Räume, Egos, Klang und Verschmelzung

Ein Treffen mit Stefan Schönegg und Philip Zoubek, die im Kölner Improvisatoren-Kollektiv Impakt aktiv sind

Zwischen Improvisatoren und ihrem Publikum besteht ein enger Zusammenhang: Denn die ganze Magie von Improvisierter Musik oder freiem Jazz entfaltet sich nur auf der Bühne. Natürlich gibt es legendäre Aufnahmen — und von all den verstorbenen Musikern haben wir eben nur noch die Aufnahmen —, aber wer die Dynamik eine Konzertes erlebt hat, die rasanten Interaktionen der Musikerinnen und Musiker, die unterschwellige, aber permanente Kommunikation mit dem Publikum, die Erwartung im Saal, die Spannung auf der Bühne, der versteht, ja: erlebt direkt, wieso radikale Improvisation zu den intensivsten Musikerlebnissen zählt.

Und jetzt? »Man muss sich umgewöhnen, zuerst ist es so, als würde man gegen eine Glaswand spielen«, sagt Philip Zoubek über die Streaming-Konzerte. »Es ist anders als eine Studioaufnahme, da weiß man, dass man nur für sich ist. Aber diese stumme Präsenz eines nicht greifbaren Publikums — das ist eine völlig neue Situation.« Zoubek ist Pianist, Improvisator, Komponist, einer der Köpfe des Kölner Impakt-Kollektivs. Es vergeht eigentlich kein Monat, in dem wir nicht eines seiner Kölner Konzerte ankündigen — normalerweise.

Streamings haben für die auf Konzerte angewiesenen Improvisatoren eine Lücke gefüllt. Dass in Köln das Loft, der Stadtgarten, auch der WDR gefilmte Live-Performances angeboten haben, war wichtig, und die Resonanz des Publikums ist ermutigend. Zoubek war häufiger zu sehen, oder auch der Bassist ­Stefan Schönegg, wie Zoubek bei Impakt organisiert und mittlerweile Betreiber des Impakt-Labels für CDs. Aber Streamings ersetzen keine Tour, keinen Austausch, keine Stimmung. Schönegg besinnt sich deshalb auf sich selbst — das ist die andere Seite der Improvisation: Improvisation als Befragung der eigenen Haltung und Gedanken,
als intime Auseinandersetzung mit dem Instrument — Introspektion. »Die Spielhaltung des Improvisierens zu üben, finde ich sehr sinnvoll«, sagt Schönegg. »Ich mag es, mir Grenzen zu setzen, und innerhalb dieser selbstgewählten Beschränkungen nach Momenten von Freiheit und Unvorhergesehenem zu suchen. Sämtliche Freiheiten zuzulassen, das liefe auf Überforderung hinaus, und damit wäre die Freiheit auch schon wieder vorbei. Den Prozess zu untersuchen, wie aus Beschränkung neue Freiheit entstehen kann, das ist etwas, dem ich im Alltag des Übens nachspüre.«

Es ist Anfang Mai, eine vorsichtige, tastende, noch verunsicherte Normalität kehrt in den Alltag zurück. Wir haben uns zum Interview im Nippeser Tälchen verab­redet, Schönegg wohnt um die Ecke, Zoubek kommt aus der Südstadt angereist, es ist ja schon ein Privileg, Interviews mal nicht per Zoom oder Skype zu führen. Für Musiker ist die Normalität noch mindestens um Wochen, wenn nicht Monate entfernt. Das Interview war lange geplant: Impakt hat sich in den letzten Monaten neu sortiert. Die Labelarbeit ist in den Fokus ge­rückt, mit seinen »Enso«-Projekten hat Schönegg jüngst dichte, komplex organisierte, paradoxerweise leichtfüßig, fast beiläufig daherkom­men­­de Aufnahmen vorgelegt. Impakt-Musiker wären in diesem Frühjahr häufig auf ­Kölner Bühne zu hören gewesen, natürlich im Ehrenfelder Loft, aber auch im King Georg, wo die Gruppe eine Konzertreihe hostet.

Wir sind im Tälchen angekommen, die Sonne strahlt, wärmt, aber die Luft ist noch kühl, und wir reden nicht über anstehende Projekte, sondern über das Grundsätzliche. »Grenzen setzen ist wichtig, aber es ist auch wichtig, sie wieder zu vergessen. Improvisation ist Offenheit, ganz einfach. Du schleppst immer einen riesigen Rucksack an Möglichkeiten mit dir herum, aber worauf es beim Spielen letztendlich ankommt, ist Unvoreingenommenheit«, spinnt Zoubek den Gedanken von Schönegg weiter — der den Faden aufnimmt: »Man muss aber intuitiv auf die Sachen, die im Rucksack stecken, zugreifen können, sonst ist man schnell wieder überfordert. Deshalb ist es wichtig, Improvisieren zu üben, auch wenn man zu Hause ›nur‹ Solist ist und die Solo-Haltung eigentlich nicht auf Gruppen zu übertragen ist. Aber man lotet Parameter aus. Die gelten auch in Gruppen, wirken da aber anders.«

