Alte Normalität? Neue Normalität? Gar keine Normalität? Die Zukunft der Partyszene ist ungewiss

Illegal — total normal?

Was wurde eigentlich aus den Partys? In den letzten Wochen haben Feierhungrige Tatsachen geschaffen und zahlreiche illegale Partys und Raves veranstaltet

Eine laue Nacht im Hochsommer. Grillschwaden hängen in der Luft. Nach dem verdienten Feierabend-Bier wird mit dem Rad ins Grüne gestrampelt. Dort sind schon andere, zwischen Notstromaggregat und Bollerwagen. Es ist eine illegale Party, wie sie diesen Sommer zuhauf an Stadträndern und in öffentlichen Grünanlagen zu finden sind. Morgen früh werden die Spaziergänger einige Spuren von Tanz und Trunk vorfinden. Was sonst den Sommer über auf Festivals und offiziellen Open-Air-Partys stattfindet, gestaltet sich in Zeiten von Corona als höchst verboten.

Trotz möglicher Ansteckungen und offiziellem Tanzverbot in Deutschland machen Veranstalter vielerorts wieder weiter. Weil die Alternativen wie Clubs oder genehmigte Partys vielfach ausbleiben, muss dies vorerst im Geheimen geschehen. Die Personen hinter solchen Feten bleiben deshalb lieber im Dunkeln, teilen sich wenn, nur durch anonyme, private Chatgruppen mit, in die wiederum nicht jeder eingeladen wird.

Schlagzeilen machte vor Kurzem das Beispiel des Berliner Volksparks Hasenheide im Stadtteil Neukölln. Bis zu 3000 Menschen fanden sich dort eines Nachts zusammen. Gleich mehrere improvisierte Soundsystems, operiert von unterschiedlichen Gruppierungen, hielten Besucher und Polizei bis zum Morgengrauen auf Trab.

Hygiene-Vorschriften, Ab­­standsregeln oder Mundschutz suchte man hier vergebens. Ebenso bei der Demonstration mit 100 angemeldeten Teilnehmern, die schließlich zum Schlauchboot-Rave mit mehreren tausend Teilnehmern auf dem Landwehrkanal mutierte, just vor einem Krankenhaus! Das warf schon im Juni ein denkbar ungünstiges Licht auf diejenigen Anhänger von Clubs und Festivals, die sich in ihrer Ablehnung der Corona-Maßnahmen ziemlich unpassend zur Schau stellten.

Nachvollziehbar deshalb, wenn sich die Clubkommission bei diesen Beispielen schwer damit tut, eine legale Grünflächen-Nutzung der Partyszene einzufordern. Zwar setzt diese immer auch abgesegnete Hygiene-Konzepte voraus, denn unter freiem Himmel sind Tröpfcheninfektionen zumindest unwahrscheinlicher, als in geschlossenen Räumen — erhöhte Risiken beim Feiern, etwa durch Körperkontakt oder geteilte Getränkeflaschen, bleiben aber bestehen.

Dennoch spricht sich sogar Berlins Grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop aktuell für ein gesetzlich geregeltes, Corona-konformes Feiern aus. Schon alleine deshalb, um den illegalen Raves damit ihren Nährboden zu entziehen.

Dass es nämlich auch innerhalb vorgegebener Schutz-Richtlinien funktioniert, zeigt der unabhängige Veranstaltungsort »Irgendwo« in Bremen. In der Freiluft-Location beim Bremer Flughafengelände hat man sich regelmäßig der Überprüfung durch das Gesundheitsamt unterzogen und sich schließlich mit den Behörden recht gut arrangiert. Obwohl man jetzt offiziell sogar bis zu 400 Gästen einlassen dürfte, hat sich die Crew für vorerst maximal 200 entschieden. »Bei mehr Besuchern würde es für uns als Team schwierig werden, die Einhaltung der Regeln auch wirklich zu gewährleisten«, so Mitveranstalter Lukas Henneböhl.

An der Kasse legt man Wert darauf, den Gästen die speziellen Vorschriften persönlich zu erklären, anstatt sich auf Schilder zu verlassen. Drinnen geht es in einer Art Einbahnstraßen-System durch die Location, damit sich möglichst keine Gruppen bilden.

Seit Juni durfte man so bereits erfolgreich eine »Sitztanz«-Veranstaltungsreihe durchführen, jetzt darf bei einigen Events schon wieder im Stehen getanzt werden. Zwar immer noch unter der Beachtung spezieller Abstandsregeln, aber Henneböhl und seine Kollegen vom Irgendwo sind selbst froh, damit den Betrieb für diesen Sommer überhaupt noch aufnehmen zu dürfen.

Die meisten der anderen Bremer Party-Kollektive machen derweil nämlich Pause; zu illegalen Open Airs bekennt sich keine der größeren Gruppen. Man scheint sich damit abgefunden zu haben, dass es diesen Sommer eben still bleibt. Die versprengte Psytrance-Party von fünfzig Leuten gebe es zwar, das wäre es aber auch.

