Bestimmt und unberechenbar: Elisabeth Coudoux

Filigrane Wucht

Elisabeth Coudox steht mit ihrer Gruppe Emiszatett im Mittelpunkt der aktuellen ­Musik aus Köln

»Man muss erst mal spielen, was gerade da ist. Man kommt in das Instrument rein, man spielt die Klänge, man hört die Klänge, man stellt seine Finger danach ein«, so beschreibt die Cellistin Elisabeth Coudoux den Einstieg in ihre musikalische Arbeit. Einfach, lakonisch, unprätentiös — so muss sich eine Improvisation entwickeln. Ohne große Ansprüche, Erwartungen, Bilder, denn kompliziert wird es noch früh genug! In einer gelungenen kollektiven Improvisation verknäulen sich die Stimmen in ihren Interaktionen, bis ein einheitlicher, aber mannigfaltig in sich differenzierter Klangeindruck entsteht. Dann klingt die Musik gleichzeitig bestimmt, streng determiniert und unberechenbar, unvorhersehbar. Sie schwebt und ist doch felsenfest. Das ist — das Wort ist angebracht — die Magie der freien Improvisation oder des Free Jazz, wie sie sich seit den frühen Tagen von, zum Beispiel, Cecil Taylor, Albert Ayler oder AMM einstellt — also seit 50, 60 Jahren.

Aber sie ist hart erspielt, ist nichts Selbstverständliches, denn es gibt per definitionem keinen verbindlichen Kanon,  und muss sich von jeder neuen Generation von Musikerinnen und Musikern, immer wieder erarbeitet werden. Wenn sie dahin gekommen, wo Emiszatett steht, das Quintett von Elisabeth Coudox, dann sind sie schon sehr weit. Emiszatett ist ein Nukleus der aktuellen Kölner Improvisationsszene, die Gruppe arbeitet schon seit Jahren zusammen. Ihre Musik ist regelrecht greifbar, eine materielle Verdichtung, in ihr verschmelzen die Instrumen­talstimmen zu einem monolithischen Klangblock, der mahlt, wetzt, knirscht — und doch basiert sie auf der Stärke der Einzelnen. Para­doxerweise ist diese Musik sehr individualistisch.

»Physis«, die neue CD der Kölner Gruppe, die in diesen Tagen erschienen ist, unterstreicht das: Hier ist die Musik schiere Wucht, ohne Powerplay-Klischees zu evozieren. Die CD dauert nicht länger als 40 Minuten, es sind neun eher kürzere Stücke (sechs Kollektiv­improvisationen, drei basieren auf Vorgaben von Coudoux) — und dennoch ist die Hörerfahrung so intensiv, als man hätte man dieser Musik Stunden zugehört. Nichts in diesen Stücken basiert auf bekannten (Song-)Formen, aber ist sie deshalb schon »abstrakt«? »Abstrakt sein, heißt für mich, nicht linear zu denken, nicht immer alles schön zu strukturieren oder zu formulieren, sondern offen zu sein für verschiedene Räume, verschiedene Informa­tion, die ich dann völlig ›falsch‹ zu­sammenmische. Und dadurch ergeben sich interessantere Idee und Verknüpfungen.« Mitverantwortlich für diese Verknüpfungen sind neben Coudox Matthias Muche (Posaune), Robert Landfermann (Bass), Philip Zoubek (Klavier, Synthesizer) und Etienne Nillesen (Snare­drum) — Musiker aus dem Impakt- und Klaeng-Kollektiv und damit aus dem Herzen der Kölner Szene.

»Es ist der ganze Körper, es ist nicht nur: Ich spiele mit dem zweiten Finger ein E, danach kommt ein F. Das habe ich hinter mir, das war die Ausbildung«, erläutert Coudoux ihre Spielhaltung. »Meine Finger reagieren auf den Klang im Raum. Wenn ich mit anderen zusammenspiele, dann reagiere ich auf deren Klänge und Geräusche, dann passiert ganz intuitiv, dass ich mich deren Tonhöhe oder die jeweilige Ge­räusch­nuance einpendele, das ist wie ein Gespräch. Wenn ich dann die Augen schließe, bin ich so in der Musik drinnen, dass die Finger ihren Weg von alleine finden, wo ich gar nicht alles kontrollieren muss.« Ein paar biographische Eckdaten: Sie ist 1985 im Sächsischen geboren, hat in Dresden klassische Musik studiert, dann in Köln ab 2008 Jazz: »Die Improvi­sation habe ich über den Jazz entdeckt.« Man muss dazu sagen, dass das Cello im Jazz immer noch ein Außenseiter-Instrument ist, dessen klassische Handhabung nur schwer mit Jazz-Konventionen zusammengeht. Für Coudoux An­sporn, eigene Wege zu gehen und alle Konventionen und Erwartungen hinter sich zu lassen: »Ich habe damit große Probleme, immer Perfektion zu zeigen. Außerdem schaltet die ­Perfektion, die Intuition aus. Der Weg für mich war, freizukämpfen, intuitiv sein zu kön­nen.« Seit 2013 ist sie an CD-Veröffentlichungen beteiligt, 2015 folgte das Debüt ­von Emiszatett. Sie ist im Impakt-Kollektiv aktiv und lebt mit ihrer Familie in der Südstadt.

Die Corona-Krise war — und ist — ein tiefer Einschnitt, für welche Musiker ist sie das nicht? Aber schon im Juni konnte man Emiszatett im Green Room im Stadtgarten hören, wo sie aus dem Stand den offe­nen Raum — »umrahmt« von einem frühen Sommergewitter — mit ihrem Klangmagma auskleideten. Die Interaktionen der fünf sieht man dabei gar nicht, außer dass sie eng zusammenstehen, eben: verschmel­zen. Die Gruppe ging danach sogar auf eine kleine Tour. Irgendwie geht es weiter, und es spricht sogar viel dafür, dass in diesem Moment, wo die Hypemaschinen der Pop- und Club-Musik ins Stottern geraten sind, mehr Leute Muße haben, anderer Musik größeren Platz einzuräumen. Viel zu entdecken gibt es allemal: Coudoux erwähnt als besondere Qua­lität dieser Musik, »dass man beim Improvisieren seine aktuellen Gefühle mit einbringen kann, aber nicht diese großen: Trauer, Leid, opernmäßigen, krassen Gefühle, sondern eher weichere, feinere, kleinere Sachen. Die können auch sofort wieder vorbei sein.« Und was bleibt dann zurück? Na, zum Beispiel »Physis«.

elisabethcoudoux.com
Tonträger: Elisabeth Coudox/Emi­s­za­tett, »Physis« (impaktrecords.de)
Live: Do. 27.8. mit Signe Emmeluth, Hanne de Backer und Farida Amadou im Green Room (Stadtgarten), 20 Uhr.