Hippe Nostalgie: Syphon als historisches Kölschbehältnis zum Selbstbetanken

Schmeckt auch dem Virologen

Schankgaststätten leiden besonders unter der Krise. Die Gastro­nomie reagiert mit der Wieder­geburt des Siphons

 

Seit 19 Jahren betreibt Peter Essen die »Braustelle« in Ehrenfeld. In all der Zeit hat in dem Brauhaus an der Venloer Straße das Siphon Höhen und Tiefen erlebt. In den Anfangsjahren, erinnert sich Esser, habe man die hauseigenen Biere für den Außer-Haus-Verkauf ausschließlich in den verschließ­baren Glasgefäßen angeboten. Dann stieg die Braustelle um auf Flaschen. Hauseigene Biere wie das Helios-Kölsch oder den »Pink Panther«, ein fruchtiges Ale mit Hibiskusblüten, gab es auch in handelsüblichen 0,33-Liter-Fläschchen. »In den letzten Jahren war das Siphon eigentlich nur noch was für einige wenige Liebhaber«, sagt Esser. Das könnte sich jetzt ­ändern. Mitte Juni steht Esser in seinem Gastraum, das Geschäft läuft nach der Corona-Pause wieder an, und auf dem Tresen neben Esser sind knapp zwei Dutzend ­Siphons gestapelt.

»Für uns ist das eine nette Sache für den Außer-Haus-Verkauf«, sagt Esser. Nach den ersten Lockerungen der Corona-Maßnahmen in der Gastronomie habe man sich dazu entschlossen, den Gästen die braunen Glaskaraffen, die ein wenig an Apotheke erinnern, zum Verkauf anzubieten. 15 Euro kostet der Behälter, in den Fassbiere zum Literpreis abgefüllt werden. Der Gast ­bekommt frisch Gezapftes für die Sportschau zu Hause oder das Picknick im Park zu günstigen Konditio­nen. Gerade bei kleinen Brauern wie Peter Esser schlagen Reinigen, Abfüllen oder Etikettieren auf den Flaschenpreis. Das Siphon ist eine günsige Alternative.

Dass Gastronomen dieser Tage das Siphon wiederbeleben, ist eine von vielen Reaktionen auf die ­Corona-Krise. Die Folgen der Pandemie haben gerade den Betrieben zugesetzt, in denen sonst Bier in rauen Mengen getrunken wurde, was dementsprechend einen großen Anteil am Umsatz ausgemacht hat. Das betrifft in vorderster Front die Gaststätten, im Hintergrund aber kaum weniger die Brauereien als Zulieferer. Nach einem starken Karneval mit einem Umsatzplus ist der Absatz von Fassbieren bei vielen Kölschbrauern fast komplett eingebrochen. Auch Deutschlands Obervirologe Prof. Christian Drosten outete sich als Flaschenbiertrinker: »Ins Freie gehen — Flaschen­bier trinken«, empfahl er schon zu Beginn der Pandemie. Die Biere mit einer Haltbarkeit von wenigen Monaten werden zu Ladenhütern, den Brauereien droht ein desaströses Jahr. »Die Fassbierabsätze sind sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden«, sagt Gaffel-Pressesprecher Michael Busemann. Zwar würden im Einzelhandel mehr Flaschen verkauft. »Aber die Flasche kann nicht kompensieren, was uns beim Fass verlorengeht«, sagt Busemann. Gaffel ist der größte Versorger der Kölner Gastronomie, zudem sind alle großen Brauereien Partner von Events wie Messen, Kultur- und Sportveranstaltungen. »Das, was Leute bei der Veranstaltungen wie den FC-Spielen getrunken hätten, trinken sie ja nicht alleine zu Hause«, sagt Busemann. Die Brauer feiern die kleinen Erfolge. Gerade hat Gaffel ein Wiess eingeführt, das es nur als Fassbier in Gaststätten zu kaufen gibt. »Das läuft auch im Siphon gut«, sagt Busemann.

Jürgen Knoke wundert das nicht. Der Rentner aus Bergisch Gladbach ist Mitglied bei den Kölner Bierhistorikern. Entstanden vor gut sechs Jahren aus einem Hobbybrauer-Stammtisch, versammelt der Verein heute 44 Mitglieder mit enormer Bierexpertise. Zwölf Bier-Sommeliers sind bei den Bierhistorikern aktiv, darunter der Bonner Stephan Hillebrandt, bis vor kurzem sogar Weltmeister der Bier-Sommeliers. »Dass der Vater den ältesten Sohn mit einem Krug in die Kneipe geschickt hat, um Bier zu holen, das gab es schon immer. Das war ja das gleiche Prinzip wie beim Siphon«, sagt Knoke. In Deutschland habe das Siphon zuletzt an Bedeutung verloren, in anderen Teilen der Welt nicht, etwa im Bier-Land USA. »Mitte der 70er Jahre hat Jimmy Carter in den USA das Hobbybrauen erlaubt. In den 80er Jahren wurde dadurch eine Welle von Gründung kleiner craftbrewer losgetreten«, erzählt Knoke. Ausgeschenkt wird meist im sogenannten Growler, der amerikanischen Version des ­Siphons. »Damit arbeitet jedes Brew Pub«, sagt Knoke. Der Bier-Experte glaubt nicht an eine Renaissance des Siphons im Massenmarkt und auch nicht daran, dass das Siphon die Rettung der kriselnden Schankwirtschaften sein könne. »Aber wo es eine super Zukunft haben könnte und auch haben sollte, ist im Bereich der hand­werk­lichen Brauerei«, sagt Knoke. Der Standort Köln sei dafür günstig. »Wir leben in Köln, im Vergleich zu anderen Städten ja auf einer Insel der Glückseligen«, sagt er. » Es gibt zwar größtenteils eine Sorte, aber mit unterschiedlichen Braugaststätten.« Außerdem gebe es viele kleine Lokale abseits des Mainstreams mit interessanten und vielfältigen Bieren im freien Ausschank. Jürgen Knoke nennt den »Craft Beer Corner« und das »Deli­rium« in der Altstadt, das »Maria Eetcafe« am Bahnhof West und »einen der ersten Craftbrewer in NRW überhaupt«, nämlich Peter Esser und seine Braustelle in Ehrenfeld. Dort stehen die Siphons schon bereit.