silvester-Tagen und —Nächten. Die Welt könnte sich nicht drastischer verändert haben — zumindest aus aktueller Sicht, denn wer weiß, welche bösen Überraschungen im Klimawandel-Jahrhundert noch auf uns alle warten. An Ausgehen ist derzeit jedenfalls nicht mehr zu denken, an einen grenzenlosen Eskapismus wie im Berghain schon gar nicht. Und doch oder wohl gerade deswegen sind diese Gefühle und ihre aufgezwungene Absenz sehr präsent im Denken und Fühlen vieler Menschen, für die Clubkultur nicht nur ein Manchester-Kapitalismus-Ventil ist, sondern vor allem jener soziale Ort, an dem sie eine Utopie von Zusammenkunft ausleben können, wie es ihnen sonst in der Gesellschaft nirgendwo möglich ist.

Zum fünfzehnjährigen Labelgeburtstag hat Ostgut Ton mit Luke Slater somit gleich in mehrfacher Weise den richtigen Künstler für die Jubiläumsveröffentlichung angefragt. Sein »Berghain Fünfzehn«-Mix, der von sechs Maxis begleitet wird, betont dieses kommunikative Element, das Techno in seinen besten Momenten auszeichnet. Slaters Mix vermittelt das Bild einer Gemeinschaft, in der alle nur in Wechselwirkung mit den anderen existieren können. Denn DJs und ProduzentInnen sind keine reinen Sender, die Essenz ihres Musik entwickelt sich erst im Austausch mit den HörerInnen und TänzerInnnen — und untereinander. Letzteres ist im Fall von Slater wörtlich zu nehmen, er hat für seinen Mix nicht klassisch auf die Tracks von anderen Leuten zurückgegriffen, er hat alles, was er hier einbringt, selbst aus dem Backkatalog von Ostgut Ton »reassembled«, wie er es nennt, also zusammengebaut. Für »O-Ton Reassembled 3«, eines der zentralen Stücke, hat Slater Elemente aus »Wisedom of no escape« (von Tobias.), »Utility« (von Barker) und »Internal Bleeding« (von Steffi x Virginia) mit seinem eigenen »Planetary Assault Systems«-Track »Spell A« in Beziehung gesetzt.

In einem im März 2020 veröffentlichten Statement zum Mix betont Luke Slater, wie wichtig es ihm war, dem Anlass gerecht zu werden und »den Begriff DJ-Mix in einem stark parfümierten Rosenblatt-Mülleimer zu versenken«. Slater hat sich für diesen, wie er sagt »Rip the Cut«-Prozess, drei Regeln aufgestellt: »1. Es soll nicht wie ein Remix oder ein Mashup klingen. 2. Der Track muss als ein gut produzierter neuer Track für sich selbst stehen können. 3. Lass dich nicht von deinen Lieblingstracks von Ostgut Ton beeinflussen oder entdecke keine neuen.« Interessant am Tracklisting des Mix, für den Slater am Ende 26 neue Tracks aus über 130 »Ostgut Ton«-Maxis und Alben gebaut hat, ist, dass man erkennen kann, wie sehr Techno und seine Klangästhetik sich in den offenen Dialog mit den Orten des Austausches und den Rezipienten begibt. Slater ließ sich, wie er sagt, ganz von »Sound, Loop, Textur, Rhythmus, Frequenz« leiten.

Soweit die technisch-ethnologische Seitenstränge dieser Erzählung namens »Berghain Fünfzehn«, mit der Slater uns auf eine halluziogene Klangreise mitnimmt. Dem Ort und Anlass entsprechend hält er sich dabei nicht groß mit dezenten Gesten und Verführungsmomenten auf, sondern zieht einen direkt hinein in diese hochgetaktete und doch so sensibel gesponnene Dramaturgie. Auch wenn man die Splitter der verschiedenen Tracks erkennt, die in seine Klangarchitektur eingegangen sind, sind dies nsur Wahrnehmungsschatten, die einen nicht verharren lassen, sondern zärtlich über die Wange streicheln.

Seinen Mix endet Luke Slater mit dem eigenen Track »O-Ton Reassembled 6«, für den er Textfragmente aus »Waved Mind Archived Document« (einem Stück des Berliner Produzenten René Pawlowitz aka Shed) verwendet hat. Man hört in dem Stück euphorisierten Jugendlichen dabei zu, wie sie sich die Genese der eigenen Begeisterung für diese Musik gegenseitig erklären. Das ist eigentlich ziemlich lustig, aktuell klingt es aber vor allem wehmütig.