Geheimes Sitzen: Jakob Lebsanft (links) und Georg Conrads

Die Zeit der Gatekeeper ist vorbei

Das Elektropop-Duo Boddy & Raquet sorgt für frischen Wind in der Kölner Musikszene

Wer aufgepasst hat, weiß längst, dass es in Köln ein neues Projekt gibt. Schon 2018 hatte sich auf der »Total 18«-Compilation von Kompakt ein Track des Duos Boddy & Raquet versteckt. »Signale« hieß die ungewohnt langsam trottende Elektro-Pop-Nummer, die ob ihrer haptischen Beschaffenheit — Schlag­zeug statt Drum-Machine, organische Bongo-Sounds, gemächliches Tempo — aus dem Kanon des Label-Sounds herausfiel. Während die Nummer von enigmatischem Charme war, ließen sich die Urheber recht einfach zuordnen: Raquet ist der Künstlername von Georg Conrads, eine Hälfte von COMA; Jakob Lebsanft pflegt ein Band­projekt namens Boddy.

Große Hoffnungen waren auf Seiten des Duos mit diesem Track gar nicht verbunden, doch COMA-Studiokollege Julian Stetter (Vimes) hatte »Signale« in ein DJ-Set eingebunden und war begeistert ob der Wirkung. Im Kompakt-Headquarter an der Weserstraße war man vermutlich nicht undankbar für diese neue Spielart des elektro-poppigen Sounds. Dann wurde es wieder leiser um die beiden. Boddy, die Band, spielte sich letztes Jahr in die Herzen der Zuschauer auf der c/o pop, Conrads veröffentlichte im November mit Marius Bubat das dritte COMA-Album. Nach der längeren Sendepause erstaunt es umso mehr, als im Mai plötzlich eine EP beim Kölner Label Papercup Records angekündigt wurde: »The Good Fences« heißt der Fünf-Tracker. Das kommt unerwartet in einer Zeit, in der Veröffentlichungen in den Herbst und Winter verschoben werden.

Wie kam es zu dem Projekt? Habt ihr nicht genug zu tun?

Jakob: 2016 hat uns unser gemeinsamer Freund Lenny Rothenberg von den Cardinal Sessions vor­ge­stellt. Mit meiner alten Band The Secret Sits haben wir bei Georg im Studio Probeaufnahmen gemacht. Die Band hat sich dann aber auf­gelöst ...

... vielleicht war der Namen dann doch nicht witzig genug ...

... vielleicht; jedenfalls bin ich aber dennoch weiter ins Studio gekommen, um gemeinsam Musik zu machen. Und habe mich langsam auch an das Produzieren gewagt — vorher habe ich meistens bloß gespielt statt zu produzieren.

Wie kamt ihr ausgerechnet jetzt auf die Idee, etwas zu veröffentlichen?

Georg: Wir hatten die ganze Zeit im Hinterkopf, dass wir ein paar Lieder in petto haben. Es war aber gar nicht klar, wann das geschehen würde. Das ist ja Material, mit dem wir teilweise schon 2017 begonnen haben. Aber dann hatte sich dieses Fenster im Frühjahr geöffnet. Bei mir fiel eine Tour mit COMA aus, Jakob hatte auch mehr Zeit. Dann haben wir das zum Anlass genommen, diese Tracks fertig zu machen. Aber Geplant
war das nicht, nein.

Du hattest gerade erwähnt, Georg, dass die Tour mit COMA gecancelt wurde. Da war das letzte Album »Voyage Voyage« erst vor einem halben Jahr erschienen. Das wäre ja die Tour zur Veröffentlichung gewesen. Es ist mittlerweile normal, dass man zur jeder Platte Konzerte spielt. Für diese EP werden sie aber vermutlich erstmal gar nicht möglich sein.

Jakob: Solche Marktüberlegungen standen gar nicht im Vordergrund. Wir haben vergleichsweise wenig daran gedacht, dass norma­lerweise direkt Auftritte folgen würden. Wir haben uns bis jetzt noch nichtmal Gedanken gemacht, wie man das irgendwann auf die Bühne ­bringen kann.

Es scheint, als wär das auch der Modus, der bei Papercup gepflegt wird. Ein Arbeiten abseits von aktuellen Ideen à la »die Band als Produkt«.

Georg: Man pflegt da nicht unbedingt diese Erwartungshaltung. Man muss nicht durchstarten, das stimmt. Das kommt uns mit un­serem kleinen Projekt entgegen. Dadurch, dass Jakob auch seine Band Boddy hat und ich bei COMA aktiv bin, war das immer als Encore gedacht.

Ist es das denn? Ein Encore? Oder sind solche Projekte wie Boddy & Raquet nicht auch Ausdruck einer veränderten Musikszene, in der man sich nicht auf eine Band festlegt, sondern versatil in verschiedenen Formationen und Projekten zusammenfindet?

Georg: Ich gebe dir recht, dass sich da etwas verändert hat. Aber mir scheint es eher daran zu liegen, dass sich im Zuge der Digitalisierung und der Demokratisierung der Mittel im Studio der klassische Band-Zusammenhang teilweise aufgelöst hat.

Jakob: Das glaube ich auch. Die Möglichkeit eines parallelen Werkens an mehreren Projekten ergab sich erst durch die Vereinfachung der Produktion selbst. Das gleiche gilt für die Veröffentlichung. Die Zeit der Gatekeeper ist vorbei, man ist heute weniger darauf angewiesen, ein Label zu überzeugen. Man kann es im Zweifel einfach selbst ins Netz stellen und rausbringen.

Ist es dann eben doch eine ästhe­tische Entscheidung?

Jakob: Ich glaube, auch heute noch wäre es unter kommerziellen Aspek­ten klüger, sich auf eine »Marke« zu konzentrieren. Tat­sächlich sind aber mein Musik­geschmack und mein Interesse breit gefächert. Es wäre also ein »inkonsistentes« Projekt, wo ich all diese Interessen zusammenbringen könnte. Es ist von daher eine ästhetische Entscheidung, sich in verschiedenen Konstellationen zu verwirklichen. Die Digitalisierung schlägt sich in der Breite meiner musikalischen Sozialisation nieder, die nicht mehr von Plattenläden und deren Selektion, sondern durch Blogs und dem Internet geprägt wurde.

»Stellar« ist erhältlich unter papercuprecords.bandcamp.com