»Ich mag es, meinen Sachen physisch gegenüber zu stehen«: Camillo Grewe, Stipendiat der Stadt Köln 2020 | Foto © Alison Yip

Jenseits der Grundsicherung

Die Freie Kunstszene ist besonders von der Corona-Krise betroffen. Fünf Kölner Künstler*innen im Gespräch

»Dann kam die große Unsicherheit, wofür die Corona-Soforthilfe verwendet werden darf und letztlich bin ich nicht sicher, ob ich alles richtig gemacht habe oder es irgendwann Rückforderungen geben wird.« Es ist nur ein Satz aus dem Interview mit der Künstlerin Ale Bachlechner, doch er zeigt, mit welchen Problemen und Verunsicherungen sich Künstlerinnen und Künstler Frühjahr und Sommer 2020 herumschlagen. Covid-19,
die Maßnahmen weltweit und der Lockdown in Deutschland im Speziellen haben das gesamte kulturelle Leben zum Erliegen gebracht. Eine Rückkehr zum früheren Status Quo ist obsolet, die Aufgabe für die Bildende Kunst wird es sein, Räume des Rückzugs bei nächsten Viruswellen bieten zu können.

Im E-Mail-Austausch mit fünf Kölner Künstler*innen zeigen sich unterschiedliche Herangehensweisen, aber auch bestimmte Muster. Die Unklarheiten um Förderung, Soforthilfe, finanzielle Interims­lösungen sind nur ein Aspekt der Unsicherheit, allerdings ein gravierender. Zur Erinnerung: Am 27. März hatte das Wirtschaftsministerium NRW einen Corona-Soforthilfetopf initiiert und freigegeben. Allerdings ging die Maßnahme an der Lebensrealität vieler Künstler*innen vorbei: Die maximal 9.000 Euro für »Solo-Selbstständige« waren ausschließlich für Betriebskosten vorgesehen — nicht für den Lebensunterhalt. Ein zu­­sätzlicher Topf, ins Leben gerufen von der engagierten NRW-Kulturministerin, war schon Anfang April nach 3.000 Anträgen aufgebraucht; seine Neuauflage wurde zum Zankapfel zwischen Land und Bund. Künstler*innen wurden derweil lapidar auf den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung hingewiesen: Arbeitslosengeld II.

»Ich habe die Grundsicherung nicht beantragt, weil ich nicht der Meinung bin, ich sei arbeitslos«, so die Video- und Installationskünstlerin Lyoudmila Milanova. »Ich bin täglich mindestens sechs Stunden im Atelier.« Von den befragten Künstler*innen hat niemand Grundsicherung beantragt, alle arbeiteten an Kunstwerken. »Es gab, bis auf Materialbeschaffung, keine größeren Einschränkungen für mich«, erzählt der Maler René Kemp. »Ich habe Dinge umgestellt, den Weg ins Atelier immer zu Fuß gemacht.« Neben Fußwegen und Hygiene-Regeln für Arbeitsräume bedeutet Corona aber tiefergehende Einschnitte in die »Normalität« des Kunstbetriebs.

Gerade in den letzten Jahren wurde der sogenannte mobile Kunst-Jet-Set nicht nur von Groß­galeristen und staatstragenden Künstler*innen bedient. Auch in der Freien Szene haben Künst­ler*innen eine internationale, globalisierte Verknüpfung erreicht, die das Virus abrupt ausgebremst hat. Selma ­Gültoprak, die häufig mit ortsbezogenen Interventionen arbeitet, sollte eigentlich längst mit einem Recherche-Stipendium in Los Angeles an einem Projektvorhaben arbeiten. Es fiel ebenso ins Wasser wie eine Recherchereise von Lyoudmila Milanova nach Südkorea. Die Einschränkungen des Flugverkehrs treffen international agierende Künstler*innen — und das sind heutzutage fast alle — unmittelbar.

Gerade für Installative Kunst und Performance sind Reisen und Residencies die Arbeitsgrundlage. Museen, Kunsthäuser, Galerien und selbstverwaltete Orte sind aber alle von Restriktionen getroffen. Präsentationsfragen müssen via Videoschalte besprochen werden, Kunstwerke können Ländergrenzen nicht überschreiten, Künst­ler*innen schlicht nicht vor Ort sein. Gleichzeitig werden Besucherzahlen eingeschränkt und Veranstaltungen abgesagt. Das bedeutet für Galerien, Künstler*innen: Die Verkaufserlöse gehen zurück; bei den Institutionen die Einnahmen über Eintrittsgelder. Das alles wird nachhaltig Auswirkungen haben.

René Kemp verweist zwar darauf, dass »der Kunstmarkt« sowieso kein offenes System sei und deswegen Prognosen schwierig, resümiert dennoch: »Offensichtlich ist: Wer Geld hat steht besser da, als jemand ohne Geld.« Ale Bachlechner sieht das ähnlich: »Ich selbst glaube wenig an die ›Krise als Chance‹, denke eher, dass sich bereits bestehende Ungleichheiten weiter verschärfen.« Und diese sind eben doch oft finanzieller Natur: »Ich glaube krisenresistent heißt in einer Wettbewerbslogik vor allem, einen halbwegs langen Atem zu haben, und das wiederum hängt oft mehr davon ab, wie lange das Geld reicht, als vom Ideenreichtum.«

Eine Idee wäre die Übertragung in den virtuell-digitalen Raum. Einige Galerien hatten schon vor Corona digitale Showrooms angelegt, auch Selma Gültoprak findet das verlockend: »Es gab die Möglichkeit, sich die Dallas Art Fair online anzuschauen. Klar, der Messe-Vibe fehlt, aber man hätte zumindest neue Kunst sehen können.« Sie verweist aber auch auf das Überangebot und die mangelnde Konzentration, sich permanent Kunst an Bildschirmen anzuschauen. Und nicht nur ästhetisch kennt dieser Zugang Grenzen: Das Fehlen von Modellen, wie man aus den digitalen Möglichkeiten Wertschöpfungsketten abseits des Kunsthandels entwickeln könnte, wird nun schmerzhaft offen gelegt.

Camillo Grewe, derzeit Friedrich-Vordemberge-Stipendiat der Stadt Köln, kann immerhin mit der damit verbundenen Förderung von 12.000 Euro rechnen. Seine Preisträgerausstellung in der Artothek, terminiert für Oktober, dürfte vorbehaltlich einer zweiten Corona-Welle tatsächlich stattfinden. Was Online-Projekte betrifft, vermisst auch er die physische Präsenz: »Ich mag doch sehr, meinen Sachen gegenüber stehen zu können.« Wie solche Ausstellungspläne praktisch realisiert werden können, steht in den Sternen. Wie so vieles für junge freischaffende Künstler*innen — in Köln und überall woanders.

Ale Bachlechner: alebachlechner.com

Camillo Grewe: stadt-koeln.de/Kultur/Kulturförderung

Selma Gültoprak: selma-gueltoprak.com

René Kemp: aufstehenhinlegen.com

Lyoudmila Milanova: lucymilanova.com