Haben Visionen, keine Utopien: Nicolin Gabrysch und Immanuel Bartz

»Macht es selbst!«

Von der Demo ins Rathaus: Klima­akti­vis­tin Nicolin Gabrysch tritt als OB-Kandi­da­tin an. Wir haben sie und Immanuel Bartz von der Wähler­gruppe »Klima Freunde« zum Inter­view getroffen

Mit Nicolin Gabrysch kandidiert eine Klimaaktivistin für das Amt der Oberbürgermeisterin. Gabrysch fordert für die Wählergruppe »Klima Freunde«, bisher bekannt unter dem Namen »Deine Freunde«, bei der Kommunalwahl im September Henriette Reker heraus. Bis vor einigen Monaten, erzählt das Mitglied von Parents for Future, habe sie sich selbst noch nicht vorstellen können, den Schritt in die aktive Politik zu gehen. Die Stadtrevue hat Gabrysch und Immanuel Bartz von Klima Freunde im Bürgerzentrum Ehrenfeld zum Interview getroffen. Ein Gespräch über kommunalpolitisches Empowerment, die Abspaltung der Wählergruppe »Gut« und Visionen für ein sozial-ökologisches Köln.


Frau Gabrysch, Herr Bartz, grüne Themen werden in Köln von vielen Akteuren vertreten, von den Grünen, der Oberbürgermeisterin sowie weiteren OB-Kandidaten und Wählergruppen. Warum braucht es da noch die »Klima Freunde«?

Gabrysch: Weil die Dinge schneller und radikaler vorangehen müssen. Wir haben in Köln das Wissen und die Fakten, die technischen und finanziellen Möglichkeiten. Wir müssen CO2-neutral werden. Die Stadt auf den Klima­wandel vorbereiten. Schnell. Die aktuelle Politik tut das nicht. In Köln sehen wir Menschen in der Politik, die seit vielen Jahren in den Gremien festsitzen – und keine neue Politik machen.

Bartz: Und wir sagen nicht: Wir machen das für euch! Sondern: Macht es selbst – mit vielen gemeinsam! Wir wollen Empowerment. Wir haben viele Mitglieder gewonnen, die noch nie Kommunalpolitik betrieben haben. Wir wollen das politische Ehrenamt jeder und jedem zugänglich machen. Uns geht es nicht um politische Karrieren.

Wie soll das funktionieren: Politik ohne politische Karrieren?

Bartz: Wir haben uns die Selbstverpflichtung gegeben, die Laufzeit unserer Mandate zu begrenzen. Wir wollen nicht auf Sitzen kleben! Wenn nach spätestens zwei Ratsperioden das Mandat weitergegeben wird, findet automatisch eine stärkere Durchmischung in den Gremien statt.

Gabrysch: Wenn sich alle Parteien und Gruppen diese Selbstverpflichtung geben würden, sähen wir eine ganz andere Kommunalpolitik in Köln. Wir wollen die Lücke schließen, die viele Menschen empfinden, zwischen der Politik irgendwo dort und den betroffenen Bürger*innen hier. Das gelingt nur, wenn Menschen das Gefühl bekommen, beteiligt zu sein, gehört zu werden und Verantwortung übernehmen zu können. Menschen sollen auch innerhalb einer Legislaturperiode ihr Mandat weitergeben können. Damit öffnet man Kommunalpolitik auch für die, die sich das keine fünf Jahre vorstellen können, aber ein, zwei Jahre ihre Zeit und Energie dafür aufbringen können. Die Zugänglichkeit zum Ehrenamt muss nieder­schwellig sein, denn alle können Kommunalpolitik.

Die meisten Menschen interessieren sich aber kaum für Kommunalpolitik.

Bartz: Doch! Sie haben aber kein Interesse an politischen Spielen und Parteien-Geplänkel. Deshalb benötigen wir mehr Durchlässigkeit und auf lokaler Ebene eine neue Form der Beteiligung. Es gibt nach wie vor viele Menschen, die nicht gehört werden. Diese Communities müssen für sich selbst sprechen können. Dafür wollen wir die Möglichkeit schaffen.

Frau Gabrysch, Sie sind Klimaaktivistin. Warum der Schritt von der Straße zur OB-Kandidatin?

Gabrysch: Mit der Klimabewegung haben wir in Köln ein großes Netzwerk aufgebaut. Wir haben auch konkrete Forderungen an die Kommunalpolitik formuliert. Aber was, wenn das alles nicht gehört wird, obwohl die Zeit drängt? Ich will, dass diese Forderungen die Politik im Stadtrat bestimmen. Dafür trete ich an.

