Aluminiumschnitte besetzen die Architektur: Aufbau im kjubh Kunstverein

Zeichnung als Schnittstelle

Alles beginnt mit der spontanen Linie auf Papier — und dann wächst sie zu Installationen, Wandmalereien und Animationsfilmen. Volker Saul stellt im Kjubh Kunstverein aus

Seit 2016 schlackern 15 außerordentlich gelenkreiche und daher sehr bewegliche große Beinsilhouetten aus gelb lackiertem Aluminium in den Treppenhäusern des Erzbischöflichen Berufskollegs in der Berrenrather Straße. »In Bewegung« heißt diese dauerhaft in dem inzwischen preis­gekrönten Neubau installierte Arbeit. Ein Jahr vorher entstand mit »Pharao’s Dance« im Jagla-Ausstellungsraum eine temporäre Wandmalerei, die ebenfalls sehr tänzerisch geschwungene Beine, ein Tanzbeinpaar, zeigte. Schönkurvig und witzig-elegant, als hätten Henri Matisses Präzision und der freie Geist des Comic mitgemischt.

»Ein klares Konzept ist toll, besser wird es meistens durch die Brüche«, findet Volker Saul. »Konsequenz und Strenge sind wichtig, aber ich mag genauso eine gewisse Leichtigkeit. Ohne Humor, Ironie ist eine Arbeit schnell zu wichtigtuerisch.« Für das Eintagesformat »Vorgebirgs­park­skulptur« inszenierte er 2011 eine Art schwimmende Lehrtafel: Der in einem Bassin platzierte »Wasserläufer« versammelte ein Bestiarium seltsam animierender Formen, Schattenrisse von Mischwesen zwischen Fisch und Pflanze, deren raffinierte Konturen sie plastisch, lebendig werden ließ.

Diese Lebendigkeit entwickelten Sauls Formen auch in den intimen Räumen des Kolumba: Ganze Szenen aus einem unbegreiflichen, phantastischen Kosmos, der Wachstum und Wucherung, Verwandlung und Übergang, Komisches und Bedrohliches, Tages­klarheit und Nachtspuk in kühl-genauen Aluminiumschnitten ineinanderblendet, zeigte er dort 2012 in einer Kabinettausstellung.

Drei Jahrzehnte präsent als Künstler

Als Künstler in Köln ist Volker Saul (*1955) schon mehr als drei Jahrzehnte präsent, 1983 kam er hierher und blieb. »Das Kunststudium an der FH war zum Einschlafen, aber in der Kölner Kunstszene, da ging die Post ab, da kamen die Einflüsse her. Kölnischer Kunstverein, Galerie Ricke, Galerie Maenz, dann der Stadtgarten mit Jazzkonzerten, attraktiver geht es nicht.« Die bislang umfangreichste Präsentation des heute international ausstellenden Künstlers zeigte allerdings vor fünf Jahren seine Geburtsstadt Düren im Leopold-Hoesch-Museum. »Shapes — Work in Progress« war ein Querschnitt durch dieses vielseitige Werk, das im Kern die Möglichkeiten der Zeichnung erforscht.

Volker Saul ist ein Formkünstler. Was ihn interessiert, ist das Vermögen der Form Bedeutung zu suggerieren, über bloße Sichtbarkeit hinauszuweisen, etwas irgendwie Leserliches zu erzeugen. Ganz gleich, ob man die schrift­artigen Wandskulpturen und biomorph-erzählenden Formkreaturen früherer Jahre betrachtet oder die wieder stärker abstrakten Formen der Gegenwart: Sie alle charakterisiert eine eigenartige, nicht immer genau fassbare Mitteilsamkeit, ein Moment von manchmal kühler Expression. Ganz gleich, ob es um eine Wandmalerei, eine Installation, eine signethafte Fahne, einen bildhaften Papierschnitt geht, stets verdankt sich das Endergebnis der wohlüberlegten, präzise entwickelten Form.

