Wissenschaftlerin und Künstlerin: Kerstin Stutterheim

»Ich sehe mich als öffentliche Intellektuelle«

Kerstin Sutterheim ist die neue Rektorin der Kunsthochschule für Medien — im Interview spricht sie über Köln, ihre Pläne und den Lehrbetrieb in Zeiten von Corona

Frau Stutterheim, Sie haben am 1. April ihr Amt als Rektorin der Kunsthochschule für Medien angetreten. Die Umstände dürften Sie sich anders vorgestellt haben.

Die habe ich mir das tatsächlich anders vorgestellt, aber die Situation ist jetzt so. Wir arbeiten darauf hin, dass wir am 20. April mit dem Sommersemester anfangen (Anm. d. Red: Das Interview fand am 3. April statt). Die Lehre wird über eine digitale Plattform beginnen, und wir hoffen, dass wir dann irgendwann nahtlos wieder mit dem normalen Betrieb anfangen können.

Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist moderne Filmdramaturgie. Was versteht man darunter?

Verkürzt gesagt, gestaltet die klassische Filmdramaturgie eine lineare Erzählung entlang der Geschichte eines Helden. In der modernen Filmdramaturgie ist dies offener gestaltet, es kann ein Ensemble geben, fragmentarisches Erzählen, visuelles Erzählen …

Ist »Game of Thrones« ein Beispiel dafür? Sie haben ein Buch über die Dramaturgie der Serie geschrieben. Das Thema des Buchs wirkt allerdings wie eine Ausnahme in ihrer eher akademisch und bildungsbürgerlich geprägten Vita.

Das stimmt, das Buch über »Game of Thrones« sieht ein bisschen wie ein Ausreißer aus. Mich interessieren aber einfach Werke, die gut gemacht sind, da ist es mir egal, ob das Popkultur ist oder bildungsbürgerlich. Ich habe in meinen Dokumentarfilmen auch immer versucht, so unterhaltsam wie möglich zu sein. In meinem Film »Bauhaus — Modell & Mythos« habe ich mit den älteren Herrschaften auch nicht nur ernsthaft-faktische Interviews geführt. In meinen Dramaturgie-Büchern gibt es auch Kapitel zu Mainstream-Filmen und ich habe über skandinavische Krimiserien geschrieben.

Während Ihrer Zeit als Professorin an der Filmhochschule Konrad Wolf in Babelsberg haben Sie das Institut für künstlerische Forschung gegründet. Gibt es nicht einen Widerspruch zwischen den beiden Disziplinen? Kunst umgibt die Aura des radikal Subjektiven, während Wissenschaft nach größtmöglicher Objektivität strebt.

Sie haben recht: Kunst ist radikal individuell, aber sie war historisch Teil der Wissenschaften. Herausgelöst wurde sie erst im bürgerlichen Zeitalter. Künstlerische Forschung bedeutet, dass man über das hinausgeht, was man mit Worten darstellen kann. Künstlerische Forschung ist also Forschung mit anderen Mitteln. Wir nutzen unsere Fähigkeiten, unser Handwerk, um die Grenzen der Sprache zu überwinden. Es gab in Kanada zum Beispiel das wunderbare Forschungsprojekt »Soundscapes«, wo Komponisten und Wissenschaftler zusammengearbeitet haben, um herauszufinden, welche Bedeutung Sound in bestimmten Umgebungen hat. Die künstlerische Forschung kann im stark visuell geprägten 21. Jahrhundert den Wissenschaften etwas Neues hinzufügen und dabei akademische Standards aufgreifen und auch transformieren.

Haben Sie Beispiele?

Eine Doktorandin von mir arbeitet im Moment mit Krebsforschern aus Arizona zusammen, die sie eingeladen haben. Es gibt Beispiele, wo Wissenschaftler und Medienkünstler ganz eng zusammenarbeiten und die Künstler nicht nur Forschungsergebnisse illustrieren. Sie greifen Erkenntnisse und Fragestellungen, die in der naturwissenschaftlichen Forschung erarbeitet wurden, auf, um eine neue emotional-inte­llektuelle Verständnisebene zu schaffen.

Damit sind wir bei der KHM. Als Rektorin sind sie zuständig für die Ausrichtung von Forschung und Lehre. Welche Pläne haben Sie in der Hinsicht?

Ich habe natürlich Ideen, die ich aber erst mit den Kollegen diskutieren möchte. Ein Beispiel kann ich geben: Ich würde gerne Kontakt aufnehmen mit dem UNESCO-Sekretariat für Klimafolgenforschung und mit Hochschulen in NRW, die sich mit Klima, Wasser, Geopolitik beschäftigen. Man könnte zum Beispiel ein Speed-Dating zwischen Studierenden der Naturwissenschaften und unseren Studierenden anregen. Wo gibt es Synergien? Wo kann die Kunst dazu beitragen, das Verständnis komplexer Zusammenhänge zu erhöhen? Ich hatte gehofft, möglichst bald eine Antrittsvorlesung geben zu können, um meinen bunten Strauß an Ideen präsentieren zu können. Aber das wird leider erstmal nicht stattfinden.

