Die Moderne der meditativen Ruhe

Um den Sommer in Köln zu überleben haben wir ungewöhnliche Routen in Köln erkundet. Eine davon führte uns in den Kölner Norden, wo uns Nach­kriegs­kirchen einiges erzählen können

Im Kölner Norden wird Sozialgeschichte erzählt. Nicht nur die der Clouth- und Ford-Werke, auch die der Kölner Gläubigen. Denn hier, in den früher proletarischen Vierteln von Nippes und Riehl steht eine beeindruckende Sammlung an modernen Kirchen. Sie sind Zeugnisse der großen Reformen und Konflikte, die insbesondere die katholische Kirche im 20. Jahrhundert ausgetragen hat.

Unsere Tour beginnt in Mauenheim, in der evangelischen Philipp-Nicolai-Kirche. Ihr Namenspatron war ein Pfarrer und Liederdichter aus dem 16. Jahrhundert, dessen Lieder sich in der Gestaltung der Fenster widerspiegeln. Das Kirchengebäude von 1965 ist ein zweigeschossiger Quader aus Ziegeln, der wie alle modernen Kirchen im Inneren eher schlicht gehalten ist. Direkt neben dem Bau finden wir eines der Merkmale des Kirchenbaus im Kölner Norden: ein separater Glockenturm, der Campanile. »Die Geschichte des Campaniles an modernen Kirchengebäuden ist komplex«, sagt Erzdiözesan­baumeister Martin Struck. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es mit Einführung der Kirchensteuer für viele Gemeinden nur Bistumszuschüsse für den Bau des Kirchengebäudes. Den Turm mit den Glocken mussten die Gemeinden selbst finanzieren, und er ließ sich am einfachsten neben der Kirche aufstellen. Für einige Architekten war in jener Zeit die klassische, römische Architektur Vorbild. Der Campanile der Philipp-Nicolai-Kirche wurde erst 1989 errichtet. »Man hat den Baukörper selbst als eine Art Skulptur betrachtet und der freigestellte Kirchturm konnte als eine weitere Skulptur behandelt werden«, sagt Struck.

Glockenturm als Alleinstellungsmerkmal

Ein besonders beeindruckender Glockenturm steht an der Salvator-Kirche in Weidenpesch (1958). Seine Außenverkleidung aus Ziegeln sowie die Wabenfenster nehmen die Architektur der benachbarten Kirche auf. Deren Kirchenraum ist schlicht gehalten, aber wirkt durch die Mischung von Backsteinen und weißem Putz abwechslungsreich. Das Mosaik aus dem Altar zeigt eine Szene aus der Offenbarung, besonders lohnenswert ist jedoch der Blick vom Altarraum in Richtung des west­lichen Wabenfensters, das die Kirche mit diffusem Abendlicht flutet.

Etwas weiter nördlich gibt es gerade eine Menge Bauschutt. Die Evangelische Kirchengemeinde lässt die 1951 erbaute Erlöserkirche abreißen. Dafür muss der beein­druckende Campanile einem neuen Gemeindezentrum mit Wohnungen, einer Kita und Gemeinschaftsräumen weichen. Auf Skepsis bei den Gemeindemitgliedern stößt allerdings der geplante Kirchenraum, den einige als zu schlicht empfinden. Darin spiegelt sich eine Tendenz, die man auch bei katholischen Gläubigen findet, erzählt Martin Struck: »Viele Pastöre sagen: Wir bevorzugen eine richtige Kirche und meinen damit eine mit Säulen und bunten Fenstern.«

Dabei stand hinter der schlichten Bauweise der meisten modernen Kirchen eine Idee, die sich durch die Liturgische Bewegung schon während der Weimarer Republik in Köln verbreitete und schließlich in den großen Kirchen­reformen des 20. Jahrhunderts mündete. Anstatt die Heiligen auf den Altären und den Kirchenfenstern anzubeten, sollten die Gemeinde ihre Interaktion mit dem Priester und damit auch mit Gott in den Mittelpunkt rücken, wofür eine minimalistische Kirchenarchitektur den perfekten Hintergrund bildete. Vorangetrieben wurden diese Reformen zumeist von den Gemeindepfarrern, die sowohl die Kirchenhierarchie als auch die bisweilen konservativen Gemeindemitglieder gegen sich hatten. Die Heilig-Kreuz-Kirche in Weidenpesch von 1931 verkörpert diesen Konflikt. Ihr Grundriss lehnt sich an die gotischen Kirchen samt Säulenstruktur an, aber die Wände und der Altarraum sind weiß und verziert.

