Gretchen mit Mundschutz: Proben für die Performance bei »Britney X« Foto: Tobias Dömer

Ophelia im Reality-Check

Der Workshop »Roles to Come« am Schauspiel Köln fordert die Emanzipation von weiblichen Bühnenrollen

Gretchen, Julia, Ophelia und ihre Schwestern: Die Frauenfiguren klassischer Theaterstücke teilen ein gemeinsames Schicksal. Sie entstammen häufig einer männlichen Feder, werden im Theater oft von männlichen Regisseuren arrangiert und sterben zugunsten der heroischen Inszenierung ihrer männlichen Counterparts tragische Bühnentode. Aber wie können alternative Rollen aussehen? Um diese Frage ging es im Schreib-Workshop »Roles to Come« im Rahmen des »Britney X«-Festivals des Kölner Schauspiels. Über zwei Tage kreierten die Teilnehmer*innen im virtuellen Raum jene Figuren, die sie selbst gern auf der Bühne sähen.

»Es ging uns dabei nicht nur um weibliche Bühnenrollen«, sagt Workshop-Leiterin Christiane Hütter in der Rückschau. »Wir haben versucht, Theater­stücke über heteronormative Standards hinauszudenken, Familien­konstellationen zu überarbeiten und Liebesbeziehungen neu in Szene zu setzen.« Seit vielen Jahren ist Christiane Hütter in Berlin als Game-Designerin tätig. Von dort aus gründete sie 2014 das Netzwerk »Society for Cultural Optimism«, das situative Spieleformate entwickelt. Im Jahr 2015 war das etwa die »Weltmaschine«: Die Teilnehmenden nahmen darin die Rollen von Spiel-Charakteren ein und entwickelten gemeinsam Strategien gegen die »gesellschaftlichen Monströsitäten«. Ein weiteres Projekt von Hütter ist »Invisible Playground«. Das Bündnis remixt Computerspiele, Sportwettkämpfe und Partizipationskunst, zuletzt 2018 für das Schauspiel Essen. In »Der Spalt« tauchten die Spieler*innen für drei Wochen per App in eine hybride Welt, die sie sowohl gestalten, als auch sabotieren konnten. So erlebten sie Geschichten rund um das Stück an unterschiedlichen Orten der Stadt.

Als Expertin in der digitalen Welt sieht Christiane Hütter in einem Workshop per Videochat aber auch Herausforderungen. »Sinnliche Eindrücke und nonverbale Kommunikation fallen hier natürlich weg«, sagt sie. »All diese Zwischentöne, das Augenzwinkern, die impliziten Vereinbarungen konnten wir als Workshop-Gruppe nicht erleben.« Eine kreative Atmosphäre zu schaffen, sei daher manchmal schwierig gewesen. Dennoch blickt Hütter positiv zurück: »Die Teilnehmer*innen kamen mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Wünschen in den Kurs und haben spannende neue Figuren und Handlungsräume geschaffen.« Auf dem Festival, das nach Redaktionsschluss stattfand, sollten die Ergebnisse präsentiert werden. »Wir planen kein klassisches Bühnenformat, sondern etwas Experimentelles«, so Hütter. Empowerment stehe dabei im Vordergrund, und das Publikum sollte in die Vorstellung einbezogen werden.

Festival jenseits der Heteronormativität

Auf dem Festival war der Workshop nur einer von vielen Programm­punkten. Auch im vierten Jahr seines Bestehens setzte sich das »Britney X« mit Themen rund um Feminismus, Körper, toxische Männlichkeiten, Privilegien und die Zukunft des Theaters auseinander — wegen der Corona-Krise stets digital. Unter dem Motto »Know that you’re toxic«, das eine Liedzeile von Britney Spears leicht abwandelt, wurden am 19. und 20. Juni aus dem Depot in Mülheim Musik, Vorträge und Performances gestreamt, etwa die Rap-Opera »Fifity Sharks of Grey« über die Selbstbefruchtung von Tieren oder das Tanzstück »Antigone Jr.«, das die tugendhafte Gestalt der Antigone mit Unisex-Erotik verband.

Für Christiane Hütter sollten Themen wie diese viel öfter am Theater behandelt werden. Wie viele andere kritisiert auch Hütter die teils starren Strukturen, die an vielen Häusern herrschen: »An Gleichberechtigung mangelt es sowohl im Bereich der Gagen als auch bei der Verteilung von leitenden und kreativen Positionen.« Das Theater sei oft männlich geprägt. »Vieles funktioniert dort über implizites Male Bonding und explizite Hierarchien.« Aber auch auf der Bühne vermisst Christiane Hütter zeitgenössische und »diverse Figuren« und Szenarien. Im Workshop sei ihr deswegen wichtig gewesen, dass die Teilnehmenden miteinander ins Gespräch kommen, ihre Wahrnehmungen über Bühnenrollen austauschen und hin und wieder einen Aha-Moment erleben. Ein Reality-Check also, der dazu anregen soll, auch die eigenen Stereotype zu überdenken?

Anna Tenti konnte mit diesem Ansatz etwas anfangen. Die junge Regisseurin kuratiert das »Britney X«-Festival seit vergangenen Jahr mit Hermann Müller, und sie hat auch am Workshop teilgenommen. »Der Workshop hat mir noch einmal gezeigt, wie tief die Klischees und Rollenbilder in uns allen verwurzelt sind«, lautet Tentos Fazit. Um so wichtiger sei es, dass man sich kritisch mit den Figuren und Vorbildern, die auf Bühne und Leinwand zu sehen sind, auseinander setze. Der Workshop, sagt Anna Tenti, sei nur ein erster Schritt gewesen.