Hainbach

Eigene Legos gießen

Hainbach macht Musik mit Messinstrumenten und alten Tonbandgeräten. Seine Stücke führt er im Theater auf — oder auf Youtube.

Letztes Jahr recherchierte ich zur zur aktuellen Tape-Szene. Dabei stieß ich auf Hainbach: »Elek­tronik-Musiker aus Berlin, mag Tapes und Test-Equipment, hält darüber auch auf Youtube nicht die Klappe«, heißt es in seiner Twitter-Bio.

Hainbach, mit bürgerlichem Namen Stefan Paul Goetsch, ist haupt­beruflich Musiker, hat Familie und erzielte vor der Corona-­Pandemie einen wesentlichen Teil seines Einkommens mit der Komposition für und der Vertonung von Thea­terstücken. Eine Nische für Komponisten experimenteller und ernster Musik wie ihn, die ebenfalls stark eingeschränkt ist.

Als das Coronavirus Anfang 2020 zulangte, saß Goetsch in einem staubigen Raum eines alten Theaters und schnitt Tapeloops, während Ensemble und Produk­tions­per­so­nal im Set des abgesagten Stücks deprimiert tranken. Seit diesem Moment, der ihm, wie er in den Linernotes seines letzten Albums »Assertion« schreibt, aufgrund des »einfachen manuellen Prozesses ein Gefühl der Kontrolle zurückgab, so sinnlos das auch gewesen sein mochte«, ist Goetschs Alter Ego Hainbach auf einer sehr abwechselungsreichen Reise: Veröffentlichung von Sample-Sets (»Isolation Loops«), Balkonkonzert, Klangskulpturen, zahllose Musik- und Technik-Live­streams und Tutorials auf Youtube, zwei Alben ... all das, ohne seinen, wie er es nennt, natürlichen Lebens­raum zu verlassen: sein Studio.

Wire beschrieb seine Musik einmal schlicht mit »One hell of a trip«. Im aktuellen Kontext hat diese Klassifizierung durchaus diverse Lesarten.

Wie begann deine Karriere? Deine Website legt nahe, dass du aus dem Bereich der E-Musik kommst oder du dort zumindest begonnen hast …

Ich habe mit 16 Jahren John Peel im Radio entdeckt, und das hat mich aus der musikalischen Welt, die ich kannte, herauskatapultiert. Plötzlich gab es da Musik, die klang wie entfernt ein­schlagende Bomben, was mein Verständnis von Musik auf der Ebene der Textur, der Klangfarbe erwei­ter­te. Von da an sprach mich Musik an, die mit diesem Element arbeitet.

Wie vollzog sich der Wandel zur, wie du selber über dich schreibst, Youtube-Persönlichkeit?

Ich hatte schon über zehntausend Abonnenten auf YouTube nur mit Musik­videos, bevor ich angefangen habe, über Musiktechniken und Instrumente zu reden. Anlass war, dass ich die vielen Fragen zu meinen absonderlichen Instrumenten nicht immer wieder gleich in den Kommentaren beantworten wollte.

Warst du als Hainbach bisher eher auf kleineren Indie-(Tape)-Labels wie Seil oder Soil Records vertreten, scheint das aktuelle Vinyl-Release von »Assertion« in Kooperation mit Chase Bliss Audio eine Premiere darzustellen: Ein Effektpedal-Hersteller aus den USA bringt eines deiner Alben heraus. Wie kam es dazu?

Chase Bliss sind das wohl kleinste Label, auf dem ich bisher veröffentlicht habe. Auf Chase Bliss Records hat Joel (Anm. d. Autors: Joel Korte, Gründer von Chase Bliss Audio) nur Platten seiner Freunde und aus seinem Umfeld in Minnesota veröffentlicht, aus purer Freude und Liebe zu deren Musik. Kein Vertrieb, keine Promo, nix. »Assertion« hat ihn begeistert, als er die ersten Tracks gehört hat, auf denen auch sein letztes Instrument »Blooper« zu hören ist. Deswegen schlug er vor, Vinyl zu machen. Digital bleibt alles bei mir, er will überhaupt kein Geld mit dem Album machen, es nur auf Vinyl hören und unter die Leute bringen. Natürlich promotet dieses Album auch sein Instrument, aber Joel ist in allererster Linie der anständigste Mensch in diesem Business, den ich kenne. Keine Hintergedanken, straight up good guy. Ich habe ihm zum Beispiel davon abgeraten, den Versand weltweit kostenlos zu machen, was sein erster Plan war. Das hätte seine Kosten Covid-19-­bedingt vervierfacht — zu gut für diese Welt, der Mann.

Du teilst in deinen Youtube-Video viel Wissen über ungewöhnliche, zumeist analoge Produktionsmethoden. Was ist deine Motivation?

Mein Grundanliegen sind experimentelle Musiktechniken und die Verbindung von Geschich­te mit moderner Musikkomposition — es gibt so viel in der Vergangenheit zu entdecken. Die Videos sind die Verfilmung meines eigenen Lernprozesses, im besten Fall.

