Buch statt Stream: Eric Pfeil

Zwischen Ermutigung und falscher Nähe

Wie Kölner Musiker*innen in der Corona-Krise versuchen, ihr Publikum über Streaming-Konzerte zu erreichen

Natürlich: Privilegiert ist, wer Corona-Krise und Quarantäne als halbwegs junger Mensch ohne nennenswerte Vorerkrankungen in Deutschland durchleben darf, wo sich Social Distancing für die Mehrheit der Bevölkerung problemlos verwirklichen lässt. Doch auch wenn uns das Virus das globale Wohlstandsgefälle noch einmal mit aller Macht vor Augen hält, so wäre es ebenso falsch, das subjektiv empfundene Leid von Menschen gegeneinander auszuspielen. So sind natürlich auch hierzulande bestimmte Personen- bzw. Berufsgruppen besonders hart von den Einschränkungen des alltäglichen Lebens betroffen. Insbesondere solche, deren Wirken in direkter Weise abhängig ist vom sozialen Miteinander. Dazu gehören eben auch MusikerInnen, deren ökonomische Grundlage zu einem Großteil auf Konzerten basiert, die aber auch psychosozial auf Publikumsresonanz angewiesen sind, um nicht in die sprichwörtliche Existenzkrise zu geraten.

Viele von ihnen setzen deshalb auf die Möglichkeiten der modernen Technik und suchen ihr Heil in Streaming-Konzerten für das Online-Publikum. Dabei handelt es sich nicht bloß um medienwirksame Inszenierungen, wie das von Elton John von seinem Wohnzimmer aus gehostete Event mit Startgästen wie Billie Eilish, Dave Grohl und Mariah Carey. Auch die lokale Szene macht, nun ja, mobil: Der »Cologne Culture Stream« sorgt in Kooperation mit dem Blog Dringeblieben von Rausgegangen für den regelmäßige Fluss an Konzerten, DJ-Shows, Lesungen und anderen Shows und möchte »gemeinsam und solidarisch dafür sorgen, dass alle Kölner auch in Zeiten der Isolation weiterhin am reichen kulturellen Leben unserer Stadt teilnehmen können.« Ein Drittel der Spenden für jeden Stream gehen in einen Solidaritätspakt für die Kölner Clubkultur, ein Drittel erhalten die auftretenden KünstlerInnen und das letzte Drittel steht für die Produktionskosten vor Ort zur Verfügung.

Einer, der schon Teil des Programms gewesen ist, ist der Kölner Pianist Max Freytag, dessen kontemplative Instrumentals eine Mischung aus poppigem Jazz und verträumter französischer Filmmusik bieten. Für ihn ist Streaming erst mal eine gute Sache, die »neue Möglichkeiten ermöglicht, eine Performance zu gestalten. Andererseits fehlt die Energie des Publikums und die direkte Kommunikation. Bei meinem ersten Online-Konzert habe ich gemerkt, dass es eine Herausforderung ist, die Anspannung und Konzentration ohne Publikum über 45 Minuten aufrecht zu erhalten«. Auch wenn Freytag einerseits frustriert ist, dass alle geplanten Konzerte zu seinem neuen Album »Picasso Fish Island« abgesagt wurden, so fühlt er sich als Musiker andererseits privilegiert: »Die Kreativität wird in dieser Zeit eher gesteigert. Man kann sich in der eigenen Wohnung zurückziehen und Musik machen, während andere Menschen dieser Bedrohung viel mehr ausgesetzt sind.«

Die Kölner Country-Folk-Sängerin Hanna Fearns hat aus der Not eine regelrechte Tugend gemacht und streamt direkt über ihre Facebook-Seite mindestens einmal die Woche live aus ihrem Wohnzimmer: »Für mich persönlich ist das Streaming schön und ich merke, dass mir das gut tut: Ich schminke mich, ich zieh mir was Hübsches an, überlege mir, wie mein Wohnzimmer gut ausschaut, was ich trinke.« Doch nicht nur dem eigenen Musikerinnen-Ego kommt die Sache zugute, auch das Publikum erlebt die Streams laut Fearns als Ermutigung: »Ich sehe das an den Kommentaren und privaten Nachrichten, die ich erhalte, dass Leute das als gut und wichtig empfinden, das inspiriert mich weiter zu machen. Die Leute sind noch emotionaler und legen offen, wie viel ihnen die Musik bedeutet. Im Kleinen merkt man dann, dass den Leuten Kultur eben doch total wichtig ist.« Doch auch wenn sich Fearns’ reduzierte Singer/Songwriter-Musik gut per Stream kommunizieren lässt, so sieht sie darin lediglich einen Behelf: »Ein Konzert ist immer ein gemeinschaftliches Erlebnis. Beim Streaming fehlt nicht nur mir das direkte Publikum, sondern das Publikum hat sich auch untereinander nicht — das gemeinsame Ergriffensein, die Freude. Beim Spielen muss ich mir immer wieder sagen: Hey, es ist ein Konzert, konzentrier dich!«

Kritischere Worte zum Thema Streamingkonzerte kommen vom Musiker und Musikjounalisten Eric Pfeil, der mit seiner psychedelischen Indiepopformation Die Realität vergangenes Jahr ein viel gelobtes Debütalbum veröffentlicht hat: »Ich persönlich brauche es nicht, meinen Lieblingsmusikern dabei zuzusehen, wie sie vor der Kommode mit den Familienfotos sitzen und ein paar Greatest Hits schmettern. Da wird Musik zur Dienstleistung.« Gegen Streamingkonzerte habe sich seine Band zudem entschieden, da sie nicht zum künstlerischen Ansatz passten: »Die Realität basiert auf einem gewissen Sound, der uns wichtig ist, und ich finde es falsch, seine künstlerischen Absichten so einer Hey-wir-sind-für-euch-da-Lagerfeuerschrammelei zu opfern.« Das Handeln mit vorgegaukelter Nahbarkeit sei in der Popmusik ohnehin zu einem in seinen Augen fragwürdigen Wert geworden: »Ich finde diese Nähe einfach nicht förderlich. Es entsteht kein Mehrwert.«

Wie immer man sich zu Streaming-Konzerten positionieren mag — das wirkliche Live-Erlebnis können sie nicht ersetzen. Wie so häufig, wenn etwas, das normalerweise im Überfluss vorhanden ist, plötzlich Mangelware wird, wird man sich seines Wertes schlagartig umso deutlicher bewusst. Dies ist vielleicht einer der wenigen positiven Aspekte der Krise: Wenn der ganze Mist erst mal vorbei ist, wird die Euphorie umso größer sein. Wenn die Infrastruktur dann hoffentlich noch vorhanden ist.