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Bringt der Sommer ein — kleines — Comeback der Club-Szene?

Der Festival-Sommer 2020 ist abgesagt. Clubs und ähnliche Institutionen kämpfen nach wie vor ums Überleben. Das Geschehen rund um die DJs und Produzenten ist weltweit ins Internet umgelagert worden. Doch drüben in China, wo Corona zuerst grassierte und — angeblich — in weiten Teilen mittlerweile unter Kontrolle gebracht ist, tanzen die Menschen schon wieder. Auch andere Länder, einige davon in Europa, haben bereits angekündigt, ihre Restriktionen nach und nach zu lockern. Wir haben uns umgehört, was das für Betreiber von Bars und Nachtclubs heißt, und ob sich die Szene vielleicht doch schneller als gedacht zurückmeldet.

Während Anfang des Jahres noch alle Augen auf China und den fernen Osten gerichtet waren, weil man dort das Schlimmste erwartete, hat der Spieß sich längst umgedreht. Wo Covid-19 seit Ende 2019 seine Spuren hinterließ, haben sich die vom Virus als erstes betroffenen Regionen früher durch die nötigen Maßnahmen gekämpft und dürfen sich mancherorts bereits seit März über viele Lockerungen freuen, die auch das Nachtleben betreffen.

Hubei, wo das Virus ausbrach, beendete seinen Lockdown Anfang April, nachdem Neuinfektionen offiziell auf Null gesunken waren, viele Provinzen in China haben ihren Clubs ebenfalls das grüne Licht zur Wiedereröffnung von Gaststätten gegeben (mit Ausnahme von Live-Konzerthallen). Nachdem die Clubgänger in China also seit Mitte Januar die Füße stillhalten mussten, seien die ersten Nächte in Freiheit ein emotionaler Höhenflug gewesen, als man endlich wieder Seite an Seite mit den engen Freunden tanzen durfte, so die maskierten Clubber in Chengdu, Hauptstadt der Provinz Sichuan im Südwesten des Landes.

Der Club Elevator in Shanghai öffnete bereits Mitte März wieder seine Türen, natürlich mit besonders strengen Richtlinien, wie die regelmäßige Reinigung und Desinfektion des Dancefloors. Gäste müssen jetzt am Eingang ihre Körpertemperatur messen lassen und zusätzlich einen QR-Code auf ihrem Handy Einscannen, der ihren Gesundheitsstatus anzeigt. Viele Besucher lassen ihre Masken vorsichtshalber weiterhin an, denn die Angst vor Neuinfektionen tanzt hier noch mit. In Shenzen, Hongkongs gigantischer Nachbar-Metropole, hat der OIL-Club zwar ebenfalls seit Ende März wieder geöffnet, ringt momentan aber mit recht niedrigen Besucherzahlen. Man traue der Sache eben noch nicht so recht, weshalb viele Partys deshalb früher als sonst enden.

Auch auf der Künstlerseite hat das Virus nach wie vor große Auswirkungen: Denn wo weiterhin keine Ausländer einreisen dürfen, müssen die Programme ausschließlich von lokalen Künstlern bestritten werden. Das sehen wiederum viele Betreiber als positiv an, da nur so die oft am härtesten arbeitenden Nachwuchs- und Resident-DJ endlich auch mal die großen Dancefloors zur besten Zeit bespielen können. Über die Monate der Quarantäne haben viele von ihnen ihre Kreativität notgedrungen in neue Projekte fließen lassen, können aber nun die Früchte dieser Arbeit mit einem besonders hungrigen Publikum genießen.

Ähnliche Effekte werden sich überall dort einstellen, wo Spielstätten bereits wiedereröffnen, die Einreise-Restriktionen aber noch lange weiterbestehen werden. Außerdem können die aktuellen Lockerungen jederzeit zurückgenommen werden, sobald sich neue Fälle von Corona darauf zurückführen lassen. In Korea etwa wurden Nachtclubs und Bars am 6. Mai zunächst wieder geöffnet; bereits wenige Tage später gab es aber 17 neue Virus-Infektionen, die alle auf einen jungen Mann zurückzuführen sind, der sich m Seouler Ausgehviertel Itaewon in verschiedenen Bars und Clubs aufgehalten hatte. Daraufhin wurden alle Institutionen des Nachtlebens in Korea bis auf weiteres wieder geschlossen.

In Europa sind die Skandinavier nach wie vor Ausnahme. Norwegen lässt Restaurants und Nachtclubs öffnen, allerdings unter strengen Auflagen. Gäste sollen einen Meter Mindestabstand voneinander einhalten. Ob sich das im sonst vom engen Körperkontakt geprägten Nachtleben realisieren lässt? Selbst Open-Air-Festivals mit bis zu 500 Besuchern sollen weiterhin erlaubt sein. Oslos Vorzeigeclub Jaeger hat Anfang Mai wieder geöffnet, allerdings mit drastisch reduzierter Gästezahl und speziellen Regeln zum Beispiel für das Bestellen von Drinks an der Bar.

