Warm dran! Köln vor dem Hitzesommer – Teil 4

Schlapp im Schlips

Die Hitze macht auch der Wirtschaft zu schaffen — und vor allem den Arbeitnehmer*innen

Die Hitzesommer machen sich für die Kölner Wirtschaft dort bemerkbar, wo man es zunächst gar nicht vermutet: auf dem Wasser. Steht der Rheinpegel niedrig, stockt der Nachschub an Rohstoffen für die Industrie, denn die Schiffe können nicht mehr voll beladen werden. »Dies betrifft vor allem Transporte von Baustoffen, Kohle, Erz und Stahl, Chemieprodukten, wie auch Benzin«, sagt Ulrich Soénius, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Köln. In den vergangenen Jahren sei es deshalb zu Lieferengpässen bei Öl und Benzin gekommen, was einen Anstieg der Preise zur Folge hatte.

Die größeren Auswirkungen hat das Niedrigwasser jedoch auf die Verkehrsdichte. »Ein normales Binnenschiff ersetzt 50 bis 70 Lkw, größere bis zu mehr als 100«, sagt Soénius. Ein Ausweichen auf die Bahn sei nicht immer möglich gewesen, denn sie hatte kaum freie Kapazitäten für den Güter­verkehr. Für die Zukunft hätten die Unternehmen jedoch vorgesorgt.

Aber auch dort, wo Wirtschaftszweige nicht auf die Anlieferung riesiger Mengen an Rohstoffen angewiesen sind, haben die Hitzesommer Auswirkungen gehabt: »Die Außengastronomie ist im Gastgewerbe mittlerweile fast schon Pflicht«, sagt Timo Knauthe von der IHK. Wegen der Corona-Krise hat die Stadt Köln dieses Jahr den Gastronomen die Gebühren für die Außenbestuhlung erlassen, zudem soll man leichter Parkplätze umwidmen können. »Die ideale Temperatur für Gastwirte beträgt um die 25 Grad«, sagt Knauthe. Auch ausreichend Schatten sei wichtig. Wird es zu warm oder zu sonnig, gehen die Kölner*innen lieber an den See. Knauthe sagt, die Gastronomie benötige dieses Jahr einen warmen Sommer, da wegen der Corona-Krise die Umsätze ausgeblieben sind und auch die warmen Wochen im April nicht genutzt werden konnten. Auf die Lieferketten habe ein erneuter Hitzesommer jedoch keine Auswirkungen, sagt er. Für Kühlung und Lagerung würden strenge Vorschriften gelten, die oft kontrolliert würden. Und das Personal? »Die Gastronomie ist eine gebeutelte Branche«, sagt Knauthe. Schon jetzt sei es schwierig, junge Menschen für diese Berufe zu begeistern, eine Mehrbelastung durch die Hitzesommer würde dies nicht leichter machen.

»Die meisten Arbeitgeber haben erkannt, dass Menschen bei Hitze nicht besser arbeiten«, sagt Jörg Mährle, Geschäftsführer beim DGB Köln/Bonn. Viele Unternehmen hätten gemeinsam mit den Betriebsräten deshalb schon in den vergangenen Jahren Regelungen getroffen, um mit der Hitze klarzukommen: Banken und Versicherungen verzichten auf die Krawattenpflicht und lassen kurzärmelige Hemden zu, andere Unternehmen fangen früher an zu arbeiten und machen eine längere Mittagspause. »Betriebsräte sind dafür wichtig«, sagt Mährle. »Und wenn die Entscheider auch unter der Hitze leiden, macht es das auch leichter.« Im Reinigungsgewerbe etwa, wo die Arbeitnehmer*innen selten im selben Gebäude wie das Management sind, werde der Schutz vor Hitze nicht immer so ernst genommen.