Handzeichnungen als DNA des Werks

Am Anfang aller dieser Arbeiten stehen spontane Handzeichnungen, sie sind die DNA des Werks. Volker Saul zeichnet mit dem Stift auf DIN A 4-Papier. In klassischer Handarbeit lässt er eine Form nach der anderen entstehen, Annäherungen an eine Vorstellung, Varianten zu einem Formthema. Er liebt diese freien Zeichensessions. »Der Zufall und das Nichtvorhergesehene bringen Dinge hervor, die ich mir nicht ausdenken kann. Dann gibt mir die Kunst was, und der Spaßfaktor steigt hoch.« Manchmal treibt er einen solchen Anfang zeichnend weiter, setzt Details hinzu, entwickelt eine Szenerie, eine auf eigenen Füßen stehende Zeichnung.

Geht es aber um vorläufige Entwurfszeichnungen, bleibt es bei einer frei beweglichen Linie. Diese Linie ist Umriss und Grenze, eine erste Definition, ein Anfang. Denn anschließend werden die Zeichnungen gescannt und digital bearbeitet. Diese stets schwarzweiß auf dem Rechner gespeicherten Gebilde gehören zu einem stetig wachsenden Archiv, aus dem Saul auswählt: Jeder Anlass, jede Werkform, jeder Ort verlangt nach eigenen, am Kontext orientierten Bespielungen. Ihre endgültige Gestalt erhalten die digitalisierten Fundusformen bei der Rückverwandlung in sinnlich Greifbares. Sie werden auf Papierbögen projiziert, präzisiert, schließlich mit dem Skalpell ausgeschnitten. Alle weiteren Umsetzungen basieren auf diesem Prozess.

Die nächste Gelegenheit, Volker Sauls Arbeiten in Köln zu begegnen, bietet eine Ausstellung im Raum des überaus rührigen Kunstvereins kjubh, der dieses Jahr 20-jähriges Jubiläum feiert. »hold the line« hat er sie genannt und für diesen architektonisch ziemlich vertrackten Ort eine über­raschende Lösung entwickelt. Grundlage für seine Installation ist ein 26-teiliger Satz von farbig bemalten Aluminium Cuts, Reststücke früherer Arbeiten, die Saul nun als flexible Module einsetzt. Im Aachener »Raum für Gäste« platzierte er sie auf Wandkonsolen. Im kjubh wird eine neue Auswahl jene Bereiche besetzen, die sonst nie genutzt bzw. betrachtet werden: Ecken, Kanten, Ränder — doch die letzte Entscheidung fällt wie immer vor Ort.

Von der Zeichnung zum Animationsfilm

Etwas später folgt 2020 noch eine andere Premiere: »Aftermath — Turning«, der jüngste Animationsfilm von Volker Saul. Seit 2015 widmet er sich diesem Medium, in dem auch seine große Leidenschaft für Jazz und Improvisierte Musik zum Zuge kommt. So schuf er für die ersten drei Kurzfilme auch selber den Soundtrack. »Aftermath — Turning« wiederum, eher dem abstrakten Film verpflichtet, entfaltet sein hypnotisches, schwarzweißes Kreisen und Drehen über dem freien Zusammenspiel der Jazzmusiker Richie Beirach und Dave Liebman. »Meist höre ich im Atelier Musik, die mich dann vielleicht unbewusst inspiriert. Dieser Film ist erstmals eine direkte Umsetzung von Musik in Bewegtbild. Die Kunst kommt zur Musik, ohne illustrativ zu sein, mit ähnlicher Wellenlänge und offener Struktur. Langsam, retro, reduziert.«

Zum Gesamtkunstwerk komplettiert wird dieses schon dichte Interplay durch eine Folge von 36 Papierschnitten, das analoge Rohmaterial des Films. In aller Ruhe zeigen sie einmal mehr, dass Form als Form stets mehr ist als reine Formsache.

Die Ausstellung »hold the line« ist bis 18.7. zu sehen im:
kjubh e.V., Dasselstr. 75
Fr + Sa 15–18 Uhr u.n. Vereinbarung (Tel. 860 87 11)

volkersaul.de
kjubh.de