Die Augen nach vorne, nicht gen Himmel: Hari Kunzru, Foto: Sophia Spring

Die Wüste lebt

Hari Kunzru parodiert in »Götter ohne Menschen« die Suche nach Transzendenz

Die Mojave-Wüste, Ort der Mythen. Michelangelo Antonioni hat dort seinen Gegenkultur-Spielfilm ­»Zabriskie Point« angesiedelt, Michel Foucault machte eine lebens­verändernde LSD-Erfahrung. Auch Hari Kunzru hat es hierhin verschla­gen. Der britisch-indische Autor steckte nach 9/11 in Los Angeles fest und machte mit seinem Mietwagen einen Trip ins nahegelegene Death Valley, um der paranoiden Atmosphäre in der Stadt zu entfliehen.

In seinem Roman »Götter ohne Menschen« kehrt er erneut dorthin zurück — aber nicht alleine. Diesmal ist die Wüste bevölkert von allerhand obskuren Charakteren, die über einen Zeitraum von 200 Jahren hierhin geflohen sind, um ihre eigene Form von Transzendenz zu finden. 1947 gründet der Bomberpilot Schmidt eine UFO-Sekte, die eine Gesteinsformation als Antenne zu Außerirdischen begreift, 1778 besucht ein franziskanischer Mönch die Gegend und begegnet einem Engel. Und im Jahr 2008 fährt der Wall-Street-Program­mierer Jaz mit seiner Frau Lisa in die Wüste. Jaz arbeitet im Finanzsektor (das ­eng­lische Original des Romans ist 2011 erschienen) und ist überzeugt davon, mithilfe einer Software die Zusammenhänge der Wertschöpfung endlich in einem System ab­gebildet. Dieser Glaube wird zunichte gemacht, als sein vier­jähriger, autistischer Sohn Raj unerklärlicherweise verschwindet und erst nach einiger Zeit wieder auftaucht.

Kunzru springt in seinem Roman zwischen all diesen Erzählsträngen (und noch ein paar mehr), aber kreist immer wieder um einzelne Motive: die Leere, die Sehnsucht nach einer kosmischen Ordnung, die sich in einem fatalen Glauben an die Allmacht von Technologie ausdrückt. Die Wüste wird so zum Ort der äußeren und inneren Landnahme, was Kunzru in einem perfekten Bild zusammenbringt: die Attrappen irakischer Dörfer, die von der US-Armee als Truppenübungsplatz genutzt werden — inklusive Bevölkerung, gespielt von arabischstämmigen Amerikanern, die von den Soldaten mit breitem Schritt und einem dahingerotzten »Salaam Aleikum« begrüßt werden.

Hari Kunzru: »Götter ohne Menschen«, Libeskind, 432 Seiten, 24 Euro