Dabei ist dieser gesetzlich geregelt. In der Arbeitsstättenverordnung steht, dass ab einer Raumtemperatur von 26 Grad Celsius Maßnahmen ergriffen werden sollen, um sie zu senken. Ab 30 Grad Celsius sind diese Maßnahmen verpflichtend — das gebietet die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber. Bislang gebe es jedoch kaum Bestrebungen, diese Regelungen an die veränderten Wetterbedingungen anzupassen. »Wir haben jetzt zwei Hitzesommer erlebt«, sagt Mährle. »So schnell verändern sich Gesetze nicht.« Aber bereits bestehende Regelungen müssten stärker kontrolliert werden als das bisher der Fall ist: »Dafür reichen die Ressourcen bei den zuständigen Behörden nicht.«

Aber auch die Gewerkschaften müssen überlegen, ob die Hitzesommer nicht auch eine neue Arbeitskultur erforderlich machen: kürzere Arbeitszeiten, die zu einer gesteigerten Produktivität führen, wären eine Möglichkeit. »Der DGB hat schon im vergangenen Sommer die Einführung einer Siesta angeregt«, sagt Mährle. »Auch mehr Flexibilität könnte ein Weg sein.« Er befürchtet jedoch, dass Arbeitgeber dann versuchen würden, die Arbeitszeitbegrenzungen aufzuweichen, so wie das gerade schon im Zuge der Corona-Krise geschehe. Die hat jedoch auch für die Gewerkschaft gerade Priorität: Ende April waren in Köln 27 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit, von hitzebedingten Arbeitsunfällen in den vergangenen Jahren kann der Gewerkschafter jedoch nicht berichten.

Text: Christian Werthschulte

 

 

 

Hurra, hurra, die Sonne brennt

Schulunterricht in überhitzten Klassenräumen ist nicht möglich. Doch viele Kölner Schulgebäude sind nicht für heiße Sommer geeignet. Droht Hitzefrei von Mai bis September?

»Wir wollen Schüler zu mündigen Bürgern machen, die mitdenken und zu Lösungen in der Gesellschaft beitragen«, sagt Till Butz. »Da ist Klimaschutz ein wichtiger Punkt.« Der Schulleiter der Freien Schule an der Bernhard-Letterhaus-Straße im Agnesviertel organisiert mit seinem Team regelmäßig Projekttage, an denen man sich auch mit den Folgen der Klimaveränderung befasst, etwa Hunger und Flucht. Doch den Klimawandel erfahren die Schüler auch am eigenen Leib. »Hitzefrei hat es schon öfter gegeben«, sagt Butz. Die vergangenen beiden Sommer sorgten für unangenehme Temperaturen im Klassenraum. »Dann ist die Konzentrationsfähigkeit stark herabgesetzt, alle sind müde — wie will man da noch unterrichten?«, sagt Butz. Das Schulgebäude stammt aus den 60er Jahren. »Alle Klassenräume haben große Fenster und sind nach Süden ausgerichtet, das ist heftig.« Doch einen Sonnenschutz dürfe man nicht anbringen, wegen des Denkmalschutzes. Für Butz ist klar, dass hier unterschiedliche Interessen kollidieren. Man müsse dann eben Prioritäten setzen: im Zweifel für die Bildung und gegen die Konservierung einer 60er-Jahre-Fassade. Probleme wie an der Bernhard-Letterhaus-Straße gibt es oft an Kölner Schulen. Droht nach dem Corona-Shutdown an den Schulen nun noch der Klima-Shutdown?

Köln befindet sich in einer Misere. Die Einwohnerzahlen steigen, doch die Stadt kommt mit dem Schulbau nicht hinterher. Seit langem sind viele Schulen marode, die Sanierungen bleiben aus. Zu wenig Geld, zu wenig Personal. Gerade hat der Rat der Stadt ein zweites »Maßnahmenpaket für Schulbauprojekte« geschnürt, es ist bereits das zweite, ohne dass sich die Lage entspannt hätte.