Anders die Lage in Leipzig. Hier wimmelt es im Sommer traditionell von kleinen Open Airs, die von Mai bis September das Geschehen bestimmen. Auch wenn hier im Frühjahr noch viel Unsicherheit darüber herrschte, ob und wie man dieses Jahr überhaupt noch feiern wollte — nun ist die Saison dann doch noch losgegangen: ein Besucher berichtet, dass Veranstaltungen jetzt zwar kleiner und weiter an den Stadtrand gezogen wären, aber es gebe sie noch regelmäßig. Ihr Argument für sorgenloses Feiern unter freiem Himmel: in Leipzig sind Gäste und Organisatoren keiner tatsächlichen Gefahr ausgesetzt, denn Corona-Infektionen seien hier seit Monaten schon kein Thema mehr.

In Hamburg hingegen kann man de facto keine inoffiziellen Partys veranstalten, da wirklich jede Freifläche dem Hamburger Hafenmanagement gehört, und die sogar mit eigenen Sicherheitsdiensten patrouillieren, um eben solche unangemeldeten Veranstaltungen zu unterbinden.

Das Gespräch mit Kölner Veranstalter und DJ Philip zeichnet ein differenziertes Bild der hiesigen Verhältnisse. Philip ist seit sechs  Jahren als Veranstalter von Open Airs und Raves in Off-Locations aktiv und geht seit einigen Wochen wieder selbst vermehrt auf illegale Partys. »Das Thema Corona ist dort natürlich immer noch präsent«, sagt er. »Es wird sogar eine offizielle Gästeliste geführt, damit man im Zweifelsfall alle Kontakte zurückverfolgen könnte — da tragen sich die Leute zuverlässig und verantwortungsbewusst selbst ein.« Weitere Schutzmaßnahmen, wie Abstandsmarkierungen oder Maskenpflicht gibt es aber keine, wären ohne richtiges Personal auch schlecht durchsetzbar.

Das anhaltende Generalverbot von Tanzveranstaltungen und die lange Schließung von Bars und Diskotheken sieht Philip skeptisch, weiß aber: »Da gibt es auch innerhalb der Szene keinen Konsens darüber, sonder eher zwei extrem gespaltene Lager. Die aus dem legalen Umfeld mit eigenen Clubs pochen natürlich hart auf eine strikte Einhaltung aller Regeln, damit wir endlich wieder legal feiern dürfen. Aber wann soll das denn eigentlich sein?« Eine vernünftige Diskussion sei selbst unter Freunden schwer zu führen, denn die zwiespältigen Positionen führten meist direkt zu Streitereien.

Dementsprechend heikel verliefe deshalb die Kommunikation über illegale Partys und deren Stattfinden. Selbst eigene Freunde hatten ihn in der Vergangenheit lieber nicht informiert, unsicher wie er sich der Frage verortete. Die viel zitierte Corona-Müdigkeit, die Menschen entgegen aller Warnungen wieder in Scharen zusammenbringt, bestätigt auch Philip.

Dass dem Tourismus zuliebe wieder dicht an dicht durch Europa geflogen wird, während die Clubkultur die Füße still halten soll, stößt bei vielen auf Unverständnis

Viele hätten bis Juni noch geduldig abgewartet, wie die Lage sich entwickelte, stießen jetzt aber die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Wo es anfangs eine Handvoll Leute auf einer privaten Geburtstags-Party war, können jetzt schon mal mehrere hundert zusammen kommen. Solche aber direkt als Infektionsherde zu stigmatisieren, sei angesichts von Fakten und Statis­tiken vorschnell. »Wenn ich in Köln heute auf die Straße gehe, liegt das Risiko, mich bei jemandem mit Corona anzustecken, bei weit unter einem Prozent. Bei solchen Zahlen fehlt mir einfach das Verständnis für die anhaltende Einschränkung unserer Freiheiten.«

Ähnliche entwarnende Quoten berichtet die Frankfurter Rundschau aus der Schweiz, wo Clubs und Bars seit Juni wieder Betrieb haben, das dortige Bundesamt für Gesundheit (BAG) aber nur 1,9 Prozent aller seitdem registrierten Infektionen auf Clubs zurückführen möchte.

Dass gleichzeitig dem Tourismus zuliebe wieder dicht an dicht durch Europa geflogen und an den Ständen gelegen wird, während die Clubkultur weiterhin die Füße still halten soll, stößt bei vielen auf Unverständnis. »Gerade diejenigen mit wenig Geld sind auf Draußen-Angebote im Sommer angewiesen. Im Winter kostet wieder alles 20 Euro Eintritt. Es sind ja jetzt schon alle viel mehr aggro drauf, so ganz ohne Möglichkeiten sich zu erfahren oder neuen Input zu bekommen«, gibt Philip zu bedenken.

Er wünscht sich, dass die An­­hänger von Clubs lautstark auf die Straßen gehen und für eine Öffnung von Kulturangeboten demonstrieren. Das Feiern im Illegalen, die eigene Entscheidung sich über die Einschränkung seiner Rechte hinwegzusetzen, sei somit auch ein kleiner politischer Akt für jeden.