Optimismus kommt auch aus Spanien: Dort hat die Regierung einen Drei-Stufen-Plan vorgestellt, der teilweise Kapazitäten, kleinere Gruppen in geschlossenen Räumen und größere unter freiem Himmel zulässt. Das bedeutet ab Stufe drei (Mitte Juni) konkret bis zu 800 Personen bei einer Outdoor-Veranstaltung, wenn abstandsgerechte Sitzreihen garantiert werden können. Festivals werden wohl nicht damit arbeiten können.

Auch Club-Betreiber zeigten sich nach anfänglicher Euphorie über die Ankündigungen schließlich doch unzufrieden mit der Teilkapazitätslösung. Wirtschaftlich ergebe das keinen Sinn, man werde deshalb lieber auf weitere Lockerungen warten, anstatt sich auf die Neu-Regelungen einzulassen. Man beklagt außerdem, dass die Clubszene keinen Anteil vom 77 Millionen Euro schweren Hilfspaket für den spanischen Kultursektor abbekommen hat.

Großbritannien hat ebenfalls einen dreistufigen Plan angekündigt, der irgendwann zwischen Juni und Juli in Kraft treten soll. Clubs und Bars werden darin jedoch nur ein einziges Mal am Rande erwähnt, und zwar mit der Aussage, dass diese aufgrund ihres erhöhten Infektionsrisikos wohl erst »erheblich später« mit Wiedereröffnungen rechnen dürfen. Die irischen Nachbarn hingegen widmen sich in einem 23-seitigen Strategiepapier sogar ausdrücklich den Musikfestivals: In der finalen fünften Phase ihrer Öffnungen sollen sie ab dem 10. August wieder möglich sein, auch hier: solange social distancing eingehalten wird.

Im fernen Australien, wo Infektionen — Stand 18.5. — auf unter 10.000 gesunken sind, möchte man ebenfalls langsam zur Normalität zurückkehren. Das »Falls Festival« will versuchen, zumindest seine Neujahrsausgabe durchzuführen. Mit einem Programm ausschließlich australischer Acts und unter Implementierung von social distancing guidelines, versteht sich.

Die weiteren Aussichten sind stark gemischt und hängen vielerorts noch von den lokalen Verläufen der Pandemie ab. Allerdings lässt sich ein allgemeines Bestreben zur Wiederaufnahme des Kulturbetriebs ausmachen, das versucht, sich mit den überall geltenden Maßnahmen zu vereinbaren. Während nun nach und nach einzelne Clubs und Bars mit besonderen Vorkehrungen zum Betrieb zurückkehren werden, könnten einige Modelle Schule machen. Wenn Spanien und Norwegen es etwa schaffen, Clubs ohne Neuinfektionen öffnen zu lassen, mögen andere Länder folgen. Und wenn Australien es schafft, ganze Festivals unter social distancing guidelines abhzuhalten — man denke nur mal an die Hygiene-Einrichtungen, den Campingplatz oder die kontaktfreudigen Moshpits —, dann könnten sich andere Veranstalter an deren brauchbaren Konzepten bedienen. Man muss also die Augen offen halten und sich global inspirieren lassen.

In Deutschland sieht es dagegen noch nach einer länger andauernden Durststrecke für Wochenendraver und Festivalfanatiker aus. Großveranstaltungen bis mindestens Ende Oktober verboten, Clubs bis mindestens ab Anfang August zu. Ein Lichtblick zumindest, dass manche Etablissements bis dahin Außenflächen für Musik nutzen wollen. Der Kölner Stadtgarten hat zum Beispiel angekündigt, den Bereich seiner Außengastronomie als Open-Air Konzertraum zu nutzen. Ab Mitte Mai finden dort Veranstaltungen für maximal 100 Besucher statt, darunter auch die hauseigene Tom-Tom Club-Reihe, deren Resident-DJs künftig sogenannte Listening Sessions abhalten werden. Zuhören statt tanzen, aber es ist trotzdem ein erster Schritt

Es tut sich was. An allen Ecken und Enden. Doch wann und wie der Kulturbetrieb wieder zur Normalität zurückfinden wird, bleibt unabsehbar. Eines steht aber fest: die Kreativität und Willenskraft derer, die sich für Erhalt und Wiederauferstehung der Szene einsetzen, kennen keine Grenzen, das macht Hoffnung. Sagen wir so: Ab hier geht es bergauf!