Kuckuck, hier bin ich! — Linke-Fraktionschef Jörg Detjen tritt gegen OB Reker an

Der Dampf geht weiter

Jörg Detjen zieht für die Linke in den OB-Wahlkampf. Er will Klimapolitik und Soziales verknüpfen

 

Vor der letzten OB-Wahl habe er sich nicht bereit gefühlt. Jörg ­Detjen macht Drehbewegungen mit den Handgelenken, um das Zögern zu verdeutlichen. So viel Gestik sieht man bei ihm selten. Jetzt aber freue er sich darauf, sagt der bald 66-Jährige auf der Terrasse des Bürgerzentrums Nippes. ­Detjen fordert Henriette Reker ­heraus, er will Oberbürgermeister werden.

Die Kölner Linke lässt ihren profiliertesten Lokalpolitiker antreten. Seit 1999 sitzt Detjen im Rat. Er ist kein begnadeter Redner, doch der Saal hört zu, es ist die Dringlichkeit seines Vortrags. Man habe ihm gesagt, er sei authentisch, sagt er. Das habe ihn gefreut. Wohl auch, weil das selten auf einen Politik-Routinier zutrifft. Der gelernte Drucker und Verlagskaufmann in Rente hat große politische Erfahrung. Er sitzt im Aufsichtsrat der Stadtwerke, leitet den Rechnungsprüfungsausschuss, ist 15 Jahre Fraktionsvorsitzender. Aber er marschiert auch unentwegt auf Demos mit, nicht nur im Wahlkampf.

Doch ist es nicht heikel, dass sich ausgerechnet die Linke in diesen Tagen für einen, pardon, alten weißen Mann entscheidet? Detjen schmunzelt sein kaum wahrnehmbares Schmunzeln. Dann sagt er, dass mit Güldane Tokyürek doch eine Frau mit Migrationshintergrund die Liste für den Stadtrat anführe. Er selbst, der Fraktionschef, steht bloß auf Rang 6. Wenn die Partei wieder sieben Prozent holt, nimmt Detjen erneut im Ratssaal Platz, sonst muss er seinen Ehrenfelder Wahlbezirk gewinnen. Beides sei ohnehin sein Ziel, sagt Detjen fast beiläufig.

Kandidatenkür in der Flora

Einige Tage zuvor wurden Detjen, Tokyürek und die anderen Kandidaten aufgestellt. Die Versammlung muss wegen Corona in einem großen Raum stattfinden. Man kommt im repräsentativen Saal der Flora zusammen. Ein Unding für die Linke, finden manche Genossen. Parteisprecher Günter Bell sieht es am Rande der Veranstaltung ähnlich. Doch OB Reker habe ihnen die Flora zugewiesen, um die Wahlversammlung abhalten zu können. »Uns wäre ’ne Turnhalle lieber gewesen«, sagt Bell. Nicht nur aus Imagegründen. Die Miete verschlänge einen Großteil des Wahlkampfbudgets.

In der Flora hält Detjen eine typische Rede: kräftige Stimme, gut strukturiert, aber kaum Dra­maturgie, keine Witzchen. Es geht gegen Rassismus und für die Rechte von Flüchtlingen, und wie die Umweltinitiativen ist auch Detjen gegen eine U-Bahn auf der Ost-West-Achse. Er fordert den oberirdischen Ausbau des ÖPNV, die Verkehrswende. Beim Thema Wohnungsnot fällt der Satz fürs linke Gemüt: »Als erstes würde ich den Kölner Kapitalisten richtig Dampf machen!« Viel Applaus, auch Heiterkeit. Detjen bekommt 76 Prozent, einen Blumenstrauß und unausgesprochen den Auftrag, die Linke für die Stadtrat-Wahl zu stärken. Zehn Prozent sollen es werden, hört man.

Detjen bestätigt das einige Tage später beim Espresso im Bürgerzentrum, das sei zu schaffen. Auch eine OB-Stichwahl gegen Reker? Das Detjen-Schmunzeln. »Also ich sehe den SPD-Kandidaten doch schon noch stärker.« Das ist Andreas Kossiski (siehe Stadtrevue 3/2020), den die zerstrittene SPD ins Rennen schickt. Dessen Wahlkampf fußt auf zwei Aussagen: dass Reker die Probleme nicht anpacke und dass das drängendste Problem die Wohnungsnot sei. Detjen sieht’s ähnlich. Er will eine Taskforce gründen und eine zusätzliche städtische Wohnungsbaugesellschaft. Zudem sagt er, dass Klimapolitik sowohl ökologisch als auch sozial gedacht werden müsse. Anders als die SPD sieht Detjen darin keinen Widerspruch. Er betont, Klimakrise und Soziale Frage gehörten zusammengedacht. Die Klima-Proteste geben ihm Recht, dort wird immer auch über Armut, Ausbeutung, Ausgrenzung gesprochen. Diese Klientel braucht Detjen. Ursprünglich wollte die Linke auch unter den Parteien ein breites »progressives Bündnis« mit gemeinsamem Kandidaten gegen Reker schmieden — bis ins bürgerliche Lager. Doch die Grünen entschieden sich noch einmal für Reker, und die SPD bestand auf einem eigenen Kandidaten.

Der Allianzenschmied

Dieses Bündnis ist Detjen nicht geglückt, aber viele andere. Er findet über seine Partei hinaus Anerkennung. Angriffe wegen seiner Vergangenheit im Kommunistischen Bund Westdeutschland hört man kaum noch. Detjen bildet Allianzen: für eine humane Flüchtlingspolitik, gegen Nazis und Rechtspopulisten, für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Dann, aber auch, wenn die Linke gegen Sonntagsöffnungen mobilisiert, steht er nicht nur mit den Gewerkschaften dagegen, sondern auch mit den Kirchen. Er kann über ideologische Grenzen hinaus Stimmen sammeln. Aber Detjen weiß selbst, dass er OB nicht werden wird. Doch wie wäre das? Allein, die ­Vorstellung, dass er an Karnevalssitzungen teilnehmen muss — aus dem Schmunzeln wird ein Lachen. »Tja, da müsste man sich dann was überlegen...«

Es wird ihm erspart bleiben. Nicht aber, dass er als OB-Kandidat seine Partei gestärkt in den Stadtrat führen soll. Wer Linke wählt, soll auch OB-Kandidat Detjen wählen. Und wer Detjen wählt — als enttäuschter Sozialdemokrat, unentschlossener Grüner oder Nichtwähler —, soll auch die Linke für den Stadtrat wählen.