Die Wiederentdeckung des Cowboys: Jörg Burger

Wüstenservice Köln

Mit der Velvet Desert Music sind Reisen wenigs­tens im Kopf möglich

 

In den Anfangstagen der elektronischen Clubmusik wehrte man sich gegen die Stereotype der Musikkultur: Nicht die Band, auch nicht der DJ stand im Mittelpunkt, sondern die Crowd. Aus dem Paartanz wurde die Kultur des gemeinsamen Tanzens, in den Clubs wurden aus Duos Ornamente der Masse. Die Community stand im Vordergrund, das gemeinsame Erleben der Nacht — die nötigen Katalysatoren gab es etwa in Form von bunten Pillen. Man wandte sich gegen Mackertum und stellte Queerness dagegen. Einzelgänger und Cowboys hatten und haben es auch heute noch schwer in der Clubkultur.

Doch der Cowboy durchzieht gerade eine Wandlung, die ihn gangbar macht für den hiesigen Club und die Tanzmusik. Lil Nas X zeigte letztes Jahr der ganzen Welt, dass es eben auch schwarze* und schwule* Cowboys gibt, schon ein Jahrzehnt vorher demaskierte Ang Lee in »Brokeback Mountain« das brüderliche male bonding als homosexuell (aufgeladen). Karl May, der in seinen Landschaftsbeschreibungen bekanntermaßen stets Männerkörper versteckte, wird sich gefreut haben.

Der optimale Zeitpunkt also für ein Label wie Kompakt, sich der Welt des Westerns zu öffnen. Dies geschieht seit 2019 in Form der neuen Reihe »Velvet Desert Music« und geht dieser Tage in die zweite Runde. Verantwortlich für das neue Soundspektrum zeichnet Techno-Urgestein Jörg Burger, der als Masterengineer des Hauses vermutlich auch den Loner geben kann und darf. Dass Burger eine Leidenschaft abseits von House und Techno hat, wird jeder erkennen, der sich mit seiner enormen Diskografie auseinandergesetzt hat. Seiner Vorliebe für den gepflegten Gitarrensound kam er dabei zuletzt im Kollektiv- und Superband-Projekt Cologne Tape nach. Nun also als Kompilierer.

Burger gelingt dabei etwas, was man bei einem alten Dampfer wie Kompakt nicht mehr vermutet hätte: Innovation. Ziemlich weit weg vom totzitierten »Sound of Cologne« begründet er hier einen samtenen Wüstenklang, der sich frei macht von machistischen Rock-Gesten und konservativen Country-Dispositiven. Stattdessen manifestiert sich ein Mikrogenre, das von Kraut, Kosmischer Musik, vielleicht sogar Balearik zehrt, dem aber der Tanzflächen-Habitus ein wenig flöten geht.

Zur Folge hat dies, dass man zwar Clubmusik auf den Ohren hat, sich in der Nacht wähnt, indes aber Feld, Wiese, Steppe oder Prärie vor Augen haben wird. »Velvet Desert Music Vol. 2« ist vor allen Dingen Reisemusik. Stets angetrieben von Beats, aber offen für psychedelische Zeitmanipulation, quengelnde Gitarren und walkende Bässe, ist Kurzweiligkeit garantiert. Das mag so mancher als Beliebigkeit interpretieren, andere sehen darin
den nötigen Schritt für die häufig entwicklungsfaule deutsche Techno-Szene.

Tonträger: »Velvet Desert Music Vol.2« ist bereits auf Kompakt erschienen.