Verhör im Videocall: Wo ist Hanna Silber? Foto: Katharina Hintzen

Wohin ist der Pop ­verschwunden?

Regisseur David Gieselmann fahndet nach dem Popstar Hanna Silber

Selbstinszenierung macht auch im Home-Office keine Pause. Das weiß jeder, der sich gerade in Dauerschleife von einer Zoom-Konferenz zur nächsten hangelt. Was einst die neuen Sneaker waren, sind heute nach Farben sortierte Bücherregale im Hintergrund. Der Lockdown macht uns zu Bühnenbildnern unserer Privatsphäre. Es ist eine gute Nachricht, dass sich mit David Gieselmann nun jemand vom Fach diesen Inszenierungsmechanismen widmet. In dem Videoprojekt »Hanna Silber« des Regisseurs und Pop-Bloggers gibt es aber nicht nur eine Menge perfekt in Szene gesetzte Topfpflanzen zu bestaunen. Gefahndet wird dort vor allem nach dem fiktiven Popstar Hanna Silber.

Als Punk-Frontfrau gestartet, versackte ihre Karriere nach Schlager-Kitsch und AfD-Vereinnahmung irgendwann bei Features mit Lena Meyer-Landrut. Inmitten der Corona-Pandemie ist die Sängerin plötzlich verschwunden. Als Zuschauer klickt man sich in der Rolle des Kommissars durch über 40 kurze Clips und trifft bei seinen Verhören in Videocall-Ästhetik auf alte Weggefährtinnen, Manager und Popexperten. Die haben zwar wenig über den Aufenthaltsort der Sängerin zu erzählen, dafür aber viel über sich selbst.

Erfolgsversprechend ist die Suche nach dem Popstar zwar nicht, dafür eignet sie sich aber wunderbar als Projektionsfläche für ihre Fans und Nutznießer. Die Eheleute Gisela und Andreas Post-Jakob vom Hanna Silber-Fanclub etwa, erkennen bei der Befragung nicht nur, dass ihre Liebe zum Popstar erkaltet, sondern auch ihre Ehe. Der Rechtspopulist Otwin von Dunkelsdorff faselt von »Meinungskorridoren« im »Merkel-Deutschland« und erklärt nebenher, wie man Popstars für politische Zwecke vereinnahmt, während Romeo, der Untergrund-Kommunist, ein Bekennervideo aufnimmt. Zwar hat er Silber nur »symbolisch« entführt, hätte es aber auch in Wirklichkeit gerne getan, steht die Sängerin doch symptomatisch für Sellout und »finanzsexistischen« Eskapismus.

Das Verschwinden der großen Pop-Magazine hat den Anspruch in Bedrängnis gebracht, durch Pop etwas über unsere Gegenwart zu erzählen, was nur Popmusik zutage fördert. Hier wird dieser Idee ein letztes Mal gehuldigt: Pop als Seismograf der Gefühlswelt seiner Verehrer und Verächter, als Sittenbild einer verworrenen Gesellschaft. Dass das freilich nur noch durch das Verschwinden des Popstars selbst funktioniert, ist eine der vielen klugen Pointen von Hanna Silber.

Alle Filme:vimeo.com/hannasilber