Zum Verlieren geboren: Charly Wierczejewsky, Eva Mattes

»Supermarkt«

Roland Klicks Meisterwerk ist so ungezähmt wie seine Hauptfigur

Wer kennt sie nicht, die traurige Leier vom deutschen Kino, dem es nicht gelingen will, Hirn und Bauch zu versöhnen und gutes Genrekino zu generieren. Hier die derbe Bespaßung der Massen, dort schöngeistige Filmkunst für ein vermeintlich geschmackssicheres Publikum. Doch es gibt eine Handvoll Outlaws bundesdeutschen Filmschaffens, denen der Grenzgang zwischen U und E gelang: Sie gilt es umso leidenschaftlicher zu feiern. Arthouse oder Grindhouse? Wen juckt’s, wenn heiße Ware wie Roland Klicks Crime-Ballade »Supermarkt« aus dem Jahr 1974 dabei herauskommt?

Klicks Held Willi (Charly Wierczejewsky), ein Straßenjunge im freien Fall, ist eine Mischung aus arglosem Drifter und tickender Zeitbombe. Schon zwei Jahre vor »Taxi Driver« krankte er an der Einöde des anonymen Großstadt­dschungels und machte sich die Errettung einer jungen Prostituierten (Eva Mattes) zur Mission.

Die zum Scheitern verurteilte Romanze macht nur einen Teil der anekdotischen Erzählung aus: hier ein wohlfeiler Schnösel-Journalist (Michael Degen), der Willi retten will, solange es keine Mühen macht, dort eine Nebenhandlung um einen wohlhabenden »Junggesellen« (Hans-Michael Rehberg), der um Willi buhlt und doch nur das eine will. Mit einem ebenso skrupel- wie ahnungslosen Aushilfsgangster (Walter Kohut) plant er schließlich einen Überfall.

Inszeniert wird Willis rasante Höllenfahrt nach Nirgendwo erfrischend eigen zwischen Milieustudie und Genre-Thrill. Selten behandelte ein Regisseur seine fragwürdigen Antihelden mit soviel Respekt wie Klick, der Willi sein Herz schenkt, ohne seinen trotzigen Irrsinn zu verklären. Ebenso selten durften Städte so abgeranzt und beseelt verkommen aussehen wie das Hamburg der zerbrochen Astra-Flaschen und vermüllten Hinterhöfe, durch das Klick die Kamera des späteren Hollywood-Export Jost Vacano (alles von »Das Boot« bis »Starship Troopers«) hier hetzt.

»Supermarkt« gleicht seinem »Helden«: wüst, ungezähmt, zum Verlieren geboren. Das oft be­­mühte Bild vom Rohdiamanten will dennoch nicht passen. Klicks Film ist kein Schmuckstück, sondern ein in provozierender Absicht geschleuderter Pflasterstein, der sein Ziel auch heute nicht verfehlt.

(dto) D 1974, R: Roland Klick, D: Charly Wierczejewsky, Eva Mattes, Michael Degen, 84 Min. Bis 30.6. als Gratis-Stream (neben anderen tollen Filmen etwa von Christoph Schlingensief) in der Mediathek des Goethe-Instituts: goethe.de/ins/be/de/kul/prj/vim.html

Zusatz-Tipp: Den Interviewfilm »Das Kino des Roland Klick« von Frieder Schlaich gibt es gratis und in voller Länge auf Youtube.