Im Guckkasten: Ein Theatertext im Netz

Corona-Monologe

Ein virtueller Writers-Room schreibt auf Distanz

Sie versuchen die Stille zu füllen. Auf ihren Youtube-Kanälen zeigen viele Theater neben Stücken aus der Konserve einen Kessel Buntes aus dem Home Office: puristisch vor Raufasertapete und Doppelsteckdose oder dekadent zwischen Avocadomaske und Badeschaum. Auch Anne Rabe, Maja Das Gupta, Daniel Gieselmann, Konstantin Küspert, Hannah Zufall und Lars Werner sitzen dieser Tage am Fenster zur Welt. Doch Wandschmuck und Kissenbezug bleiben im Backend.

Auf der Oberfläche eines Google-Dokuments entsteht ein Theaterstück in Courier. Es folgt der Dramaturgie der Corona-Pandemie. Im Guckkasten verarbeitet der virtuelle Writers-Room Eindrücke und Deutungen zu Corona-Monologen. »Theatertexte eignen sich besonders gut, um unterschiedliche Stimmen in einem Text zusammenzubringen«, findet Anne Rabe. Gerade diese Mehrstimmigkeit ist im Stande die gegenwärtige Ungewissheit zu vermitteln. Prosa oder ein Essay seien für sie aktuell nicht das Richtige, erklärt Rabe, die das Projekt ins Leben gerufen hat.

Zu Beginn überwiegen noch komikhafte Überzeichnungen: ein erschöpfter, ausgemergelter Hund, der zum Spaziersklaven eines ganzen Häuserblocks wird, und eine Influencerin, die im Auftrag der Bundesregierung umständliche Abstandsmode, zum Beispiel einen Reifrock mit anderthalb Metern Radius entwirft. Im weiteren Verlauf hält eine bedrohliche Atmosphäre Einzug. Polizeidurchsagen und sprechende Apps verdichten sich zum Szenario eines autoritär durchgreifenden Staates. Nicht fehlen darf natürlich der Virologe Drossel, der zwischen Selbstüberschätzung und dem Gefühl der Unzulänglichkeit oszilliert: manchmal riesig groß (zwölf Meter), dann wieder ganz unwissend und klein.

Der Reiz des Projekts ist die minimale historische Distanz. Die Autor*innen kennen den Verlauf des Plots ebenso wenig wie die Leser*innen. Mit dieser Methode sind die Dramatiker*innen an ihren Bildschirmen auch zugleich künstlerische Chronist*innen des gesellschaftlichen Wandels. Die Kurve der Infektionen droht manchmal zur einzigen Visualisierung der zeitlichen Entwicklung zu werden. Denn neue Berichte, Erkenntnisse und politische Entscheidungen prasseln im Höllentempo auf uns ein, während das Aktuelle das Gestrige in den Timelines verdrängt.

Den Corona-Monologen gelingt es, die soziale Gegenwart der Pandemie klug und humorvoll in einem uneindeutigen Stück mit ungewissem Ausgang zu reflektieren. Dabei machen sie Lust auf Theater — auch ohne Bühne und Schauspiel.

textbuehne.eu/coronamonologe