Rosa Roderigo

Love is Love

Rosa Roderigo ist frischgebackene Konditor-Meisterin. Ihr Prüfungsthema »Pride« ist gleichzeitig ihre persönliche Mission

»Irgendwas mit Zucker, bitte«, antwortet die 23-Jährige auf die Frage, was sie trinken möchte. Gerade mal eine gute Stunde hat Rosa Roderigo ihren Konditor-Meisterbrief in der Tasche und schon wieder Lust auf Süßes. Vielleicht braucht sie  auch zusätzliche Energie, eine viertägige Prüfung ist anstrengend. Der Meisterkurs im Bildungs­zentrum Butzweilerhof in Ossendorf ist eine Vollzeitmaßnahme, und seit Oktober vergangenen Jahres befand sich Roderigo vorübergehend wieder dauerhaft in der Schule.

»Die letzten vier Tage waren sehr stressig. Um fünf bin ich immer aufgestanden, gegen neun am Abend war ich wieder zu Hause«, sagt sie. »Dazwischen hieß es: Reinklotzen, mit jeweils einer halben Stunde Pause.« Die Kuchen wollen abgebacken, die Figuren modelliert, die Torten eingesetzt, die Pralinen überzogen werden. Roderigo zählt die Prüfungselemente auf: eine Formtorte, ein Schaustück aus sechs Kilogramm Schokolade, ein 70 Zentimeter hoher traditioneller Baumkuchen, dazu Pralinen, eine Laden-Anschnitttorte, ein Verzierung mit Beschriftung aus mindestens 31 Buchstaben, verschiedene Marzipan-Figuren, süßes Teegebäck und pikante Fours, drei kleine Tagesgerichte für den Mittagstisch und ein Dessert. »Hab ich was vergessen?«, fragt sie ihre Freundin, die bei uns sitzt.

Das klingt klassisch, und auch die meisten Themen der Meisterprüflinge sind verhalten konservativ: Märchen, Hochzeit oder Urlaub. Nichts, womit man anecken würde. Rosa Roderigo war das nicht genug.

»Ich war aber auf der Suche nach einem Thema, das etwas von mir erzählt, weil Prüfung und Titel schon einen wichtigen Lebensabschnitt für mich darstellen«, sagt sie. »Ich wollte etwas weitergeben, etwas, das zum Nachdenken anregt und gleichzeitig ästhetisch ansprechend ist.«  Da sei der Schritt zum Thema Pride für sie nicht besonders weit entfernt gewesen.

Als Jugendliche habe sie sich nie viele Gedanken über die Akzeptanz ihrer sexuellen Identität gemacht, sagt Roderigo. Ihr Umfeld beschreibt sie als einen »safe place«. In Familie und Freundeskreis habe es nie Probleme gegeben, auch die Schule habe sich als tolerante Umgebung erwiesen. Das habe sich mit dem Einstieg ins Arbeitsleben geändert. »In der Ausbildung habe ich gemerkt, dass das alles sehr konservativ geprägt ist. Nicht nur in Richtung Sexualität oder Identität, sondern beispielsweise auch in den Rezepten, im ganzen Spektrum der Konditorei.«

Roderigo wird 1996 in Düsseldorf als Kind albanisch-vietnamesischer Eltern geboren und wächst in Neuss auf. Nach der Realschule absolviert sie dort in einem kleinen handwerklichen Betrieb eine Lehre zur Konditorin. »Das war eine sehr klassische Ausbildung, genauso, wie man sich das vorstellt. Das war hart, und ich war froh, als es vorbei war«, sagt sie.

Danach ist das Thema Torten und Kuchen erst einmal abgeschrieben, die Lehre sei eben nicht unbedingt ein Traum gewesen. Sie geht nach Bad Honnef, zur Schokoladenfabrik Coppeneur, landet in der Produktentwicklung und ist dort drei Jahre lang sehr zufrieden — bis sie Heimweh bekommt, weniger nach Neuss als nach dem sozialen Umfeld. Außerdem möchte sie sich beruflich weiterentwickeln. Sie meldet sie sich für den Meisterkurs in Köln an.