Mein Eindruck ist, dass — mit Ausnahme von Siegfried Zielinski in den 90er Jahren —, die KHM-Rektoren eher hinter den Kulissen gewirkt haben und wenig im öffentlichen Diskurs der Stadt präsent waren. Wie sehen Sie sich: eher als Verwalterin hinter den Kulissen oder als öffentliche Intellektuelle?

Ich sehe mich als öffentliche Intellektuelle. Ich verstehe es auch als Teil des Amts, dass man sich in der Stadt einbringt. In Babelsberg habe ich das auch getan, mit Vorlesungen im Kiez zum Beispiel.

Sie sind für ihren neuen Job aus England nach Köln gezogen. Gerade berühmtere Professorinnen und Professoren an Kunsthochschulen wohnen ja oft nicht da, wo wie lehren. Ist Ihnen wichtig, vor Ort zu sein?

Ich will nicht über andere urteilen, aber Rektorin einer solchen Schule zu sein bedeutet, da zu sein für die Studierenden und Kolleginnen vor Ort. Ich finde es wichtig, nahe dran zu sein und die Stadt zu verstehen, in der ja auch die meisten Studierenden ihren Alltag erleben. Eigentlich wollte ich mir in den letzten drei Wochen ganz viel Kunst und Kultur in Köln anschauen und Kontakte knüpfen, das ist jetzt leider unterbrochen. Ich liebe das Museum Ludwig. Köln hat eine vielfältige Kunst- und Kulturszene, auf die ich total neugierig bin. Ich würde auch gerne die Studierenden und die Kollegen dazu anregen, viel in der Stadt zu machen. Die KHM präsent zu halten.

Es gab einen Konflikt zwischen Hochschule und Stadt, weil die KHM nicht ins Gebäude des ehemaligen Rautenstrauch-Joest-Museums in der Südstadt ziehen will. Was ist da aktuell der Stand der Diskussion?

Der Konflikt hat sich gelegt, weil es überzeugende Argumente gibt, warum das Museum nicht geeignet ist für die KHM. Es laufen Gespräche, und es wird hoffentlich zu einer Lösung kommen.

Das heißt, grundsätzlich möchte die KHM weiterhin in einen repräsentativen Bau in der Innenstadt umziehen?

Manchen scheint es so, als habe sich die Hochschule an ihrem verstreuten Standort zwischen Alt- und Südstadt ganz gut arrangiert. Es geht weniger um das Repräsentative, es geht darum, dass aufgrund der Attraktivität der Hochschule für die Studierenden der Platz knapp wird und wir mit steigenden Mieten zu tun haben. Daher ist es auch aus ökonomischen Gründen angeraten, einen neuen Standort zu finden, an dem alles in einem Haus gebündelt wäre. Das käme auch dem Austausch zwischen den verschiedenen Künsten entgegen. In Bournemouth, wo ich zuvor gearbeitet habe, waren wir auf einem Campus zusammen zum Beispiel mit Biologen, Kriminalisten und Hebammen. Beim Mittagessen oder gemeinsamen Feiern kam man interdisziplinär ins Gespräch.

Die Internationale Filmschule Köln ist aus der Innenstadt nach Köln-Mülheim gezogen. Wäre das eine Option?

Ich fände es toll, wenn die KHM im Stadtzentrum bliebe. Als Kunsthochschule kann man von der Innenstadt aus besser in die Stadt wirken — mit Projektionen, Veranstaltungen, dem Tag der offenen Tür. Aber wenn man genug Strahlkraft hat, geht es auch von außerhalb. Das Bauhaus wäre ein Beispiel. Zu deren Festen kamen die Leute selbst aus Berlin.

Ein Konfliktpunkt zwischen Studierenden und KHM ist der Fall Gebhard Henke. Obwohl er beim WDR nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung freigestellt wurde, kann er weiterhin an der KHM als Professor arbeiten. Oder gibt es da andere Neuigkeiten?

Ich bin erst drei Tage im Amt, zu dieser Frage kann ich Ihnen leider noch nichts sagen.


 

Kerstin Stutterheim

Die gebürtige Berlinerin ist promovierte Film- und Theaterwissenschaftlerin. Von 2015 bis zu ihrem Antritt als Rektorin der KHM arbeitete sie als Professorin für Media and Cultural Studies an der Bournemouth University in Groß­britannien, wo sie zudem das Research Centre for Film and TV leitete. Von 2006 bis 2015 war sie Professorin für Dramaturgie der audiovisuellen Medien an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und dort Gründungsdirektorin des Instituts für künstlerische Forschung (IKF). Von 2001 bis 2006 wirkte sie als Professorin für Film/Video an der  Fakultät für Gestaltung der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Außerdem ist sie als Filmemacherin, Produzentin, Künstlerin und Autorin tätig.