Für deinen Youtube-Kanal produzierst du auch Videos, in denen du Effektgeräte, Synthesizer oder andere, meist außergewöhnliche Musikinstrumente vorstellst oder besprichst. Wo ziehst du die Grenze zwischen gesponserten Produkt­videos und Geräten bzw. Instrumen­ten, die dich persönlich interessieren?

Wenn mir Hersteller ein Instrument schicken wollen, um es zu besprechen, mache ich das nur, wenn ich darin einen musikalischen Sinn für mich erkenne. Ich muss damit Musik machen, denn ich bin an allererster Stelle Künstler. Ich würde mich freuen, wenn Hersteller wissenschaftlicher Instrumente diese verleihen würden, um damit Musik zu machen. So wie ich zum Beispiel Nuklearforschungs­technik aus den 60er Jahren benutze, wäre das für mich eine schöne Herausforderung, die modernen Maschinen zu verwenden. Bisher beobachten Firmen wie Stanford Re­search Systems, Rohde und Schwartz oder Brüel & Kjaer das eher mit Verwunderung.

Plötzlich gab es da Musik, die klang wie entfernt einschlagende Bomben

Du investierst ganz offensichtlich viel Zeit und Mühe in deinen Youtube-Kanal. Fehlt diese Zeit dann für die Musikproduktion? Oder ist diese schlicht Teil dessen, was das Projekt Hainbach ausmacht? Hilft Youtube dir dabei, durch die Corona-­Krise wegbrechende Einnahmen zu kompensieren?

Patreon (eine Internet-Plattform, die Fans, ›Patrons‹, freiwillige Unterstützung ermöglicht, Anm. d. Autors) hilft zu hundert Prozent, Youtube ist als Einnah­mequelle vernachlässigbar. Aber Patrons gewinne ich dort durch ehrliche und spannende Inhalte, weswegen ich es mir leisten kann, das Arte des Musikyoutubes zu sein. Tiefe und Spaß versus Click­bait und Handyspielwerbung. Zum Vergleich: Bevor Hainbach mein Hauptfokus wurde, habe ich sechs Theaterproduktionen im Jahr vertont. Da bin ich im Schnitt sechs Monate von zu Hause und meiner Familie weg. Jetzt mache ich nur noch drei Produktionen im Jahr — wenn in Zukunft überhaupt, das wird eh alles wegrationalisiert nach der Krise. Die Zeit, die ich mit Video­edi­ting verbringe, gleicht sich also aus.

Einige deiner Projekte wie die »Land­fill Totems«-Klangskulpturen überschreiten die Grenzen von Genres und Kunstformen. Erzählst du uns etwas zu deiner Leidenschaft für »obsoletes Test-Equipment«, das ursprünglich nicht für die Musikproduktion vorgesehen war?

Wenn man alle Synthesizer durch hat, geht man an die Ursprünge, und die lagen im Testequipment. Im WDR Studio in Köln hat unter anderem Stockhausen mit Geräten experimentiert, die für die Untersuchung von Funk und Telefonleitung zuständig waren. Mithilfe von Tech­nikern und Assistenten wurden daraus musikalische Instrumente. Die Geräte wollen nicht zur Musik, man muss sie ihnen entlocken, sie zum Klang bringen. Das reizt mich. Es ist so einfach, heute Musik zu generieren — jede Software wartet mit einem Universum von Klängen und Bausteinen auf. Doch wer träumt nicht, davon sich seine eigenen Legos zu gießen? #WillItMusic ist der Mut zum Experiment, zum Scheitern, zum Weitermachen. Was auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, obwohl es zehntausend Mark gekostet hat, singt bei mir ein letztes trauriges Lied, das nicht mal die Erfinder gehört haben. Das zu hören ist etwas besonders.

Wie geht es für dich weiter? Planst du weitere Veröffentlichungen oder andere Projekte? Du gingst ja schon kurz darauf ein, dass deine eventbasierten Tätigkeiten wohl abnehmen werden.

Ich habe gerade erst mein neues Album »Light Splitting« auf Seil Records veröffentlicht, zu dem Julian Moser einen psyche­delischen Film gedreht hat, der auf Fact Pre­mie­re fand. Als nächstes kommt ein Album mit auf Test-Equipment basie­render Musik, das unendlich dunkel und klanglich brutal ist. Die Kehrseite von Assertion, das Ausleben des finsteren Exzesses. Ich plane zudem neue Instrumente, die die Rohheit von Test-Equipment auch für Leute erfahrbar machen, die nicht 25 ­Kilogramm Oszillatoren in ihrer Wohnung unterbringen können. Vielleicht arbeite ich auch dann am Hans-Otto-Theater in Potsdam am Soundtrack für »Maria Stuart«, wenn wir keine zweite Welle ­erleben ...

 

hainbachmusik.com

youtube.com/Hainbach

Tonträger: hainbach.bandcamp.com/album/assertion