An dieser Stelle bitte keine vorschnellen Analogien: Ein Interview ist keine Improvisation, kein Performance. Aber wenn Zoubek und Schönegg miteinander in Austausch treten, dann vermittelt sich doch einiges von den Stärken der Improvisation. Man geht direkt aufeinander ein, schweift aus, fasst sich wieder. Improvisation ist ein Medium, sich über Musik jenseits von Zeitgeist, Genres, Stilen, Szenen auszutauschen. »Man muss sich gut mit Musik auskennen«, sagt Zoubek angesprochen auf die Voraussetzungen einer gelungenen Improvisation. »Für die meisten heißt das: Viel üben und nochmals üben. Aber für mich war das Hören viel wichtiger. Das Hören von Konzerten, bei denen ich ich mitgerissen wurde, aber auch das analytische Hören von CDs — egal was für Musik. Gemeinsamkeiten in unterschiedlicher Musik zu erkennen, das ist ein riesiges Erlebnis für mich.« Mehr noch: In der Improvisation wird Musik als genuin soziale Praxis erkennbar — sie schult das Hören und damit das Gespür für das Miteinander. »Unsere Musik rechnet immer mit der Eigenständigkeit des Denkens — dass die Leute im Publikum sich ihren eigenen Reim auf die Musik machen. Das ist grundlegend für unsere Haltung. Die Auseinandersetzung mit unserer Musik ist nicht vorherbestimmt«, sagt Schönegg.

Impakt ist eine Gruppe von 13 Kölner Musikerinnen und Musikern, ursprünglich gegründet hat sie sich 2014, Anlass war, so Schönegg, »zu sammeln, was es eigentlich an improvisatorischen Tätigkeiten in der Kölner Musiklandschaft gibt«. Schon damals war Impakt keine Nachwuchsorganisation, gemessen an der Jazz- und Avantgarde-Szene sind die Musiker aber immer noch recht jung, Zoubek etwa ist 41, Schönegg 33 Jahre alte. Gemeinsamer Nenner der Im­paktl’ler ist die radikale Impro­visation, aber sie ist kein Dogma. Impakt vereint Komponisten, Elektroniker, Performer, Jazzer, klassisch Ausgebildete. Zoubek und Schönegg sind auch als Dozenten der Offenen Jazzhaus Schule tätig, für Improvisation natürlich. Aber bei aller Heterogenität — es hat sich ein Impakt-Sound entwickelt. »Stilistisch gesehen gibt es eine stille Übereinkunft«, bestätigt Schönegg. Es ist ein flächiger, kompakter, dichter, auf Verschmelzung zustrebender Sound. In ihrer Musik geht es nicht darum, einen Raum zu durchqueren, sondern ihn überhaupt zu schaffen, es ist, wenn man so will, sehr plastische Musik. »Starke Spieler geben etwas vor.
So bildet sich ein Sound heraus«, meint Zoubek lakonisch. Er und Schönegg verweisen auch auf wichtige Lehrer, auf den Saxofonisten Frank Gratkowski, einer Schlüsselfigur der Jazz-Szene seit den 90er Jahren, und auf den Pianisten und Komponisten Paulo Álvares, der in seinen Kursen an der hiesigen Musikhochschule gegen jede Sentimentalität in der Musik stritt.

Die Impakt-Ensembles erzeugen eine Tiefe, in der sich individuelle Profilierungen verlieren, »Egolosigkeit«, sagt Schönegg dazu. Und dennoch — oder deswegen — geht die Musik auf die bewusste Haltung der Einzelnen zurück, ist von der Reflektion über den Ort des Musikers, der Musikerin nicht zu trennen. Zoubek: »Es geht um Verantwortung, nicht so sehr um weltanschauliche Diskussionen, Weltanschauung ist keine Ausrede, sich nicht mit dem konkreten musikalischen Material auseinanderzusetzen. Aber man kann die Diskussionen über Musik natürlich nie ausklammern, man kann die Musik nicht von den Gedanken, die man sich über sie macht und anderen mitteilt, trennen.«

Wie es aussieht, bleibt die Kölner Infrastruktur für Jazz und Improvisierte Musik »nach Corona« erhalten, Loft und Stadtgarten werden weitermachen, auch das King Georg. Die Lobbyarbeit der letzten zehn Jahre hat gefruchtet, die Kölner Jazzkonferenz ist präsent im Kulturleben der Stadt. Der Blick in die Zukunft fällt optimistisch aus: »Gerade ist ein guter Zeitpunkt für Avantgarde-Projekte«, sagt Schönegg. Und Zoubek ist schon fast wieder im Angriffsmodus: »Auch das gehört zur Verantwortung der Musik gegenüber: Wenn man Musiker ist, dann muss man auch raus. Musik ist keine defensive Haltung, die mit der Welt nichts zu tun haben will. Musik ist ein aktiver Umgang mit der Welt.«

Info: impakt-koeln.de, stefanschoenegg.de, philipzoubek.com