Zeitnah zum Ergebnis: Niklas Wandt, Foto: Fabian Kretz

Triple A – Alles Außer Alben #1

Die Band JaKönigJa hatte auf ihrem Album »EBBA« (2005) davon berich­tet, dass man zu wenig Zeit habe, um alles unter einen Hut zu bekommen: Freunde, Geschwister, Arbeit, Zeitung lesen und den allmorgendlichen Schmerz. Was teilt man ein, wie sortiert man, welche Kriterien findet man zur Bewältigung des Alltags? Eine Frage, die einem wiederholt begegnet. Manchmal beim Kochen, und manchmal schlägt sich das auch auf die Hör­gewohn­heiten nieder. Während nämlich das pausenfreie, stundenlange Stöbern auf Streaming-Portalen ein weltweites Phänomen geworden ist, scheint sich dies für das Musikhören in das Gegenteil verkehrt haben. Die Kehrtwende lässt sich komprimiert auf sechs Worte ausdrücken: Weg vom Album, hin zum Kurzformat.

Warum locken alte und neue Kurzformate — hier die EP (Extended Play) und die 12Inch, dort etwa die Digi- bzw. Videosingle — beiderseits des Play-Buttons Künstler*in­nen wie Kon­sument*innen? Wie kam und kommt es zum schleichenden Untergang des Langspielers? Gibt es ausschließ­lich das Diesseits der Rationalisierung des Musikmarktes, der die Tendenz zum Single-Track-Play erkannt hat und daraufhin skaliert? Oder kann man kürze­re Formate als Ergebnis eines künstlerisch-konzeptuellen Prozesses betrachten? Haben sich Künstler*in­­nen durch die neuen (Selbst-)Distributionswege emanzipiert von »alten« Logiken des Marktes, die immer darauf achteten, dass nicht zu viel Material gleichzeitig erhältlich ist? Oder ist dies wiederum eine Erzählung, die den Big-Playern der Industrie nur recht kommt im Kampf um Klicks? Gerade in einer Zeit in der aktuell gehypte Begriffe wie »ehrlich«, »persönlich« und »echt« Verkaufszahlen direkt beeinflussen? Wir werden hier wohl einige Zeit damit verbringen, uns durch diesen Dschungel zu manövrieren.

Eine erste Fährte hat uns glücklicherweise Niklas Wandt gelegt, Hauptakteur des ersten Teils unserer neuen Kolumne »AAA«. Passenderweise schießt er doch gleich zwei EPs dieser Tage aus der Hüfte. Wo der unweit von Köln geborene Wandt bis dato als Deutsch-Rapper, Free Jazzer und Indie-Rocker (Oracles) aufgefallen war, reichert er das Portfolio seit längerem um organischen und wavigen House an. »Das EP-Format ist im Falle der beiden Platten, die nun erscheinen, einfach Ergebnis zweier Sessions. Eine EP führt zeitnaher und konzentrierter zum Ergebnis«, schreibt er in einer WhatsApp.

Eine der beiden Vinyls entstand in Zusammenarbeit mit dem Aus­tralier Kris Baha. Als Angstlust, erschienen auf dem Wiener Label NEUBAU, beschreiten Wandt und Baha jene Wege, die Wandt schon mit seinem Projekt Neuzeitliche Bodenbeläge — mit dem ehemaligen Oracles-Kollegen Joshua Gottmanns — angelegt hat. In der Gestalt eines Duos mit elektronischen Drums und Texten über Transgression positionieren sich Angstlust zwischen D.A.F. und Cabaret Voltaire. »Das ist alles jünger als ein Jahr. Die Grätsche zwischen Produktionszeitraum und Veröffentlichung ist kleiner als bei einem Album. Ergo ist das zu Hörende ein halbwegs zeitgenös­sischer Einblick.«

Dieses direktere — und auch kleinteiligere — Arbeiten entdeckt man, wenn man sich der »Erdtöne EP« (Kryptox) zuwendet. Spannenderweise mag man kaum glauben, dass sich hier der gleiche Künstler präsentiert. Die Solo-Platte korreliert eher mit den Neu-New-Age-Kraut-Exotika, die Wandt mit dem Düsseldorfer Jan Schulte (aka Wolf Müller) pflegt. Trotz der im besten Falle tollpatschigen Vermarktung durch das Label als »elektronischer Jazz aus der aufständigen deutschen Szene« weiß die Scheibe zu gefallen. Die sieben Minuten des Titeltracks oszillieren zwischen Listening und Schwof, evozieren sicherlich ein paar Eso-Vibes, bekennen sich aber zum Ende hin zu zivilisationsfortschrittlichen Soundspektren und sterben auf der sprichwörtlichen High-Note. Der andere Siebenminüter »Luftkraft« driftet in funky Gefilde ab; eröffnet derweil mit einer Trommelübung aus dem Reiche des Jazz‘ und reanimiert den totgeglaubten Slap-Bass. Es gilt: Erlaubt ist, was gefällt.

Diese Gespreiztheit des musikalischen Ausdrucks ist gleichfalls ein Phänomen dieser Tage: Wo ­früher Inhalte verworfen wurden, weil sie etwa dem eigenen »brand-building« zuwider liefen, können sie mittlerweile locker in die verschiedenen Kanäle gestreut werden. Wandt selbst deutet dies an: Es handelt sich hier schlichtweg um Sessions, die man nun eben verewigt. Die Frage: Steht das Vinyl eigentlich noch im Mittelpunkt des Arbeitens oder ist sie bloß noch Byproduct des Fokus auf den Digitalverkauf?

Vergleichsweise große Namen im Geschäft verzichten jedenfalls immer häufiger auf das Tonträger-Geschäft. Dies zeigt sich nicht nur beim aktuellen Remix des Musikers Kieran Hebden aka Four Tet für seinen Freund Caribou. Der hyperaktive Produzent (Discogs verzeich­net über 100 Veröffentlichungen und mehr als 200 Remixe) emanzipiert sich vom Pop-Korsett des Originals und verortet das Ohrwurm-Material in ein Nu-Disco-Umfeld. Die Nummer gibt es mithin nur auf Spotify et al. zum Streamen oder bei Bandcamp digital zu kaufen. Hier schlägt sich ein Desinteresse am physischen Tonträger, das schon fast aufreizend ist. Gleichzeitig ist es ein fast schon willkommenes Puzzle-Teil im Herzen einer neuen Kolumne. Dazu dann beim nächsten Mal mehr.

Foto: Niklas Wandt

Diskographische Hinweise:

Niklas Wandt, »Erdtöne EP«, (Kryptox / K7!)

AngstLust, »Animal Shelter EP« (Neubau)

Caribou, »Never Come Back (Four Tet Remix)« (City Slang)