Geschichte aus Fragmenten: Ivana Sajko

Geschichte wird erfahren

Ivana Sajko erzählt die Geschichte Jugoslawiens als eine Collage von Textfragmenten

»Ich wollte zeigen, dass es unzählig viele Arten gibt, über Tatsachen zu sprechen. Keine einzige davon bildet die Wahrheit ab«, sagt Ivana Sajko zu Beginn ihres »Familienromans« über ihre »Herkunft« Kroatien. Daher versucht die 1975 geborene Schriftstellerin all diesen Perspektiven auf »die Ereignisse von 1941 bis 1991 und darüber hinaus« Raum zu geben. Sie legt in Skizzen, Gedanken und Erinnerungsfragmenten Schicht für Schicht den Blick auf die von der Geschichte allzu leicht Vergessenen frei: die Partisanen, die gegen Nazis und Ustascha-Einheiten kämpften, die Opfer des Jugoslawienkrieges.

»Wie kann man das aufschreiben?«, wird im Roman gefragt, und das Buch zeigt schon in seiner Form, dass es auf diese Frage keine einfache Antwort gibt. Denn anders als einer der zahlreichen Protagonisten — ein Dichter, der den Partisanenkampf in Worte fassen will — wählt die Autorin keine »lineare Narration«, sondern collagiert den Roman aus verschiedenen Textformen: Bericht, Familiengeschichte, Stadtchronik, historischer Roman. Allerdings ist dies eine Stadtchronik voller »Diskontinuität und Beschleunigung« und ein historischer Roman »unter Vermeidung sowohl des Genres wie auch jeder Ideologie«. Darüber hinaus werden die Protagonisten des Romans nicht als Identifikationsfiguren für die Leser inszeniert, sondern als Träger von geschichtlichem Wissen ausgestellt, als Figuren, die im Zweifel der Schwere der Realität auch einfach entschweben können: »Sie breitet ihre Flügel aus und verlässt den Zuschauerraum.«

Es ist gut, fliegen zu können, denn die erzählte Geschichte ist eine Geschichte der Kriege, des Verdrängens und des Verschweigens. Ivana Sajko konfrontiert die Geschichtsschreibung der Machthabenden, die Tatsachen verdreht, Zahlen tilgt, Sätze ergänzt und Fotos retuschiert, mit dem Verdrängen des Unerträglichen auf der Opferseite. Die Erzählerin, eine Enkelin von Partisanen, muss in historischen Werken einzelne Seiten überspringen, um sich nicht den Grausamkeiten der »faschistischer Racheakte« auszuliefern.

»Das realistische Ausmalen ihres Alltags schafft Szenen betörender Fiktion«, heißt es im Buch über eine der Figuren und in ähnlicher Weise gelingt es Ivana Sajko in ihrem »Familienroman«, durch das realistische Ausmalen von Fiktion und die fiktive Beschreibung historischer Ereignisse, die Geschichte Kroatiens in »betörenden Szenen« zu erzählen, als ihre ganz eigene, subjektive Geschichte: »Ich habe sie nicht gewählt, sie ist mir geschehen«.

Ivana Sajko: »Familienroman.
Die Ereignisse von 1941 bis 1991 und darüber hinaus«, Voland & Quist, 174 Seiten, 20 Euro