Schlichtheit als Fortschritt

Weiter nördlich, in Longerich, sind dann die Fortschritte zu sehen, die der Kirchenbau in 25 Jahren machte. Dort wurde 1956 der Grundstein zur Katholikentagssiedlung gelegt, in der katholische Familien mit mindestens vier Kindern ein kleines Haus beziehen konnten. Herzstück der Siedlung ist die Pfarrkirche St. Bernhard, benannt nach dem Ordensvater des Zisterziensierordens, Bernhard von Clairvaux. Seine asketische Lebensweise spiegelt sich in der schlichten Backsteinverkleidung wider. Mittlerweile ist die Kirche jedoch überdimensioniert, das Erzbistum plant deshalb, einen Teil des Gebäudes für Kirchenmobiliar zu nutzen, das anderswo nicht mehr benötigt wird. In Longerich lohnt sich auch der Besuch der von Fritz Schaller 1951 erbauten Christ-König-Kirche, die sich perfekt in die Wohnarchitektur des Longericher Nordens einfügt.

Über die Neusser Straße und Scheibenstraße geht es dann zur Schlenderhaner Straße nach Niehl. Schon beim Abbiegen sieht man den abgesetzten grauen Steinturm der evangelischen Petrikirche. Sie wurde 1965 eingeweiht und ist einer klassischen Basilika nachempfunden. Der monumentale Innenraum ist im gleichen dunklen Stein gehalten und strahlt eine meditative Ruhe aus. Beeindruckend ist das blaue Fenster, das die Kreuzigung Jesu darstellt und durch das am frühen Abend das Licht in die Kirche fällt.

In direkter Nachbarschaft liegt die Fordsiedlung, die in den frühen 50er Jahren für Werksarbeiter*innen erbaut wurde. Die dazugehörige katholische Kirche wurde deshalb nach St. Christophorus benannt, dem Schutzheiligen der Reisenden. Erbaut wurde sie 1959 von Rudolf Schwarz, dessen Fronleichnamskirche in Aachen von 1930 eine Pionierarbeit des modernen Kirchenbaus ist. In Niehl entschied er sich für einen Baukubus aus Beton und Backsteinen, im Inneren sind die Grenzen zwischen Altar- und Gemeinderaum aufgehoben, so wie es der Liturgischen Bewegung, der Schwarz angehörte, vorschwebte. Seit 1989 wird die Kirche von der armenischen Gemeinde benutzt, die den minimalistischen Kirchenraum mit einer Kuppel versehen haben. Die Zukunft des Gebäudes ist allerdings offen.

Kirchenbau und Industriearchitektur

Wir verlassen die Siedlung in südlicher Richtung zur Friedrich-Karl-Straße. Dort liegt die katholische Kirche St. Clemens, die von Karl Band, einem der wichtigen Kölner Kirchenbauer gebaut wurde. Band hat in St. Clemens ein Altargewölbe im Stil einer gotischen Kirche gebaut, das er jedoch mit nackten Betonsäulen abstützte. Der in rotem Backstein gehaltene Kirchturm wiederum bezieht sich direkt auf die Fabriktürme des industriell geprägten Kölner Nordens.

Über Nordpark und Riehler Gürtel fahren wir nach Riehl. Die evangelische Stephanuskirche mit ihrem beeindruckenden Satteldach wird gerade renoviert, aber die katholische Kirche St. Engelbert macht dies mehr als wett. 1931 wurde sie von Dominikus Böhm als Ausdruck der Liturgischen Bewegung gebaut, gegen das erklärte Missfallen des Generalvikariats. Die parabelförmigen Außenwände sind aus modernem Beton, aber mit klassischem Backstein verziert. Im Inneren fällt besonders der helle Altarraum auf, auf den man aus dem Halbdunkel des Innenraums blickt. Bekannt ist St. Engelbert aber aus einem anderen Grund. 1946 hielt Josef Kardinal Frings hier seine Predigt, in der er eine Generalabsolution für das Klauen von Kohleklütten erteilte.

Die letzte Station der Tour ist St. Hildegard in der Au in Nippes. Die quadratische Kirche ist durch ihre winzigen Fenster gekennzeichnet, das Markenzeichen von Architekt Stefan Leuer. Auch Altar und Tabernakel lohnen den Besuch. Lange bleiben sie aber nicht mehr stehen. »Die Gemeinden haben zu viel Raum und zu wenig Geld. Sie geben deshalb zuerst die gottesdienstliche Nutzung in den modernen Kirchen auf«, so Martin Struck. Ersetzt werden sie in Nippes durch Wohnungen.

Radtour
Start: Mauenheim, Nibelungenstr. 62
Ziel: Nippes, Corrensstr. 2
Länge: 15 km, 3 Stunden

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