Nicht auf der Bühne ­— aber optimistisch: Magda Lena Schlott im Schauspiel Köln, Foto: Ana Lukenda

Wie stumm geschaltet

Wie ist das, wenn man plötzlich keine Bühne mehr hat? Wir haben fünf Theaterleute gefragt, was der Lockdown mit ihnen gemacht hat

Wie auf dem Zauberberg: Auf Streifzügen durch die Stadt denkt SE Struck von dem Künstler*in­nen-Kollektiv SEE! über die Welt nach

Auf meinen täglichen Spaziergängen durch den Park erinnert mich die Welt an eine riesige Kurklinik. Alle sitzen auf Bänken und Liegestühlen und besinnen sich. Die Welt als großer Zauberberg — ein poetisches Bild, das mir Hoffnung macht, dass diese Krise am Ende vielleicht doch für einige von uns in einer Friedlichkeit münden könnte, weil man sich entscheidet, auch nach der Pandemie in diesem entschleunigten Tempo weiterzumachen. Als Bühnenkünstlerin fühle ich mich durch den Lockdown gerade wie stumm geschaltet: In Online-Proben und Videokonferenzen spricht jeder aus seiner Echoblase, und die Kontaktsperre macht uns klar, wie unersetzlich physische Präsenz und geteilte Räume gerade für das Theater sind. Ich glaube, diese Erkenntnis wird für uns alle eindrücklich und prägend sein: Dass wir im digitalen Raum nichts gefunden haben, was unser Zusammenkommen ersetzen kann.

Krise als Chance: Die freie Schauspielerin Magda Lena Schlott hat zum ersten Mal seit zwei Jahren Urlaub

Ich finde diese Pause gerade richtig geil! Mein Nervensystem jubelt. In den letzten Wochen, seit die Theaterhäuser geschlossen haben, bin ich komplett in mein Privatleben gewechselt. Ohne den Lockdown hätte ich das nicht geschafft: mich zu erholen, mal durch zu atmen. Normalerweise bin ich als freie Schauspielerin rund um die Uhr beschäftigt, ich muss Projekte organisieren, Kontakte knüpfen, proben. Die Aufgaben hören eigentlich nie auf. Jetzt schaue ich in meinen Terminkalender und muss laut lachen: Ich verpasse nichts! Das Schauspiel Köln, wo ich eigentlich gerade mit »Eine Frau bei 1000 Grad« auf der Bühne stehen würde, hat im März und April ganz normal mein Honorar gezahlt. Das ist fair — auch gegenüber uns Freien. Ob mir das Rampenlicht fehlt? So richtige Sehnsucht habe ich noch nicht, das kommt erst später. Aber wenn ich ehrlich bin: Die Yoga-Stunde, die ich vor ein paar Tagen für meine Mitbewohner*innen gegeben habe, die hab ich schon ein bisschen als Performance-Plattform genutzt.

Durchs Hoftor raus, zur Haustür wieder rein: Simon Brinkmann ist mit seinem Hausprojekt ins Theater gegangen

Ich wohne mit 13 anderen Menschen in einem Hausprojekt in Kalk. Seit der Kontaktsperre sind wir zumindest abends fast alle Zuhause — und haben uns ein paar schöne Projekte überlegt. An einem Abend sind wir zusammen ins Theater gegangen. Wir waren alle ziemlich schick angezogen, mit Bluse und schwarzem Sakko, und haben uns dann, um kurz vor Acht, im Hof gesammelt. Ich hatte darauf bestanden, dass wir diesen kleinen Umweg nehmen: durch das Tor raus und ein paar Meter weiter wieder zur Haustür rein. Im Wohnzimmer war dann alles schon aufgebaut. Die Leinwand hatten wir heruntergelassen, an einem Kochlöffel hingen Brezeln aufgereiht nebeneinander, und es gab einen kleinen Sektempfang. Wir haben über einen Streaming-Dienst das Theaterstück »Grrrrrl« geschaut und danach noch lange zusammen gesessen und darüber gesprochen. Ich glaube, es hat uns allen richtig gut getan, mal wieder raus zu kommen.

Alles neu, alles anders: André Erlen, Mitbegründer der Theatergruppe Futur 3, blickt optimistisch in die Zukunft

Die letzten Wochen haben sich für mich wie ein Aufatmen angefühlt — als erholten wir uns alle aus einem kollektiven Burnout. Meine Familie und ich haben diesen Schrebergarten am Rande der Stadt, von dem wir eigentlich dachten, wir könnten ihn in diesem Frühjahr überhaupt nicht nutzen: Ständig wären wir für Auftritte und Veranstaltungen unterwegs gewesen. Das ist nun alles auf einen späteren Zeitpunkt verschoben — und ich bereite nun gerade doch die Bienenkästen für die neue Saison vor. Wäre die Krise heute zu Ende, ich wüsste nicht, was ich in mein persönliches Fazit schreiben würde. Die Unsicherheit, wie es in den nächsten Monaten weitergeht, zehrt an mir, aber im Moment überwiegen trotzdem
die positiven Aspekte. Wir denken über neue Projekte nach, schmieden neben Plan B, auch noch Plan C und D, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, und bereiten uns wie verrückt auf die Zeit vor, in der die aufgeschobenen Termine dann noch geballter als ohnehin schon ablaufen werden. Aber das ist ein kreativer Stress, ein Stress, der einen nach vorne bringt und nicht verharren lässt.

Ausgang ungewiss: Für die Choreografin Sonia Franken fühlten sich die letzten Wochen an, wie der Beginn an einem neuen Stück

In meiner künstlerischen Arbeit geht es viel um Improvisation — und mir scheint, als würde mir dieses Handwerk angesichts der Krise gerade helfen. Die letzten Wochen erinnerten mich an die erste Phase in der ich ein neues Stück beginne: Wir kennen grob das Thema, aber wissen noch nicht, welche Richtung wir letztendlich einschlagen werden. Mit der Kontaktsperre bin ich vorübergehend aufs Land zu meinen Eltern gezogen: Hier bin ich viel im Garten, arbeite an neuen Tiermasken für das El Cuco-Projekt und schreibe Notizen auf. Ich finde, wir sollten wirklich den Mut haben, jetzt eine Pause einzulegen — mal vom Produktionspedal herunter zu treten und die Geschwindigkeit herauszunehmen. Als freischaffende Künstlerin eile ich von einer Antragsfrist zur nächsten und der Druck ist enorm hoch, aber jetzt ist vielleicht die Zeit, um neue Kraft zu schöpfen. Und offen zu sein für neue Impulse und andere Prioritäten.