Nachdem sie ihr Thema gefunden hat, bekommt sie zunächst ein wenig Angst vor der eigenen Courage. Ein Dozent deutet im Vorfeld an, dass das Thema vielleicht zu politisch sei. Trotzdem reicht Rosa Roderigo ihr Konzept ein. »Pride ist nicht nur wichtiges Thema für andere Länder, Kulturen, die menschliche Gesellschaft, Firmen, Erziehung und Beziehungen, sondern auch für mich«, lautet der erste Satz. Es folgt, neben den technischen Details, dem Arbeitsablaufplan und mehreren Kalkulationen, die Beschreibung der geplanten Arbeitsproben: das Schokoladenschaustück mit zwei Gesichtern in der Mitte eines Herzens, der Kuchendeckel mit der Aufschrift »Baby be proud of who you are. Love is Love«, eine Formtorte in Gestalt eines Mundes, und schließlich der klassische, konventionelle Baumkuchen — mit einem bunten Regenbogen aus Zucker obenauf. »Meine Marzipan-Figuren habe ich unter dem Baumkuchen durchwandern lassen, so dass das ein bisschen aussieht wie ein CSD«, sagt Roderigo. »Der CSD lebt auch in diesem Jahr — in meinem Schaufenster.«

Zum Prüfungsgespräch bügelt sie sich einen Regenbogen auf die Arbeitsjacke. Und dann kommt die Kommission und diskutiert. Über technische Fragen, nicht über Inhalte. Rosa Roderigo ist überrascht. »Die Prüfer und Dozenten gelten ja doch als eher konservativ. Zum Kursstart wurden wir darauf hingewiesen, dass die Frauen bitte keine zu kurzen Röcke bei der Meisterbriefvergabe anziehen sollen«, erzählt sie. »Da dachte ich mir, dass ich mich auf was gefasst machen kann, wenn ich da mit meinem queeren Thema um die Ecke komme.«

»Meine Marzipan-Figuren habe ich unter dem Baum­kuchen durchwandern lassen, so dass es aussieht wie ein CSD«

Jetzt ist sie stolze Besitzerin eines Meisterbriefs und ebenso stolz, vermutlich die erste Prüfung mit einem LGBTIQ*-Thema abgelegt zu haben. Und Rosa Roderigo ist froh, dass es vorbei ist. Dass der Konkurrenzkampf unter den Konditor*innen hoch sei, erzählt sie, und dass sie selbst eher ein Teamplayer sei. 14 Frauen und zwei Männer habe es in ihrer Klasse gegeben, und eigentlich sei man gut miteinander ausgekommen. Eine Situation habe sie aber nachdenklich gestimmt. Im Unterricht fragte ein Dozent beiläufig, ob es denn schon Rassismus sei, wenn er allein aufgrund der Hautfarbe jemand auf Englisch anspreche. »Da ging es dann plötzlich um den Dickmann und das N-Wort und ich habe gesagt, dass wir im Jahr 2020 leben, und dass man das nicht mehr sagt.« Die anderen sagten nichts oder fanden das übertrieben, Roderigo musste ihre Position allein verteidigen. »Das war sehr unangenehm, vor so vielen Zukunftsausbildern zu sitzen, und keiner stellt sich hin und sagt: Du hast recht, das ist Rassismus«, so Roderigo. »Die Kursteilnehmer sollen nach dem Abschluss ausbilden, da sollte man doch erwarten, dass die Dozenten auf 2020 und nicht auf 1950 vorbereiten.«

Die Frage nach der Zukunft der Konditorei beantwortet Rosa Roderigo zögerlich. Vieles sei »einfach überholt«, findet sie. »Mit dem Schriftdeckel sollen wir in der Prüfung zeigen, dass wir Torten mit dem Spritzbeutel ausgarnieren können.« Das mache aber eigentlich kaum jemand mehr, außer ein paar klassischen Konditoreien vielleicht. »Aber meine Freunde sagen nie zu mir: Rosa, mach mir doch mal eine schöne Randgarnierung auf meine Torte.« Ihre eigene berufliche Zukunft sieht sie in innovativeren Bereichen des Lebensmittelhandwerks, in der veganen Ernährung zum Beispiel. »Ich kann mir vorstellen, dass ich mich in diese Richtung spezialisiere. Das ist eine coole Herausforderung, und es gibt noch nicht so viel auf dem Markt. Da ist noch viel Luft nach oben, gerade in Deutschland.«

Einen entsprechenden Social-Media-Kanal »Rosa kocht grün« gibt es bereits. Aber ihr eigentlicher Traum sei es, ein Café in einem alten Bahnhof oder einer Werkstatt zu eröffnen, sagt sie. »Ein Mix aus gutem regionalem Essen, Kunst und offener Bühne, wo viele unterschiedliche Leute aufeinandertreffen. Yoga, gemeinsames Musizieren«, sie lacht, »oder eben Workshops gegen Rassismus für Berufstätige«. Aber erst einmal will sich Rosa Roderigo eine Weile ausruhen: »Das sage ich heute, am ersten

Tag nach der Prüfung. Aber wahrscheinlich sieht das in zwei Wochen wieder anders aus. Ich kann halt nicht so gut rumsitzen.«

Foto: Dörthe Boxberg