Wo wir einmal standen: Thurston Moore

Avant, alte Garde!

Thurston Moore ist zurück — und stellt sich dem Kampf gegen die Corona-Krise

Ja, das liest sich natürlich albern: Thurston Moore stellt sich dem Kampf gegen die Corona-Krise. Was macht er denn? Gegen Bill Gates demonstrieren? Oder umgekehrt gegen den Abwiegler Trump? Oder, er ist ja immer noch und in erster Linie Musiker, ein wohlfeiles »Konzeptalbum« vorlegen?

Thurston Moore hat in den vergangenen zehn Jahren vor allem experimentiert, mal ratlos, mal sich frei schwimmend, mal pathetisch verstiegen, mal mit präzisen Statements zur gegenwärtigen Musik. Er wählte die Option Psychedelic-Folk (zu unentscheiden) oder spielte — gelungen — mit Metal-Klischees. Vor allem hat er in zahlreichen Settings frei improvisiert. »By The Fire«, sein siebtes Soloalbum seit der Auflösung von Sonic Youth, ist wohl sein »traditionellstes«, es klingt wie ein Update klassischer Sonic-Youth-­Standards. Moore kommt hier als Bandleader und Pop-Stylist, nicht so sehr als Gitarrist, zu sich selbst. Der Druck, der über den Wall-of-Sounds der Gitarren generiert wird; die Songmontagen (die Stücke entwickeln sich nicht »organisch«, sondern sind aus Blöcken zusammengesetzt); der laszive Gesang; die simplen Melodien, die vor dem Hintergrund kako­fonen Gitarrengeschrammels so unschuldig tun; die Reverenzen gegenüber Garagenrock (Stooges!) und der New Yorker Schule der frü­hen 80er (Glenn Branca):  Auf »By The Fire« wird das alles kanonisch zelebriert — und, Ehrensache, sehr knackig und wuchtig in Szene gesetzt.

Was hat das mit unserer Gegenwart zu tun? Moore und seine Gruppe haben an dem Album noch im März in London gearbeitet, es war nie als »Corona-Musik« geplant. Aber in den folgenden Wochen der Isolation, als Moore, zunächst auf sich alleine gestellt, das Album fertigstellen wollte, obwohl bis weit ins nächste Jahr keine Tour geplant werden kann, entschied er sich, es als Statement zu präsentieren. Er versteht die Songs als Friedenslieder, als Ausdruck von Liebe und Gemeinschaftsgeist, sieht sich als Fackelträger der alten Free-Jazz-Botschaft Albert Aylers: »Music is the healing force of the universe«.

Dass er für diese Botschaft die für ihn konventionellste Zeremonie gewählt hat, ist die Pointe: Denn den Fans und Musikhörern ist der Sonic-­Youth-Sound, diese Synthese aus Souveränität und Rebellion, immer noch in lebendiger Erinnerung. Jetzt, wo alle bang auf die »neue Normalität« blicken, die weder »normal« noch — im Hinblick auf die Wiederkehr der ökonomischen Krise — »neu« ist, reagiert er mit Musik ohne Larmoyanz und Melancholie. Sie führt vor, wo wir einmal standen, ist Selbstbehauptung. Daraus ließe sich tatsächlich Kraft schöpfen.

Tonträger: Thurston Moore, »By The Fire« (Daydream Library Series/Cargo) erscheint am 25.9. Die Single »Hashish« ist schon zu hören.