»Ich hab auch nicht mehr als eine Stimme«

Eine Bilanz nach fünf Jahren Henriette Reker als Oberbürgermeisterin

Henriette Rekers Amtszeit wurde geprägt, bevor sie die Wahl gewonnen hatte. Einen Tag vor der OB-Wahl 2015 rammte ihr ein Rechtsextremist bei einem Wahlkampfauftritt in Braunsfeld ein Messer in den Hals. Am Wahltag lag sie noch im Koma. Als Oberbürgermeisterin setzt sie sich öffentlich gegen Rassismus ein. Im Februar 2020 tritt sie auf einer Demonstration im Gedenken an die Mordopfer von Hanau auf, im Rat erinnert sie die AfD an die demokratischen Gepflogenheiten des Hauses. Das hat sie zu einem Feindbild von Rechtsextremen und Rechtspopulisten gemacht, wozu auch ihr bekanntester öffent­licher Auftritt beigetragen hat. Kurz nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015/2016 zitierte sie auf einer Pressekonferenz aus den Ratschlägen der Stadt Köln gegen sexualisierte Gewalt: Im öffentlichen Raum sollten Frauen am besten »eine Armlänge Abstand« halten.

Beide Ereignisse machten Reker auch zu einem Symbol. In der demokratischen Mitte verbindet man die Jahre ihrer Amtszeit mit der Verrohung des Umgangs und neuer Gewalt gegen Politiker*innen. Auf der extremen Rechten ist Reker Teil der »multikulturalistischen Elite«, ein Feindbild, das mit dem Tod bedroht wird.  

Abseits ihrer Symbolkraft ist Rekers ­Amtszeit wenig ­dramatisch verlaufen

Abseits der Symbolkraft ist Rekers Amtszeit jedoch weniger dramatisch verlaufen. Viele migrantische Organisationen etwa schätzen ihren Umgangston, üben aber auch Kritik. Der Integrationsrat fordert mehr Diversität in der von Reker geleiteten Verwaltung, und auf der Keupstraße wünscht man sich von ihr mehr Engagement für ein Mahnmal, das an den NSU-Anschlag von 2004 erinnern soll.

Die Opposition von SPD und Linke wirft Reker mangelnde Führungsstärke vor. Einerseits ist diese Wahrnehmung vielleicht durch einen gewissen Sexismus geprägt, andererseits hält sich Reker öffentlich aus vielen Konflikten heraus, wenn sie durch diese beschädigt werden könnte. Die Aufarbeitung des Messe-Deals von 2003 zwischen Stadt und Oppenheim-Esch-Fonds brachte die kleine Ratsgruppe GUT auf den Weg, weil Reker ansonsten die Arbeit der Stadtverwaltung in Frage gestellt hätte. Und bei den Verzögerungen und Kostensteigerungen der Opernsanierung blieb sie im Hintergrund, während Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach verspottet wurde, weil sie jede Verantwortung von sich wies. Beim FC-Ausbau im Grüngürtel kam Rekers Taktik an ihre Grenzen. Als Umwelt­dezer­nentin hatte sie keine Einwände gegen den Ausbau gehabt, als OB stellte sie sich schließlich öffentlichkeitswirksam dagegen. Das war Symbolpolitik, denn dass die Mehrheit des Rats dem Ausbau zustimmen würde, stand seit Jahren fest, und als OB ist Reker an Rats­beschlüsse gebunden.

Sicherlich wird aber auch die Bedeutung von Reker für die politische Entwicklung der Stadt zu hoch angesetzt. Zwar kommen viele Vorlagen aus der Verwaltung, aber letztlich beschließt eine Mehrheit im Rat darüber. »Und da hab ich auch nur eine Stimme«, sagt Reker. Das mag kokett klingen, kann aber auch so gedeutet werden, dass man den Einfluss ihrer Unterstützer, namentlich des CDU-Chefs Bernd Petelkau und des nun scheidenden Grünen-Politikers Jörg Frank, der als Architekt des Reker-Bündnisses gilt, nicht unterschätzen sollte. Als Frank und Petelkau dem SPD-Politiker Martin Börschel bei den Stadtwerken aus parteitaktischen Erwägungen einen neuen Spitzenposten schaffen wollten, ohne zunächst Reker zu informieren, konnte sich die OB als Kämpferin gegen den Klüngel profilieren, indem sie den Deal verhinderte. Das kann auch als Selbstbehauptung gegen zwei ihrer mächtigsten Protegés gedeutet werden.

 Aber selbst die nominelle Macht der OB wie auch einflussreicher Lokalpolitiker kann im Alltagsgeschäft daran scheitern, dass Beschlüsse von der Verwaltung nicht umgesetzt werden. Das ist eine Kritik, die sowohl Opposition als auch das schwarz-grüne »Gestaltungsbündnis« — je nach Anlass — vorbringen. Die Verwaltung handle noch immer zu politisch, so der Vorwurf. Das erklärt, warum etwa der Ausbau des Niehler Gürtels als Fahrrad- und Fußweg nicht vorankommt oder politische Gremien monatelang auf Antworten aus den Dezernaten warten müssen. Dabei hatte Reker eigens Stellen geschaffen, um die groß angelegte Verwaltungsreform umzusetzen. Es ist das Projekt, das Reker mit Leidenschaft verfolgt, weil sie ihre gesamte berufliche Laufbahn in Verwaltungen tätig war. Ob die Verwaltungsreform erfolgreich sein wird? In der Stadtverwaltung gibt es sowohl Begeisterung als auch Ablehnung. Als jemand, der privat mit städtischen Ämtern in Kontakt kommt, wird man unterschiedliche Erfahrungen machen, wie effizient und serviceorientiert dort schon gearbeitet wird.  

Ein Wandel der Organisationskultur jedenfalls lässt sich nicht verordnen, und es gibt immer wieder auch Kompetenzgerangel von Führungskräften, auch auf oberster Ebene, den Dezernatsleitungen, mit denen Reker den Stadtvorstand bildet. Umweltdezernent Harald Rau, der große Sympathien für die Klimaproteste hegt, bekam von Reker einen Rüffel, als er sich angesichts der Luftverschmutzung für eine City-Maut einsetzte. Zwischenzeitlich bewarb Rau  sich in Offenburg selbst auf das Amt des Oberbürgermeisters, ohne Erfolg. Das versucht jetzt auch sein Kollege, Stadtdirektor Stephan Keller (CDU), in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Offenbar ist die von Reker gewünschte Identifikation mit der Kölner Verwaltung auch ganz oben nicht immer stark ausgeprägt.