Wenn endlich gebaut wird, kommen immerhin sogenannte Bauliche Qualitätsanforderungen zum Tragen: Bestimmte Fensterscheiben, Lamellen oder Markisen sollen Klassenräume vor Hitze schützen. Denn bei Neubauten spielt Klimaschutz durchaus eine Rolle. Dass Bauen mit Rücksicht auf den Klimawandel länger dauere und teurer sei, lässt Christl Drey nicht gelten. »Baukultur hängt nicht vom Geld ab«, sagt die Vorsitzende des Hauses der Architektur Köln. »Ein Haus muss architektonisch kreativ und nachhaltig sein. Beim Schulbau sollte die Stadt mehr kleine und junge Büros mit neuen Ideen zum Zuge kommen lassen.« Zu oft bekämen die immer gleichen etablierten Büros den Auftrag. »Die Verwaltung beruhigt es, wenn sie weiß, dass da jemand schon mal etwas Großes gebaut hat, aber wir brauchen Baukultur mit neuen Ideen für einfaches, klimagerechtes Bauen von Schulen.« Man könne den Schulbau auch nicht länger nur als Hochbau-Aufgabe verstehen. »Schulbau ist immer auch Städtebau, Schulen sind wichtige öffentliche Gebäude im Quartier, wo sich Menschen treffen, Kulturveranstaltungen stattfinden und der Freiraum vielfältig genutzt wird.« Um mehr Qualität und eine schnellere Umsetzung im Schulbau zu erhalten, könne man nicht auf Beteiligung Privater verzichten, sagt Drey. »Die können freier und unbürokratischer agieren, müssen aber unbedingt von der Stadt kontrolliert werden.« Voraussetzung sei ein begleitender architektonisch-technischer Qualifizierungsprozess. »Oft reicht eine kleine Jury, bei der auch Fachleute zum Energie- und Freiraumkonzept beteiligt werden.«

Aber was soll Schulleiter Till Butz machen, wenn es wieder stickig wird im Klassenzimmer? »Bei denkmalgeschützten Bauten kann man von innen arbeiten. Im Museum Kolumba des Architekten Peter Zumthor etwa hängen als Sonnenschutz Seidenvorhänge, das wirkt«, sagt Christl Drey. »Im Museum Schloss Morsbroich wurden vor der Fassade Sonnensegel aufgespannt, als Fliegender Aufbau ist das auch bei einem Baudenkmal möglich.« Till Butz hingegen glaubt, dass nur bauliche Maßnahmen das Problem wirklich lösen. »Wir haben hier Vorhänge, aber das ist nicht dasselbe! Die Räume heizen auf. Auch im Mai ist es zwischen 12 und 13 Uhr oft schon heiß«, sagt Butz. »Und es kann ja nicht sein, dass demnächst von Mai bis September alle paar Tage hitzefrei ist — gerade für Ganztagsschulen wie unsere ist das ein Problem.«

Auch eine angesichts der Corona-Krise immer wieder geforderte Ausweitung der Digitalisierung könne hier nicht helfen. Gerade zeige sich, wie wichtig der direkte Kontakt der Kinder und Jugendlichen zu Lehrkräften und Mitschülern sei, sagt Butz. »Es ist ja auch eine abwegige Vorstellung, dass dann alle Schüler mit Tablets im kühlen Keller sitzen, und von daheim aus Aufgaben lösen.«

Von der Idee, den Unterricht früher beginnen zu lassen, um eine kühle Stunde am Vormittag zu gewinnen, hält Butz nicht viel. »Wenn wir jetzt um 7.30 Uhr anfingen, widerspräche das allem, was man über den Biorhythmus von Kindern und Jugendlichen weiß. Die Forschung schlägt ja gerade vor, später mit dem Unterricht zu beginnen.« Der Schulleiter rät, sich Regionen anzuschauen, die mit Sommerhitze mehr Erfahrung haben: »In Südeuropa haben die meisten Länder etwa zwölf Wochen Sommerferien. Das wäre vielleicht nicht populär, aber vielleicht schon sinnvoll bei den immer häufigeren Hitze­sommern.« Ende Juni beginnen die Sommerferien, am 12. August geht es weiter. Der erneute Hitzesommer ist dann womöglich noch lange nicht vorbei. »Vor zwei Jahren hatten wir schon mal Hitzefrei am 18. September — in der zweiten Septemberhälfte, das muss man sich mal vorstellen«, sagt Till Butz.

Text: Bernd Wilberg