Topografie als Schicksal: chilenische Streichhölzer

Die Kordillere der Träume

Patricio Guzmán widmet sich den Anden und den Folgen der Militärherrschaft in Chile

Ein Drohnenblick auf die Ruine eines Wohnhauses. Dann schwenkt die Kamera zum Horizont, zeigt kurz die weite Landschaft, bevor sie vor dem Gebäude nach unten gleitet und eine unversehrte, repräsentative Fassade zeigt. Hier lebte einst der chilenische Dokumentarfilmer Patricio Guzmán (siehe Interview S. 88), der die Zerstörung des Hauses seiner Kindheit emblematisch auch für den Zustand seines Landes nach dem Militärputsch vom 11. September 1973 und der folgenden Diktatur sieht.

So jedenfalls konstatiert es der mittlerweile fast achtzig Jahre alte Regisseur im Kommentar. Das ferne Heimatland war das Sujet all der Filme, die Guzmán im Exil drehte, zunächst in Spanien und dann in Paris. Zuletzt begann Guzmán 2010 eine Trilogie, die die Geschichte Chiles mit seinen Landschaften verknüpft. Nach der Wüste (»Nostalgia de la luz«) und dem Meer (»Der Perlmuttknopf«) kommen nun die Berge in den Blick, die das Land topografisch prägen und zugleich sichern und abschotten.

Diese »Kordilleren« setzt Kameramann Samuel Lahu in großartigen Totalen in Szene, wobei der Blick immer wieder auch aus der Luft über Guzmáns Geburtsstadt Santiago de Chile schweift, die zwischen zwei Bergketten liegt. Doch auch die Pflastersteine am Boden finden Beachtung. Dabei rücken Guzmáns Betrachtungen aus dem Off sowie die Gespräche mit mehreren, meist männlichen Künstlern neben der Poesie des Gesteins die blutige Unterdrückung der Pinochet-Jahre in den Fokus.

Vermittler ist der Kameramann Pablo Salas, der seit 1982 die Repression auf Video festhält und wundersamerweise selbst nie die Gewalt des Militärs zu spüren bekam. Seine Bilder wurden für TV-Dokus und Filme genutzt, jetzt zeigt Guzmán zwischen Ausschnitten aus Salas’ Filmsammlung auch den Mann selbst. Der weist darauf hin, dass Morde und Folter selbst nie gefilmt werden konnten. Dennoch ist sein Archiv eine bedeutende Grundlage für das Verständnis einer Historie, die in die Gegenwart reicht. Denn wie Guzmán in vielfältigen Metaphern zeigt, ist die damalige radikale neoliberale Wende mit krasser sozialer Ungleichheit und Vereinzelung bis heute fatal.

Auch wenn der letzte Teil der Trilogie nicht so dicht gestrickt ist wie die beiden ersten, bietet er mit all den motivischen Verknüpfungen und dem starken persön­lichen Akzent einen stimmigen Abschluss. 2019 wurde »Die Kordillere der Träume« in Cannes als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.

(La cordillera de los sueños) CHI/F 2019, R: Patricio Guzmán, 85 Min. Start: 16.7. Preview im Rahmen der Kölner Kino Nächte: 12.7., Filmpalette, 18 Uhr.