Großer Zopf, großer Sound: Nubaya Garcia

Deeds not Words

Die Saxofonistin Nubaya Garcia schneidet dem Jazz die alten Zöpfe ab

Eines haben die Jazz-Szenen in den USA, Großbritannien und Deutschland gemein: Ihre unverhältnis­mä­ßig geringe Zahl an Instrumentalistinnen. Hierzulande sind nur etwa zwölf Prozent der Piano-, Drums- oder Saxofonspielenden weiblich, so die Union Deutscher Jazzmusiker. Die Forderung nach »Equality«, nach gezielter Ausbildungs- und Förderprogramme, ist in den letzten Jahren lauter geworden. Gefühlt hat sich nur wenig getan.

Im UK sieht das nicht anders aus, auch wenn man da schon ein, zwei Schritte weiter ist. Gerade die junge, wilde und unglaublich erfolg­reiche Londoner Szene zeichnet sich durch einen höheren Frauenanteil aus. Grandiose Musikerinnen wie die Sängerin Zara Mac­Farlane begeistern weltweit ein stetig größer werdendes Publikum, Bands wie das Non-Male-Kollektiv Nérija prägen den Sound der Stadt. Mittendrin die 29 Jahre alte Nubya Garcia, die auch Teil von Nérija ist. Daneben spielt sie Saxofon im Oktett Maisha und ist gern gese­hener Studio-Gast; zuletzt etwa ­ auf Moses Sumneys aktuellem Album »Græ«.

Die Tochter einer guyanischen Mutter und eines trinidadischen Vaters kommt aus Camden, lernte schon früh Piano, probierte sich an der Violine, nur um mit elf ihr Herzensinstrument zu finden: das Tenorsaxofon. Jenes geschichtsträchtige Instrument des Jazz, das durch Lester Young und Coleman Hawkins so prägend wurde, das Jazz auch heute noch »tenorisiert« ist — also sich vornehmlich im Tonspektrum des Instruments abspielt. Viele weibliche Vorbilder gibt es jedoch nicht: »Weiblich zu sein war und ist in unserer Szene schon ein Nachteil. Dennoch ist es gut, dass sich derzeit einiges tut.« Darauf angesprochen, wie es denn in ihrem Umfeld genau aussehe, zeichnet sie ein klares Bild: »Ich glaube Gender ist immer weniger ein Thema im Jazz — auch wenn ich von außen viel darauf angesprochen werde. Aber vor allen Dingen in London diskutieren wir darüber nicht so viel — viel eher handeln wir.«

Wie schon gesagt: Die Londoner Szene ist der Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens. Nach der Schule studier­te sie am Trinity College mit dem heute hochgelobten Drummer Moses Boyd zusammen. Die beiden und eine ganzen Reihe weiterer Musiker*innen erobern langsam, aber sicher den Markt mit einem synthetischen Jazz-Entwurf, der wagemutig Be- und Hard-Bop, sowie Spiritual-Jazz mit zeitgenössischer englischer Bass-Musik vermengt, um sie im nächsten Moment mit afro-karibischen Musikarten von Cumbia bis Reggae kurzuschließen: »London kommt eine spezielle Rolle zu, dadurch, dass die Stadt sehr divers ist. Wenn ich toure und andere Orte im UK und in der Welt sehe, dann fällt mir erst auf, welches Glück wir in London haben.«

Garcia reüssierte in der Zwischenzeit mit einer Session-Band, die sie schlicht »Nubya’s 5ive« (sprich: Five) nannte; mit an Bord waren Boyd, genauso wie der Pianist Joe Armon-Jones, die Trom­peterin Sheila Maurice-Grey und der Tubist Theon Cross. Den Namenskatalog darf man sich gerne merken, denn in London spielt gerne jede mit jedem. Variierende Band-Konstellationen, die sich je nach »Bandleadership« mal mehr in die eine musikalische Richtung lehnen, mal in die andere. Der eine mag es nun mal beatlastiger, die andere klassischer.

Garcias Vorliebe liegt neben aktuellen Musikrichtungen aus dem UK wie Dub(-step) oder Grime eben in der karibischen Heimat ihrer Eltern. Das wird im Laufe ihrer nominell ersten Solo-Platte »Source« immer klarer. Zusammen mit Armon-Jones — selbst ein hochgehandelter Komponist —, Daniel Casimir am Bass und dem brutal­talentierten Sam Jones an den Drums legt sie ein schillerndes Debüt vor. Auf »Source« untersucht Garcia ihre eigenen »Wurzeln«, die Herkunft ihrer Eltern und damit auch einen Teil ihrer Identität — dass dieses Album parallel zum Wiederaufflammen von Black Lives Matter erscheint, ist dabei Kontingenz. Oder auch nicht: »Die Platte habe ich letztes Jahr produziert … aber klar, als black person, vor allen Dingen als black woman, ist mein Songwriting sehr stark durch meine Erfahrungen geprägt. Das war auch Ziel dieser Platte: Meine Erfahrungen, Gedanken und Erinnerungen rüberzubringen.«

Am offensichtlichsten wird dieser Ansatz im Stück »La Cumbia Está Llamando« — die Cumbia ruft mich. Das British Council lud Garcia  und andere Künstler*innen auf eine Reise durch Kolumbien ein. Dort verliebte sie sich in den treibenden, mitteltemperierten Tanz-Sound, der von Lima bis Georgetown in Guyana der prägendste Sound des nördlichen Südamerikas ist. Nach den Eindrücken aus Calí und Bogota reiste sie ein paar Monate später wieder nach Kolumbien und nahm diesen Song in den berühmten Mambo Negros Studios auf.

Auch auf »Stand With Each Other« lotet sie Herkunft und Heimat aus, wenn sie sich — unter anderem mit ihrer Freundin Sheila Maurice-Grey — den Nyabinghi-Rhythmus vornimmt. Auf der Lifeline, die auf der schmalen Fundeh-Trommel gespielt wird, pflanzt Garcia ihr glimmendes Saxofon auf. Der weibliche Hintergrundchor erinnert zugleich an Tracks von Solange (Knowles), was kein Zufall ist. Der Produzent KWES arbeitete nicht nur an den letzten beiden Alben der US-Amerikanerin, sondern auch hier mit.

Wer nun einen stilistischen Flickenteppich befürchtet, der sei an dieser Stelle beruhigt: Eine der großen Leistungen Nubya Garcias ist bei aller Varietät und Ausdrucksreichtum immer wieder zurück zu kehren. So widersprechen sich die kataklystischen Stakkato-Ansätze (zum Beispiel beim Opener »Pace«) und der romantische Sound von »Stand With Each Other« keineswegs. Sie fußen schlicht auf demselben Fundament: Den Erfahrungen einer black woman in London.

 

Tonträger: »Source« ist gerade auf ­Concord Records (Universal) erschienen