Keine reine Weste: Kurt Waldheim

Waldheims Walzer

Ruth Beckermanns Dokumentarfilm zeigt die aktuelle Dimension einer alten Polit-Affäre

Über ein Vierteljahrhundert ist die »Waldheim-Affäre« nun her. Hochaktuell ist sie in Zeiten des Rechtspopulismus dennoch. Das bemerkte auch die Wiener Filmemacherin Ruth Beckermann, als sie eine alte VHS-Kassette mit eigenen Aufnahmen aus dem Umfeld des Konflikts ihren Filmstudenten vorspielte und diese höchst interessiert reagierten. Nicht nur deswegen entschied sie sich, ihre filmischen Aufzeichnungen der Auseinandersetzungen um den österreichischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, die sie damals als Kamerafrau und Aktivistin begleitet hatte, zu einem langen Dokumentarfilm zu erweitern.

So sichtete sie sich jahrelang durch Filmarchive, um das eigene Material mit anderen — meist journalistischen — Dokumenten zu verknüpfen. Dabei nehmen im Film die fortschreitenden Enthüllungen von Waldheims NS-Vergangenheit durch den World Jewish Congress eine dominante Rolle ein. Großen Raum aber bekommen auch die Verteidigungs- und Ablenkungsmanöver im Umfeld des Kandidaten, die von Appellen an das österreichische Volksempfinden bis zum offenen Antisemitismus reichen.

Etwa wenn der ÖVP-Politiker Alois Mock von den Machenschaften »einer kleinen allerdings einflussreichen Gruppe« spricht und von den Dingen, die man »endlich einmal offen sagen« müsse. Redeweisen, die auch heute wieder verstärkt auftreten. Und wenn Waldheim selbst eine »groß angelegte Verleumdungs-Kampagne« gegen seine Person beschwört, kommt das als Muster fast unheimlich vertraut vor. Wie im Vergrößerungsglas auch zeigt sich die Herstellung kollektiver Identität durch Opfermythen, wie sie in Österreich, dass durch durch den Einmarsch deutscher Soldaten 1938 annektiert wurde, besondere Blüten schlagen konnte.

Beckermann und ihr Editor Dieter Pichler geben im Film den einzelnen Positionen ausreichend Raum, sich argumentativ zu entfalten. Und mit dem im persönlichen Ton gehaltenen, selbst gesprochenen Off-Kommentar gelingt es Beckermann, ihre eigentlich problematische Doppelrolle als Mit-Akteurin und Filmemacherin produktiv zu machen. In ihrem Voice-over benennt sie auch den positiven Effekt der Waldheim-Affäre für den öffentlichen Diskurs des Landes, das sich in der Folge langsam zu mehr Eigenverantwortung bekannte. Ein Späteffekt davon dürfte sein, dass der österreichische Fachverband der Film- und Musikindustrie »Waldheims Walzer« 2019 für den Oscar als besten fremdsprachigen Film nominierte. In Köln kam der Film nie ins Kino, jetzt ist er kostenlos in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung zu sehen.

(dto) A 2018, R: Ruth Beckermann, 93 Min. Gratis-Stream in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung: bpb.de