Größere Freude an der Unterhaltung: Detlef Weinrich

Ein fast unheimlicher Sog

Soundalchemist Detlef Weinrich meldet sich mit Tolouse Low Trax zurück — und verkündet seinen Umzug nach Paris

»Umziehen ist für mich der größte Alptraum überhaupt. Es greift in höchstem Maße die Seele an, fast so, als würde man einen geliebten Menschen verlieren.« Auch ohne diese zwei drastischen Sätze hätte man Detlef Weinrich großen Respekt dafür ausgesprochen, unmittelbar nach Ende des Corona-Lockdowns von Düsseldorf nach Paris umgezogen zu sein. Zumal er zuvor 27 Jahren in Düsseldorf gelebt und sich in dieser Zeit mit seiner Band Kreid­ler, den Projekten Binford, Toresch und Toulouse Low Trax sowie als Mitbetreiber der Clubs Ego und Salon des Amateurs nachhaltig in die Kulturgeschichte der Stadt eingeschrieben hat. Man versteht sofort, wenn er trotz vollzo­gener Entscheidung aktuell noch immer davon spricht, ein »ein zerrissenes Gefühl« zu haben.

Paris mache ihn »recht nervös, da alle sehr getrieben sind«, gesteht er. Was per se aber nichts schlechtes sein muss, da sich die Aufgeladenheit, die das für alle mit sich bringt, im Sozialen ausbreitet. Weinrich spricht von der »größeren Freude an der Unterhaltung«, die er in seiner neuen Heimat spüre, was ihm nicht zum Nachteil gerate, da das Niveau höher als in Deutschland ist, einfach weil die »Franzosen extrem gut gebildet sind«.

Nach Paris gezogen ist Detlef Weinrich letztlich wegen Corona, da es sich in Zeiten unklarer Einkommenssituationen einfach anbot, endlich mit seiner Partnerin Charlotte Ficat, die von Paris aus das Label Tigersushi betreibt, zusammen zu ziehen, statt weiterhin zwei Wohnsitze und immense Reisekosten zu unterhalten. »Prekäre Lebens­umstände und eine Existenz als Lebenskünstler waren schon immer ein Pariser Thema — sind generell ein Metropolen-Thema. Man könnte fast sagen, dass man in gewisser Weise schon geübt ist, als Künstler sich mit ­ähnlichen Situationen auseinanderzusetzen. Ich glaube in anderen Berufszweigen ist der Schock viel größer, weil die das einfach nie leben mussten. Ohne diese Erfahrungen muss die Überraschung zu verzichten und verunsichert zu sein, wohl ziemlich hart sein.«

Es ist an der Zeit über das neue, vierte Album von Toluse Low Trax zu sprechen. Es trägt den Titel »Jum­ping Dead Leafs« und klingt derart nach multiplen Kulturen, dass man sofort das Bild eines Weltreisender im Auftrag der Klangsuche vor sich hat. Zwar kokettiert Detlef Weinrich gleich mit dem ersten Stück »Incom­prehensible Image« mit der Nichtnachvollziehbarkeit der so aufgegriffen (Sound-)Bilder auf dem Album. Das stimmt aber nur bedingt, zumindest lässt sich der Elektronik-­Dub des Tracks instinktiv im Spannungsfeld aus fernöstlichen Sounds und — dank des Vocalsample aus einem Text von Margaret Wertheim — der »Göttlichen Komödie« verorten. ­Er spricht von einem »Spiel mit Assoziationen, einer Sprache, derer ich mir sicher bin«. Diese habe sich über die Jahre in ihm angesammelt, um nun im rich­tigen Moment ab­gerufen zu werden.

Einer Sprache, die seine Höre­rIn­­nen lesen können, wie er betont, was er als  großes Kompliment an ihn den Künstler versteht: »Man ist ja — im Sinne von Alan Moore — ein Magier und Alchimist. Es ist eine Art Chaos-Magie, der ich freien Lauf lasse.«

Chaos Magie bringt es wunderbar poetisch auf den Punkt, wie die Eindrücke und Beobachtungen der vielen Reisen von Weinrich im Auftrag der Clubkultur sich auf »Jumping Dead Leafs«, zu einem speziellen künstlerischen Mosaik verbinden. Er selbst spricht davon, dass dieser Prozess etwas Ventilhaftes für ihn habe und kaum zu bewältigen sei. Eine angenehm bescheidene Selbsteinordnung, allerdings definitiv eine, die ihn unter Wert verkauft. Denn »Jumping Dead Leafs« ist weit mehr als ein Momentum in einem Fluss der Aufbereitung, es ist ein herausstechendes Werk, das eine hypnotische Anziehungskraft auswirkt, die man so selten erfährt. Es geht ein geradezu unheimlicher Sog von den Tracks aus. Das liegt zum einen am Tempo, aber auch an der speziellen harmonischen Stimmung des Albums. Beides in Kombination lässt eine Multitude divergenter Sounds zu einer verwirrend homogene Einheit werden.

Hingezogen hat es ihn auf ­dieser Mission zu Instrumental-HipHop und dem UK-Sound aus jenen frühen Tagen, als noch eine »naive raue Clubmusik« präsent war: Dies ist keine neue Haltung, nur dass diesmal alle Bestandteile perfekt zusammen kommen. Er hat aus dem Lockdown das Beste gemacht und konnte sich den Albumaufnahmen mit Lucas Croon (Stabil Elite, BAR), den ­Weinrich als »echten Glücksfall« an seiner Seite empfunden hat, ohne Ablenkungen widmen. Das habe eine andere Form der Konzentration ermöglicht, für den die Arbeit eine Chance darstellte, der inneren Unruhe zu entkommen, die ihn durch Corona dann früheren Aus­sagen zufolge doch erfasst hat. Zum einen, da er die »aufgezwungene Wartehaltung« als anstrengend empfunden habe, zum anderen aber doch auch wegen der prekären finanziellen Lage, die dann zum Umzug führte. »Spaß macht das keinen«, kommentiert er trocken.

Angesichts all dieser Einflüsse sei er selbst überrascht, wie entspannt »Jumping Dead Leafs« klingt. Seine recht naheliegende Erklärung: »Vielleicht hatte ich ein starkes Bedürfnis dem Beunruhigenden entgegenzuwirken.« Doch damit ist ein komplexes und vielschichtiges Album wie »Jumping Dead Leafs« natürlich noch nicht dechiffriert. Weinrich fährt fort in der Selbst­analyse — und bringt sie auf den Punkt: »Man hatte ja schon lange das Gefühl gegen Windmühlen zu kämpfen, auch vor Corona. Während des Lockdowns habe ich dann aber stark ein Gefühl der ­Endzeit gespürt, eine fehlende Idee von Zukunft. Das hat mich an meine Anfangszeit mit Tolouse Low Trax erinnert hat, wo meine Platten wenig Aufmerksamkeit bekamen. Ein Gefühl von extremer Freiheit, dieses Gefühl hatte ich damals in ähnlicher Weise. Keine Adresse, kein Druck.«

Tonträger: Tolouse Low Trax, »Jumping Dead Leaves« erscheint am 11.9. auf Bureau B (Indigo)