Neuköllner Kreise: Luis Ake

Triple A — Alles Außer Alben #1

Schade um die Stadt, sagt er.
Sie machen alles kaputt.
Wie Sodom und Gomorrha.(Serhij Zhadan, »Der Irre«)

Der ukrainischen Autor Serhij ­Zhadan, der neben seiner formi­dablen Punk-Kombo Sobaky w ­kosmossi vornehmlich als blitzgescheiter Poet und Lyriker von sich Reden macht, hat in seinem Band »Warum ich nicht mehr im Netz bin« (Suhrkamp) Eindrücke aus der Ostukraine gesammelt. Er selbst stammt aus der immer noch schwer umkämpften Stadt Luhansk, lebt mittlerweile in der zweitgrößten Stadt des Landes Charkiw. Von den Besuchen in seiner Geburtsstadt berichtet er derweil Schlimmes: Von verstümmelten Leichen, von Armut, von Angst.

Im gleichen Umfeld, wenngleich ein paar Jahre jünger, wuchs auch David Mayboroda auf. Mayboroda debütiert dieser Tage mit seiner Platte »Senses« auf dem Kiever Techno-Label »Thousand Kisses Place«. Das Label selbst ist Ausdruck einer jungen, aktiven, politischen Dance-Szene in der Hauptstadt der Ukraine, die abenteuerlustig Festivals in stillgelegten Fabrikhallen veranstaltet und Nächte durchravet. Zumindest bis das Corona-Virus zuschlug.

Interessanterweise setzt sich Vroda, so Mayborodas Künstlername, auf seinem Debüt mit den Folgen des Virus auseinander — nur nicht so wie man vermuten sollte: »Novi Sanzhary« heißt die A2 und ist ein Kommentar auf jenen Aufstand, den die Bevölkerung der gleichnamigen zentral-ukrainischen Gemeinde angezettelt hat, als sie zur designierten CoVid-­Quarantäne-Station des Landes auserko­ren wurde. Es wurde gestreikt, Straßen wurden gesperrt und Steine geworfen — für Vroda ein Symptome einer Gesell­schaft, die zerrissen ist zwischen Tradition und modernem Expansionsdrang. Er selbst beschäftigt sich sonst eher mit Architektur, was man seinem feingeistigen UK-Garage/2-Step auch anhört. Feine Skelette, die Häusern im Bau gleichen, transformiert er zu klassischen Breakbeats. Zu drei eigenen Stücken gesellen sich standesgemäß zwei Remixe des Tracks »Novi Sanzhary«, welche das Ausgangsmaterial Richtung IDM und Electronica schieben. Geheimtipp jedenfalls.

Auch interessant: Während die eine Hälfte der Künstler*innen die neuen, alten Kurzformate nutzt, um kurze Geschichten zu erzählen, kleine Einblicke in das eigene Schaffen zu bieten, reanimieren gerade größere Indie-Labels längst vergessene schlechte Angewohnheiten: Die »Remix-EP«, ein Artefakt der völligen Ausbeutung noch der kleinsten künstlerischen Geste. Sie zu verwechseln mit den Remix-12-Inch der elektronischen Tanzmusik liegt nahe, tatsächlich ist sie nach deren Vorbild entworfen. Beide Formate unterscheiden sich bis heute in einem wichtigen Punkt: Versucht man im Feld der elektronischen Musik dem Ausgangsma­terial neue Wendungen und Töne, andere Sinnzusammenhänge und Grooves zu entlocken, ist die »Re­mix-­EP« ausschließlich auf Erden ge­schickt worden, um Gitarren­musik und Artverwandtes dem Dance-Publikum als heißen Scheiß zu verkaufen.

Der Ablauf ist immer gleich: Das Material einer Band/Künstler*in von mittlerer bis großer Bekanntheit soll tanzbar gemacht werden. Was selbstverständlich schon vorher ein bekanntes, wenn gleich selteneres Cross-Over-Phänomen war (wir denken gerne zurück an Tocotronics »K.O.O.K. Imitationen«), nahm Überhand Mitte der 2000 er. Gerade in dem Moment, wo sich Indie- und »Elektro« in Form von Electroclash und Nu Rave annäherten, durften und mussten durchaus geschickte Produzenten wie Hot Chip, Erol Alkan oder die Künstler*innen der Pariser Labels Kitsuné und Ed Banger alles remixen, was da so auf den Markt gekotzt wurde. Wer hoffte, diese Zeiten wären vorbei, wird auch die Finger von der »Dissolution Remix«-EP von Jaakko Eino Kalevi lassen. Der Finne, der in den letzten Jahren beständig richtig gute Pop-Musik veröffentlichte, scheitert hier mit Karacho. » Es ist immer wieder interessant zu hören, wie andere Menschen die eigene Musik interpretieren. Ich lasse mich da gerne überraschen — und diese Remixe sind on point«, lässt er sich zitieren. Wenn das stimmt, dann »Gute Nacht«! Die Remixe von Domenique Dumont, dem eigentlich ziemlich gewieften Samo DJ und dreier anderer Kombos sind Musik am Rande zur Peinlichkeit.

Das man die Verknüpfung von Pop und Dance besser hinbekommen kann, zeigt hingegen der junge Schwabe Luis Ake. Der hält sich eigentlich in denselben Neuköllner Kreisen auf wie Kalevi. Doch seine »Zeit EP« schwebt über allen Business-Moves und zeugt von einem Freigeist, vor dessen Kreativität es Achtung und Vorsicht zugleich heißen muss. Ake verabschiedet sich ruppig vom New Wave-Sound seines Debüts und landet, naja, wo eigentlich? Man nennt es wohl doch Elektro-Schlager. » Lillith«, die erste Single-Auskopplung ist derweil eine der besten deutschsprachigen House­nummern der letzten zehn Jahre. »Gerade die Zeit-EP ist ein gutes Beispiel, wie Luis und ich uns an neue Gegebenheiten anpassen: Die Veröffentlichung ist eher als eine kleine Compilation von Singles zu verstehen, die in eine neue Schaffensphase überleitet«, erzählt uns Mansion and Millions-Labelmanager Anton Teichmann. Außerdem betont er ein leidliches Thema der Szene: EPs und andere Kurzformate werden immer noch größtenteils von Journalisten übersehen und übergangen. Es gebe eine »Verhaftung im Album-Format«, die nicht mehr zeitgemäß sei.

An dieser Stelle können wir uns wohl nur mit einem Augenzwinkern bis zum nächsten Monat verabschieden.

Vroda, »Senses« (Thousand Kisses Place)
Jaakko Eino Kalevi, »Dissolution Remix EP« (Domino)
Luis Ake, »Zeit EP« (Mansions and Millions)