Das Auto als Sex-Maschine: James Spader, Holly Hunter

»Crash«

David Cronenbergs kongeniale Verfilmung von J.G Ballards sexueller Dystopie

Was wohl J.G. Ballard über die Katastrophe in Zeitlupe zu sagen hätte, die unsere Corona-Gegenwart darstellt? Immerhin bildeten Apokalypsen und sich auflösende Gesellschaftssysteme einen zentralen Motivstrang im Werk des 2009 verstorbenen britischen Schriftstellers. Seine Sensoren waren fein ausgerichtet auf die im Unbewussten lauernden Triebkräfte der hochtechnologisierten Gegenwart. Mit der ungerührten Präzision eines Archäologen legte er frei, welche unerhörten Formen des Begehrens im Maschinenraum des Spätkapitalismus rumorten, welcher Todestrieb den funkelnden Oberflächen zugrunde liegt. Er sagte den gesammelten Schwachsinn exaltierter Youtube-Exzesse voraus und diente Generationen von Kulturtheoretikern als Stichwortgeber. Seine Romane waren pervers, aber moralisch. Mögen sie auch kompatibel gewesen sein zum drastischen Zynismus von Punk, blieb Ballard doch stets ein distanzierter britischer Gentleman.

Seinen kongenialen partner in crime fand Ballard in David Cronenberg, der — im Auftreten nicht minder kühl und sezierend analytisch — in seinen Arbeiten ebenfalls gerne einen Blick unter die Motorhaube unserer Gegenwart wirft. 1996 nahm sich der Horror-Autorenfilmer »Crash« vor, Ballards 1973 veröffentlichte, mit Kulturtheorien von Freud bis McLuhan unterlegte und ziemlich bizarre Allegorie der Fetischisierung des Automobils.

Von Ballards London verlegt Cronenberg die Geschichte in seine Heimatstadt Toronto, deren öde, schier endlose Autobahnringe und grauen Betonpfeiler die triste Kulisse abgeben für eine Kinomeditation in Sachen freudlos-entfremdeter Erotik. James Ballard (James Spader) ist hier anders als in der Vorlage kein Schriftsteller, sondern ein Filmproduzent, der mit seiner Freundin Catherine (Deborah Kara Unger) in einer offenen Beziehung lebt. Ihr Sex gelingt nur, wenn sie einander beim Vögeln von ihren Seitensprüngen mit anderen berichten.

Ein nur knapp überlebter Autounfall bringt James einer sektenartigen Gruppe von Ouctasts nahe unter der Führung des charismatischen Vaughan (Elias Koteas). Akribisch sammeln diese Fetischisten Archivwissen von Autounfällen und messen einzelnen Ereignissen sakrale Bedeutung bei — erst der tödliche Unfall machte James Dean zur unsterblichen Ikone. Sie erkunden als Bodynauten die auf ihre Körper und ihr sexuelles Begehren einwirkende transformatische Kraft des Crashs, die ihren Höhepunkt unweigerlich in der tödlichen Selbstzerschmetterung finden muss. Auf dem Weg dahin dienen Crash-Dummy-Videos als Porno-Substrat.

Höchstens noch in seinem bedrückenden »Dead Ringers« (1988) war Cronenbergs mitleidloser Blick auf die Menschen ausgeprägter. Der Kanadier zeigt den postindustriellen Menschen in seinem Ennui als traurig vögelndes Tier inmitten einer kalten und abweisenden Zivilisation. Der Welt ist das Primat des Organischen verloren gegangen und an dessen Stelle sind nunmehr Beton, verarbeitetes Metall und effiziente Motoren getreten, die in und auf verletzlichem Gewebe wie Haut und Fleisch Narben und Körperöffnungen hinterlassen — und damit neue sexuelle Möglichkeiten bieten.

Cronenbergs Filme übersetzen Metaphern und Allegorien in die konkrete sinnliche Welt. Wer sich »Crash« mit wachem Blick ansieht, dürfte dabei nur auf den ersten Blick über die absonderliche sexuelle Fantasie, die diesen Film grundiert, erstaunt sein. Denn Autos und Sexualität werden inmitten der akzeptierten Bildwelten unserer Gegenwart ganz alltäglich enggeführt — vom Pin-up auf der Motorhaube über die phallische Kraft, die Autos beigemessen wird, bis hin zur Faszination für Verfolgungsjagden und spektakuläre Crash-Szenen im Kino. Ballard und Cronenberg rühren also mit »Crash« an eine zentrale Pathologie der Industriegesellschaften.

(dto) CDN 1996, R: David Cronenberg, D: James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas, 100 Min., DVD/Blu-ray im Handel.