Und Deine Freunde ging es darum, die Klimabewegung für sich zu nutzen?

Bartz: Deine Freunde haben sich immer als Plattform verstanden. Wir bringen Menschen zusammen, die schon aktiv waren und wir sind es selbst – in der Friedensbewegung, der Gemeinwohl-Ökonomie, in der Mobilitäts­wende oder bei Zero Waste. Klima war immer eine Säule von Deine Freunde. Wir vereinnahmen keine Bündnisse, sondern sagen: Aktivist*innen in die Gremien.

Ihre Wählergruppe geht das Risiko ein, mit Deine Freunde einen Namen abzugeben, der sich in den vergangenen Jahren in der Kölner Kommunalpolitik etabliert hat.

Bartz: Die Namensveränderung ist ja ein Sinnbild dafür, dass Deine Freunde als Wählergruppe offen sind. Auch die Gründungsmitglieder, die seit 2009 dabei sind, haben im Sinne der Sache gesagt, dass die gemeinsame Weiter­entwicklung von Inhalten wichtiger ist, als dass wir weiterhin Deine Freunde heißen. Unsere Identität verändert sich nicht und hängt sich auch nicht an einem Namen auf.

Warum haben Sie sich nicht mit der Wählergruppe »Gut« vereint, die sich 2016 von Deine Freunde abgespalten hat?

Bartz: Die Frage ist eher: Warum haben einzelne Personen überhaupt eine neue Wählergruppe gegründet, die programmatisch fast eine Kopie von Klima Freunde ist? Die Gründe waren vor allem von persönlichen Interessen und Machtkalkül geprägt. Es waren damals nur wenige Personen, die ausgetreten sind, die große Gruppe ist zusammengeblieben. Thor Zimmermann sagte später selbst, dass eine Abspaltung nicht klug war. Viele Kölner*innen, die Deine Freunde 2014 gewählt haben, sahen sich durch die Mitnahme der Mandate durch Thor Zimmermann [Ratsgruppe Gut; Anm.] und Tobias Scholz [Ratsgruppe Gut; Anm.] und der damit verbundenen Gelder in Höhe von damals bereits 80.000,00€ jährlich um ihre Stimme betrogen, denn sie haben die Gruppe Deine Freunde gewählt und keine Einzelpersonen. Noch heute erreichen uns Zuschriften gerade im Hinblick auf die Kommunalwahl. Es ist wichtig, dass die Wähler*innen im September ihrer Meinung über die Vorgänge 2016 Ausdruck verleihen können. Trotzdem bleiben wir offen. Wir haben Gut zu unserem Netz­werk­treffen eingeladen und wir haben Kontakt zum Vorstand gesucht, es gab bis heute keine Reaktion. Ich bedauere das sehr, denn Kräfte bündeln ist das Gebot der Stunde.

Gabrysch: Wir wollen mit Klima Freunde erreichen, dass alle Seite an Seite stehen, die für ein gemeinsames Ziel kämpfen. Wenn Gut wieder zurück­kommen wollen – umso besser.

Wird es zum Problem, wenn Sie Ihre Themen wie Mobilität, Energie oder Wohnen priorisieren müssen?

Gabrysch: Der Klimabewegung geht es um soziale Gerechtigkeit. Wir benötigen ein Umdenken in fast allen Lebensbereichen. Wir fragen nicht: Was ist wichtiger? Wir verändern gemeinsam jeden Bereich. Wir sehen, dass alles im Zusammenhang steht.

Bartz: Alle haben verstanden, dass es nicht reicht, wenn man für sein eigenes Thema ein Schild hochhält. Wir kämpfen zusammen solidarisch für die Transformation. Wir sind keine Utopisten, aber wir wollen Visionen haben. Die fehlen für Köln.

Deine Freund*innen/Klimaliste Köln

kurz Klima Freunde, wurde 2009 als Deine Freunde gegründet. Die Wählergruppe zog 2009 und 2014 in den Stadtrat und mehrere Bezirks­vertretungen ein. Bei der Kommunal­wahl im September stehen Kandidat*innen von Klima Freunde in allen 45 Kölner Wahl­bezirken und allen 9 Bezirks­vertretungen zur Wahl.

Nicolin Gabrysch, 44, Klimaa­ktivistin und Parents-for-Future-Mitglied, kandidiert für das Amt der Ober­bürger­meisterin.

Immanuel Bartz, 37, ist Vorstands­vorsitzender der Wähler­gruppe.